Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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die Trennung von Tisch und Bett gestattet, ge- 
währt das B.G.B. (im Gegensatz zu § 77 des 
Personenstandsgesetzes) aus den nämlichen Grün- 
den auch die Möglichkeit einer Aufhebung der 
ehelichen Gemeinschaft (68 1575 f), wenn 
der Scheidungsberechtigte ausdrücklich darauf 
klagt. Es wird jedoch trotzdem auf Scheidung er- 
kannt, wenn der Beklagte es beantragt; ebenso 
auch noch nach der Erlassung des Urteils auf Auf- 
hebung der ehelichen Gemeinschaft, wenn einer 
der Ehegatten es beantragt und nicht inzwischen 
die eheliche Gemeinschaft wiederhergestellt worden 
ist. Die Aushebung der ehelichen Gemeinschaft 
läßt das Band der Ehe bestehen. Daher fehlt, 
während im allgemeinen die Rechtsfolgen der 
Scheidung eintreten, deren oberste Wirkung, das 
Recht der Wiederverheiratung. Aus demselben 
Grund können auf die Ehe, wenn vorher, so auch 
jetzt noch die Vorschriften über Nichtigkeit und 
Anfechtbarkeit Anwendung finden. Die getrennten 
Gatten können sich auch jederzeit ohne neue Ehe- 
schließung wieder vereinigen; dann fallen die mit 
der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft ein- 
getretenen Wirkungen, außer in vermögensrecht- 
licher Beziehung, fort (88 1586 ff). 
Literatur. Böckenhoff, Die Unauflöslichkeit 
der Ehe (1908); Fahrner, Gesch. der Ehescheidung 
im kanon. Recht 1 (1903). — Francke, Die Ehe 
eines für tot erklärten Lebenden, im Archiv für die 
zivilist. Praxis CI (1907) 420 ff; Erler, Eheschei- 
dungsrecht usw. im Deutschen Reich (21900); Da- 
vidson, Das Recht der Ehesch. (1900); Schmidt, 
Ehesch. u. richterl. Ermessen, in der Gießener Fest- 
gabe für H. Dernburg (1900) 1ff; Seckel, Die 
Aufhebung u. die Wiederherstellung der ehel. Ge- 
meinschaft, in der Berl. Festgabe für H. Dernburg 
(1900) 349 ff; Toepffer, Aufhebung der ehel. Ge- 
meinsch. (Leipz. Diss., 1903); Olshausen, im Archiv 
für bürgerl. Recht XXIII (1903) 149 ff; Behr ebd. 
XXV (1905) 11 f; Francke, im Archiv für die 
zivilist. Praxis XCVIII (1906) 441 f. 
VIII. Eheprozeß. 1. Die dem persönlichen 
Eherecht angehörenden Streitsachen erledigt der 
Eheprozeß. Im Kirchenrecht gehören zu diesen 
Ehesachen vor allem die Klagen auf Erfüllung 
des Verlöbnisses, auf Nichtigkeitserklärung der 
Ehe und auf Trennung von Tisch und Bett. 
Richter ist nur der Bischof (oder der Papst), und 
zwar ist regelmäßig derjenige zuständig, in dessen 
Diözese der Mann seinen Wohnsitz hat. Der Bi- 
schof übt seine Gerichtsbarkeit gewöhnlich durch 
ein Ehegericht (meist ein Kollegium) aus. Die 
zweite Instanz bildet das Ehegericht des Metro- 
politen oder eines vom Papst bestimmten Bischofs, 
die dritte entweder der Papst oder ein anderes 
von ihm bestimmtes Diözesangericht, die letzte In- 
stanz jedenfalls der Papst in der von ihm dazu 
bestellten kurialen Behörde (auf Grund der Kon- 
stitution Sapienti consilio seit dem 3. Nov. 1908 
das Tribunal der Rota). Besonders wichtig ist 
bei den Ehegerichten das Amt des Eheverteidi- 
gers (defensor matrimonil), bessen unerläßliche 
Ehe und Eherecht. 
  
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Pflicht es ist, die Gründe für die Gültigkeit und 
Aufrechterhaltung des Ehebandes zu vertreten. 
Das Prozeßverfahren an den bischöflichen Kurien 
ist das summarische. Bei dem öffentlichen Inter- 
esse an der Klärung der ehelichen Verhältnisse 
gilt bei der Beweiserhebung das Verhandlungs- 
prinzip nicht uneingeschränkt, vielmehr hat der 
Richter von Amts wegen die materielle Wahrheit 
zu erforschen. 
Bei Verlöbnisklagen, die beim kirchlichen 
Gericht eingebracht werden, soll die Erledigung 
durch einen Vergleich der Parteien angestrebt 
werden. — Die Ehenichtigkeitsklage muß 
schriftlich beim bischöflichen Ehegericht erhoben 
werden (accusatio matrimonüi, Vinkularprozeß). 
Regelmäßig wird als Kläger jeder Katholik zu- 
gelassen, ja die Klage kann auch von Amts wegen 
erhoben werden. Jedoch sind diejenigen ausge- 
schlossen, die bei der Eingehung der Ehe oder der 
Anzeige des Hindernisses schuldhaft gehandelt 
haben oder verdächtig erscheinen. Ferner sind bei 
den Nichtigkeitsgründen, deren Vorhandensein in 
erster Linie der Beurteilung der Ehegatten unter- 
liegt, wie Konsensmängel, Eheunmündigkeit und 
geheime Impotenz, nur die Ehegatten zur Klag- 
erhebung befugt, und zwar in den beiden ersten 
Fällen nur derjenige, in dessen Person der Nichtig- 
keitsgrund lag. Erst nachdem der Versuch der 
Heilung der Ehe, soweit diese denkbar ist, geschei- 
tert ist, darf das Verfahren eröffnet werden. Die 
an sich bestehende Rechtsvermutung für die Gültig- 
keit der Ehe muß durch das Beweisverfahren (bei 
Nichtigkeitsklagen wegen Impotenz besonders ge- 
regelt) völlig zerstört sein, ehe das Gericht das 
Nichtigkeitsurteil fällt. Gegen dieses muß der 
defensor matrimonüregelmäßig sofort von Amts 
wegen appellieren. Auch Berufung an die 3. und 
die 4. Instanz ist gegen das Urteil im Ehenichtig- 
keitsprozeß möglich. Dieses erlangt nie volle 
Rechtskraft. Stellt sich heraus, daß es irrig ist, so“ 
kann und muß es und seine Folgen (z. B. eine neue 
Ehe) wieder aufgehoben werden. — Die Klage 
auf Trennung von Tisch und Bett kann entweder 
direkt oder durch Vermittlung des Pfarrers von 
dem schuldlosen Ehegatten beim Ehegericht erhoben 
werden. Vor dem Eintritt in die Sache muß dieses 
die Vornahme eines Sühneversuchs durch den 
Pfarrer anordnen. Mißlingt dieser, so eröffnet 
das Gericht, wenn es auf Grund des pfarramt- 
lichen Berichts den Antrag für begründet hält, das 
Verfahren. Während dieses kann der Richter eine 
provisorische Trennung der Gatten verfügen. Im 
Termin selbst, zu dem beide Parteien vorgeladen 
werden, müssen von neuem Sühneversuche gemacht 
werden. Scheitern diese wieder und gesteht der 
Beklagte den Trennungsgrund ein, so kann unter 
Umständen ohne weiteres dem Antrag gemäß er- 
kannt werden. Sonst wird in ein förmliches Be- 
weisverfahren eingetreten, nachdem dem Kläger 
zur Beibringung der Beweise eine Frist gesetzt ist. 
Das Urteil lautet auf zeitweilige oder auf bestän-
	        
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