Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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war auch hier die Verteilung des Grund und 
Bodens zunächst auf das Maß und die Art des 
Kriegsdienstes gegründet; Solons Gesetzgebung 
und Klasseneinrichtungumfaßteaußerder schwereren 
oder geringeren Kriegspflicht aber auch die Be- 
messung der Staatssteuer nach dem Grundeigen- 
tum, und dieses konnte frei erworben werden 
(von den Sklaven natürlich nicht), unterlag der 
Parzellierung und gleicher Vererbung und Teilung 
unter die Söhne (vgl. Böckh, Staatshaushaltung 
der Athener 1 51). Aber auch in Athen ging, wie 
überall im Altertum, die Zusammenschlagung und 
Anhäufung des Grundeigentums mit dem Ver- 
fall und dem nahenden Untergang des Staats- 
wesens Hand in Hand. Die Gesetzgebung des 
alten Rom strebte ursprünglich eine gleiche Ver- 
teilung des Grundbesitzes an; durch gleiches Erb- 
recht, eingehende Bestimmungen über den Pflicht- 
teil, das Verbot von Familienfideikommissen (7) 
suchte man sie möglichst herbeizuführen und zu 
erhalten. Der römische Staatsgedanke war, ähnlich 
wie der von Moses: durch einen kräftigen Bauern- 
stand die militärische Wehrkraft des Staats auf- 
recht zu erhalten und zu erhöhen. Jeder Soldat 
erhielt bei Verteilung der eroberten, für den Privat- 
besitz bestimmten Staatsländereien ein Los von 
2 iugera (1 iugerum = 240 Fuß Länge und 
120 Fuß Breite, also 28800 □-Fuß, 0.99 
preußische Morgen oder 25,276 Ar), welches 
heredium, Erbgut, genannt wurde; das übrige 
blieb Eigentum des Staats und wurde verpachtet. 
Nach der Vertreibung des Tarquinius wurde dieses 
Erbgut durch anderweitige Verteilung der Staats- 
ländereien auf 5 jugera erhöht. Diese Erbgüter 
waren unveräußerlich und fielen beim Mangel 
direkter Erben an den Staat zurück. Mit der Zeit 
aber bemächtigten sich ihrer die Patrizier und 
maßten sich die ausschließliche Verfügung über 
das ungeheure, in jedem der beständigen Kriege 
vergrößerte Staatsgut an. Der Konsul Spurius 
Cassius Viscellinus protestierte zuerst dagegen und 
verlangte Rückgabe der usurpierten Staatslän-= 
dereien, dann pünktliche Bezahlung der Pacht- 
zinsen und die Erhöhung des Herediums auf 
7 jugera für die römischen Bürger. Der Senat 
ging scheinbar auf die Vorschläge ein und ernannte 
eine Ausführungskommission; dann aber schul- 
digte man den Konsul des Trachtens nach der 
Königswürde an und stürzte ihn vom Tarpejischen 
Felsen. Im Jahr 485 verlangten die Volks- 
tribunen von neuem die Ausführung des Gesetzes. 
Wegen des mit den Volskern und Vejern aus- 
brechenden Krieges kam es nicht dazu, und die 
Patrizier teilten sich abermals in das eroberte 
Land. So hatte schon vor Marius' und Sullas 
Zeiten die Latifundienwirtschaft, die Konzentrierung 
des Grundeigentums in wenigen Händen, einen 
bedenklich hohen Grad erreicht. Es gab fast nur 
Großgrundbesitzer und besitzlose Sklaven, die man 
gefesselt zur Arbeit schickte. Eine zweite durch- 
greifende Reform unternahmen dann 366 v. Chr. 
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik. 
  
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die Tribunen Licinius Stolo und Licinius Sextus 
durch das nach ihnen benannte Gesetz, wonach 
niemand mehr als 500 iugera Land besitzen, 
nicht mehr als 100 Stück großes Vieh und 
500 Schafe auf die öffentlichen Weiden schicken 
durfte und jeder Plebejer 7 iugera Land erhielt. 
Aber auch dieses Gesetz, welches danach angetan 
war, einen gesunden ländlichen Mittelstand wieder 
ins Leben zu rufen, gelangte nur unvollkommen 
zur Ausführung; Licinius Stolo selbst übertrat 
es durch simulierte Umschreibung seiner Güter 
auf den Namen seines Sohnes und verfiel der 
Strafe. Schließlich geriet es ganz in Vergessen- 
heit. 250 Jahre später nahm es dann Sempronius 
Gracchus mit einigen Modifikationen wieder auf. 
Dem erlaubten Besitz von 500 jugera fügte er 
250 für jeden Sohn hinzu. Die noch einmal 
unter das Volk verteilten Erbgüter sollten un- 
veräußerlich sein. Das Volk unterstützte den 
Tribun in seinem Entscheidungskampf nicht hin- 
länglich, und er wurde 133 ermordet. Zwölf 
Jahre später widmete dann sein Bruder Cajus 
sich noch einmal derselben Sache; allein ebenso von 
der Partei der Plebejer verlassen, ließ er sich durch 
einen seiner Sklaven töten. Nun verfiel der Acker- 
bau mit den ihn begleitenden Lebensgewohnheiten 
rasch und unabwendbar. Die kleine Bauersame 
geriet rettungslos in Schulden, hörte auf, Eigen- 
tümer zu sein, und sah sich durch die Sklaven- 
arbeit auch von der Stellung eines verdungenen 
Feldarbeiters ausgeschlossen. Die Acker selbst fielen 
der Verödung anheim oder wurden in Weideland 
verwandelt, die sozialen Zustände gingen aus Rand 
und Band. Noch einmal versuchte Cäsar die 
Wiederherstellung eines Bauern= und landwirt- 
schaftlichen Mittelstandes. Wie Cajus Gracchus 
nach Gallien diesseits und jenseits der Alpen, so 
entsandte er 80 000 Kolonisten nach Spanien und 
Afrika, deren Grundanteil auf etwa 20 preußische 
Morgen bemessen war; aber auch diese Einrichtung 
erlag der Sklaven= und Latifundienwirtschaft 
(Mommsen, Römische Geschichte III 518). In 
der Kommassation, der Anhäufung der Besitz 
tümer in den Händen weniger, erkannte selbst 
Tiberius in seinem Brief an den Senat (Tacitus, 
Ann. III 53) die Hauptursache des wirtschaft- 
lichen Rückgangs des Staates; er rügt die un- 
ermeßlichen Flächen der Landgüter und die un- 
geheure Zahl der Sklaven, welche sich in den 
Händen einzelner befänden. Von Horgaz ist die 
schöne Ode (II 18) bekannt, worin er sein mäßiges 
Glück in dem Besitz eines einzigen sabinischen 
Landguts schildert und wo er beklagt „die nimmer- 
satte Habsucht des Reichen, welcher den Markstein 
jedes nahen Ackers verrückt, des Klienten Grenz- 
rain überschreitet und Weib und Mann aus der 
väterlichen Hütte austreibt mit dem Hausgott ihrer 
Väter und den armseligen Kindern“. Zu Neros 
Zeit war schon die halbe Provinz Afrika, die, wie 
erwähnt, das Kolonisationssystem von Gracchus 
und Cäsar wieder mit freien Bürgern und Bauern
	        
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