Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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und öffentlichen Rechte, so ruhten auch die öffent- 
lichen Pflichten darauf. Diese, die Landwehr= und 
die öffentliche Beisteuerpflicht, die Pflicht, nicht 
nur für die selbstverschuldeten Bußen, sondern so- 
gar für das Lösegeld der Familienmitglieder und 
nächsten Seitenverwandten subsidiär mit aufzu- 
kommen, führten allerdings zu einer Beschränkung 
des Dispositionsrechts, indem der Besitzer nicht 
testieren, nicht einseitig ohne Zustimmung der Fa- 
milienerben veräußern durfte und in Fällen, wo 
eine Veräußerung oder Teilung eintreten konnte 
oder mußte, für die neuen Erwerber den Konsens 
der Volksversammlung (der Markgenossen) ein- 
holen, in späteren Zeiten die feierliche Auffassung 
der diese repräsentierenden Gerichte veranlassen 
mußte. Und selbst dann verblieben den Familien- 
und Markgenossen noch gewisse Näher-, Vorkaufs- 
und Retraktrechte. Das sog. Anerbenrecht (s. d. Art.) 
nimmt hier seinen Ursprung. — Diesen beiden 
Hauptgattungen des freien genossenschaftlichen und 
des Familienbesitzes stehen nun zunächst diejenigen 
gegenüber, welche sich sehr mannigfaltig aus dem 
Lehnswesen mit seinem geteilten Eigentum 
herausbildeten: die eigentlichen, sich, was die Ver- 
erbung anlangt, wiederum vielseitig gestaltenden 
Lehnsgüter, dann die auf dem Grundsatz der 
Unveräußerlichkeit und Unverschuldbarkeit beruhen- 
den Fideikommiß- und Stammgüter, dann die in 
den mannigfachsten Formen ihnen analogen bäuer- 
lichen Meier-, Kolonats-, Erbpachts= und Erb- 
zinsgüter, die Hobs-, Behändigungs= und lassi- 
tischen oder Latengüter, deren Verfassung der 
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik. 
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adscriptio) fast in derselben Weise auch über die 
persönlich freien Hintersassen und bäuerlichen Ei- 
gentümer ausgedehnt wurde, so daß sich diese 
wenig mehr von den Laßwirten (erblichen Nieß- 
brauchern der Höfe) und wiederum diese mittelfreien 
Bauern sich nicht allzusehr von den Leibeigenen 
und eigenbehörigen Hofbesitzern unterschieden. Die 
meisten derartigen Eigentumsordnungen drückten 
nur aus, daß die Leibeigenen keine Sklaven und 
auch befähigt sein sollten, dasjenige als ihr Eigen- 
tum zu besitzen, was sie außer der herrschaftlichen 
Hofwehr als ihr Eigentum erwürben; von ihren 
Höfen selbst sollten sie durch keinerlei Rechtstitel 
irgend ein erbliches Besitz= und Nutzungsrecht her- 
leiten. Aber auch von ihrer Befugnis des freien 
Erwerbs gab es Ausnahmen und verblieb der Er- 
werb des Eigenbehörigen dem Herrn der Stätte, 
und jeder, der auf solche Stätte einzog, verfiel mit 
Kind und Kegel der Leibeigenschaft. Erst sehr all- 
mählich trat dieses Eigentumsrecht der Gutsherren 
an den Höfen vor dem höheren Anspruch des 
  
Staats in den Hintergrund. Man erkannte, daß 
gerade und vorzugsweise die bäuerlichen Besitz- 
tümer dem Staat die ergiebigsten, nachhaltigsten 
und auch bequemsten Steuerquellen seien, und er- 
klärte sie deshalb in vielen Territorien für unteil- 
bar. Faktisch waren sie dies in den sächsischen 
Landesteilen schon längst gewesen, aber die Unteil- 
barkeit nur im gutsherrlichen Interesse, nicht dem 
des Bauernstands selbst angeordnet und solche 
deshalb auch von den Gutsherren, wo ihnen das 
gutdünkte, nicht respektiert. Im fränkischen Volks- 
Hauptsache nach darauf abzielte, sie möglichst in stamm ging dagegen die Entwicklung den ent- 
derselben Familie und in derselben wirtschaftlichen gegengesetzten Weg. Hier bestand die freie Ver- 
Hand zu lassen, weshalb dann die Vererbung bald äußerlichkeit und Teilbarkeit von alters her und 
nach Majorats= bald nach Minoraterechten er= erhielt sich deshalb, durch System und Sitte ge- 
folgte. Als eine Singularität erwähnen wir noch schützt, besonders in denjenigen Territorien, wo#“ 
die stuhlfreien Güter in Westfalen, deren Besitzer Adel und Ritterschaft keinen überwiegenden Einfluß 
noch zuletzt Beisitzer im Femgericht waren. Wir gewinnen konnten oder wo die Landesherrlichtkeit, 
haben indessen diesen Bildungsprozeß noch etwas wie beispielsweise in Württemberg, ihr Interesse 
eingehender zu verfolgen. Den hauptsächlichsten an der Geschlossenheit der bäuerlichen Güter und 
Vorschub in der Unterdrückung der freien und an einer Landesvertretung der Bauersame nicht 
Vermehrung der unfreien Besitztümer und Aus- 
dehnung auch der persönlichen Haftbarkeit gab am 
Ausgang des Mittelalters die Kleinstaaterei. Die 
kleinen Gebiete der Reichsgrafen und Reichsritter 
wurden zumeist ohne Regel und Gesetz nach Will- 
kür regiert, öffentliche und gutsherrliche Abgaben 
der mannigfachsten Art auf den vergebens rea- 
gierenden (1525) Bauernstand gewälzt. 
Nach dem Dreißigjährigen Krieg be- 
strebte man sich, dem gänzlich daniederliegenden, 
in manchen Gegenden total vernichteten Bauern- 
stand auf gesetzlichen Weg, durch Eigentums- 
ordnungen, Landtagsabschiede usw., wieder auf- 
zuhelfen und das Leibeigenschafts= und Eigen- 
behörigkeitsverhältnis in bestimmte Grenzen zu 
schließen. Weil aber die gutsherrliche Patrimonial-= 
gerichtsbarkeit und gutspolizeiliche Gewalt unan- 
getastet blieb, so führte das dahin, daß die Guts- 
untertänigkeit und Schollenpflichtigkeit (glebae 
geltend machte. — Natürlich war die Leibeigen- 
schaft, wie früher die Sklaverei, mit allen ihren 
Folgen und Ausflüssen von jeher beständiger Ge- 
genstand des Kampfes aller derjenigen, die ihr 
unterworfen, die durch sie in ihren Interessen be- 
einträchtigt waren. Schon der „Sachsenspiegel“ 
wie der „Schwabenspiegel“ verurteilten sie gleich- 
mäßig als dem Christentum und dem natürlichen 
Recht zuwider. Die Kirche tat dasselbe, drang 
auf Freilassungen, ging teilweise mit solchem Bei- 
spiel voran, aber ohne weiteren entscheidenden 
Einfluß, als daß in den geistlichen Territorien 
die Leibeigenen besser, menschenwürdiger behandelt 
wurden als in den weltlichen. „Unter dem Krumm- 
stab“, hieß es, „ist gut wohnen.“ Auch die demo- 
kratischen Bewegungen des 14. Jahrh. blieben 
ohne nachhaltigen Erfolg, ja endeten nur mit 
  
einer noch größeren Unterdrückung des Bauern- 
standes, dem die Goldene Bulle von 1356 sogar
	        
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