Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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dige Trennung oder auf Abweisung der Klage. 
Die unterliegende Partei kann Berufung einlegen. 
Gegen zwei gleichlautende Erkenntnisse findet diese 3 
nicht mehr statt. 
2. Auch das bürgerliche Verfahrenin 
Ehesachen (3.P.O. 6. Buch, 1. Abschn.) hat 
mit Rücksicht auf die eigentümliche Natur der Ehe 
und der Eherechtsnormen seine Besonderheiten 
gegenüber dem gewöhnlichen Zivilprozeß. Zu den 
Ehesachen gehören die Rechtsstreitigkeiten, die die 
Nichtigkeit oder Anfechtung einer Ehe, die Her- 
stellung des ehelichen Lebens, die Ehescheidung oder 
die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft und die 
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer 
Ehe betreffen. Zuständig ist ausschließlich das 
Landgericht, und zwar dasjenige, bei dem der 
Ehemann seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 
Auch der Betrieb des bürgerlichen Eheprozesses ist 
nicht der Parteitätigkeit anheimgegeben, sondern 
von der Offizialmaxime beherrscht. Freie Partei- 
verfügungen, die den Rechtsstreit beeinflussen 
könnten (3. B. Anerkenntnisse, Verzichte, Geständ- 
nisse), sind ausgeschlossen, deshalb insbesondereauch 
das Versäumnisverfahren. Das Gericht kann 
sogar von Amts wegen die Parteitätigkeit ergänzen. 
Soweit das öffentliche Interesse an der Ehe in 
Frage steht, ist auch der Staatsanwalt zur Mit- 
wirkung befugt. Anderseits ist bei dem höchstper- 
sönlichen Interesse des Ehegatten an seiner Ehe 
die Prozeßfähigkeit ihm regelmäßig auch dann zu- 
gesprochen, wenn er beschränkt geschäftsfähig ist. 
Das Gesetz will, daß alle etwa vorhandenen Strei- 
tigkeiten über eine Ehe in demselben Prozeß erledigt 
werden; deshalb gestattet es in weitem Maß die 
Klagänderung und die Verbindung von Eherechts- 
klagen und erklärt unter Umständen die in einem 
früheren Eheprozeß geltend gemachten oder geltend 
zu machenden Tatsachen bezüglich des ehelichen 
Verhältnisses für verbraucht. Vor der Verhand- 
lung einer Scheidungsklage oder einer Klage auf 
Herstellung des ehelichen Lebens muß die Aus- 
söhnung der Parteien in einem Sühnetermin ver- 
sucht werden, den der Kläger zu beantragen und 
zu dem er den Beklagten zu laden hat. Demselben 
Zweck dient die Möglichkeit einer Aussetzung des 
Verfahrens auf Antrag des Klägers oder von 
Amts wegen. Bei Nichtigkeits-, Anfechtungs= und 
Scheidungsklagen kann das angestrebte Getrennt- 
leben der Ehegatten schon für die Dauer des Pro- 
zesses durch einstweilige Verfügung gestattet werden. 
Die Nichtigkeitsklage kann von jedem Ehegatten, 
von interessierten dritten Personen und auch vom 
Staatsanwalt erhoben werden, der in ihr dann 
als Partei handelt. 
Literatur. Schulte, Darstellung des Prozesses 
vor den kath. geistl. Ehegerichten Osterreichs (1858); 
Maas, Art. „Eheprozeß“ in Wetzer u. Weltes 
Kirchenlexikon IV (21886); Periès, Code de la 
rocédure dans les causes matr. (Par. 1893); 
assibey, Le mariage devant les tribunaux eccl. 
(ebd. 1899); Boudinhon, Le mariage religieux et 
les proces en nullité (ebd. 1900). Vgl. im übrigen 
  
Ehe und Eherecht. 
  
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die Darstellungen des kanonischen Prozesses, des 
deutschen Zivilprozeßrechts u. die Kommentare zur 
IX. Ehevermögensrecht. An die Ehe knüpfen 
sich nicht nur persönliche, sondern auch vermögens- 
rechtliche Wirkungen. Ihre Reglung steht un- 
bestritten allein dem bürgerlichen Recht zu. 
Vor allem haben die Gatten die Pflicht, einander 
Unterhalt zu gewähren, und zwar in der Regel, 
der häuslichen Gemeinschaft gemäß, in natura 
(nicht in Geld) und der Lebensstellung des Mannes 
entsprechend. Ohne weiteres ist aber nur der Mann, 
die Frau nur subsidiär, wenn der Mann sich 
nicht unterhalten kann, unterhaltspflichtig, beide 
nach dem Maß ihres Vermögens und ihrer Er- 
werbsfähigkeit (§ 1360). Leben die Ehegatten 
getrennt, weil einer das Recht hat, die eheliche 
Gemeinschaft zu verweigern, so ist der Unterhalt 
in Form einer Geldrente zu entrichten. Außerdem 
muß der Mann der Frau die nötigen Haushal- 
tungssachen, soweit sie für ihn entbehrlich sind und 
die Frau solche nicht selbst hat, überlassen G# 1361). 
Nach der Ehescheidung oder der Aufhebung der 
ehelichen Gemeinschaft dauert die Unterhaltspflicht 
des allein für schuldig erklärten (und des nicht 
geisteskranken) Ehegatten bis zur Wiederverhei- 
ratung des andern (auch nach seinem eigenen Tod) 
fort, jedoch in abgeschwächter Form. Der Unter- 
halt (Geldrente) ist nur insoweit zu leisten, als der 
Empfänger seiner bedarf und der Unterhaltspflich- 
tige nicht seinen eigenen Unterhalt oder die Er- 
füllung wichtigerer Unterhaltspflichten gefährdet 
(§§ 1578/1583). Hat der geschiedene Mann 
einem gemeinschaftlichen Kind Unterhalt zu ge- 
währen, so muß die Frau dazu einen angemessenen 
Beitrag beisteuern (§ 1585). Diesen Anspruch 
hat auch der irrtümlich für tot erklärte Mann 
gegenüber der wiederverheirateten Frau (8 1352). 
Ist eine Putativehe für nichtig erklärt oder auf- 
gelöst, so hat der allein gutgläubige Ehegatte 
bezüglich der gegenseitigen Unterhaltspflicht das 
Wahlrecht, statt der grundsätzlichen Folgen der 
Nichtigkeit die der Ehescheidung mit Schuldig- 
erklärung des andern Gatten eintreten zu lassen 
(8§ 1345 ff). Die Frau eines irrtümlich für tot 
Erklärten, die ihre neue Ehe angefochten hat, hat 
gegenüber dem gutgläubigen Gatten aus dieser 
Ehe die Unterhaltspflicht wie eine allein für schul- 
dig erklärte Geschiedene (§ 1351). 
Die Frau hat innerhalb ihres häuslichen Wir- 
kungskreises die sog. Schlüsselgewalt, d. h. ein 
gesetzliches Vertretungsrecht ihres Mannes, so daß 
sie dahin gehörende Geschäfte im Namen ihres 
Mannes vornehmen kann und dadurch diesen 
Dritten gegenüber berechtigt oder verpflichtet. 
Dieses Recht kann der Mann nur aus guten 
Gründen beschränken oder ausschließen (8 1357). 
Die Geschäftsfähigkeit der Frau wird 
durch die Eheschließung nicht beschränkt. Sie kann 
also sowohl mit ihrem Mann wie mit dritten 
Personen Geschäfte abschließen. Ja sie kann sogar
	        
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