Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1489 
desto intensiver wurde die Bewirtschaftung. Ge- 
steigerte Arbeit mußte den verkleinerten Umfang 
der Landlose oder deren geringere Qualität er- 
setzen. Je mehr Arbeit aber auf den Acker ver- 
wandt wurde, desto mehr verwuchs derselbe mit 
der Person und der Familie des jeweiligen Be- 
sitzers, und es entwickelten sich jene zahlreichen 
psychologischen Momente, welche man unter dem 
Namen des Affektionswerts zusammenfassen kann“ 
(v. Hertling, Naturrecht u. Sozialpolitik (1893) 
39). Auch die vielgenannten südflawischen „Haus- 
kommunionen“ sind ein sprechender Beleg: die 
„Zadruga“ ist in der Abnahme begriffen. Noch 
1883 waren 62 % der bei der Landwirtschaft 
beschäftigten Erwerbstätigen Mitglieder von Haus- 
kommunionen, wovon die Hälfte allerdings schon 
im geheimen geteilt hatte (Zorisic, Kroatien, 
1885). 
9. Wechselnde Auffassung des Ei- 
gentumsrechts. Was die Auffassung des 
Eigentums bzw. der damit verknüpften Befugnisse 
anlangt, so sind die christliche und die vorchristliche 
Ara zu unterscheiden; in letzterer verdient als 
charakteristisch das Eigentumsrecht nach israeli- 
tischer und römischer Auffassung genannt zu 
werden. Erstere hat einen antikapitalistischen, ent- 
schieden sozialen und mittelstandsfreundlichen, 
letztere, die römische, einen kapitalistischen, anti- 
sozialen Zug. Um die Ansammlung des Reich- 
tums in wenigen Händen bzw. die Massenarmut 
zu verhüten, war bei den Israeliten die Güter- 
erwerbung an bestimmte Bedingungen geknüpft, 
und die zugelosten Acker sollten den Familien auf 
unveräußerliche Weise angehören. War jemand 
genötigt, seinen Grundbesitz zu verkaufen, so blieb 
ihm das Recht, denselben jederzeit von dem neuen 
Besitzer wieder einzulösen, ja der nächste Ver- 
wandte (Goel) hatte die Pflicht, ihn einzulösen, 
damit der Acker bei der Familie verbleibe. Der 
große Regulator in den Besitzverhältnissen aber 
war das Jobeljahr, insofern nämlich in jedem 
50. Jahr der veräußerte Grundbesitz an die Familie 
des Verkäufers wieder heimfiel. Daneben war für 
die Armen und um Lohn Dienenden durch das 
mosaische Gesetz in der liberalsten Weise gesorgt. 
Freilich wich die Praxis des Lebens nicht wenig 
von dieser im Gesetz grundgelegten Eigentums- 
ordnung ab, und es entwickelten sich, den Be- 
stimmungen des mosaischen Gesetzes zum Trotz, 
kapitalistische Tendenzen (Walter, Die Propheten 
in ihrem sozialen Beruf und das Wirtschaftsleben 
ihrer Zeit (1900) 17 fa. 
Im Gegensatz zum mosaischen Recht war bei 
den Römern das Recht des privaten Eigentums 
bis in seine letzten Härten konsequent ausgebildet. 
Das römische Volk war kein Arbeitsvolk, es lebte 
von der Eroberung und ließ Sklaven und Pro- 
vinzen für sich arbeiten. Diesem Zug des römi- 
schen Nationalcharakters entsprach auch die rück- 
sichtslose Auffassung des Eigentumsrechts. Der 
berühmte Interpret des römischen Rechts Rudolf 
Eigentum. 
  
1490 
v. Ihering kommt deswegen zu folgendem Er- 
gebnis: „In keinem Recht ist wohl der reine 
Eigentumsbegriff, d. h. der Gedanke der absoluten 
Herrschaft über die Sache, mit solcher Konsequenz 
durchgeführt als im älteren römischen“ (Geist des 
römischen Rechts II I51899.). Derselbe Gelehrte 
bezeichnet diese schadhafte Gestaltung des Systems 
der Güterverteilung und Vermögenszirkulation ge- 
radezu als den Todeskeim an welchem Rom später 
zugrunde gegangen ist. Das römische Eigentum 
hat den gesellschaftlichen Charakter fast völlig abge- 
streift trotz Nachbarrechte, Servituten u. dgl. Be- 
schränktes Eigentum gibt es nach römischem Recht 
der Regel nach nur insofern, als der Eigentümer 
selbst der Sache Beschränkungen auferlegt hat. Erst 
später, als die Kaisermacht die Sklaven und Pro- 
vinzen schützte, nahm die Unbeschränktheit des 
Eigentums um weniges ab, und es findet sich der 
Institutionensatz:t Expedit enim rei publicae, 
ne sua re quis male utatur. 
Ein Umschwung in der Auffassung des Eigen- 
tumsrechts wurde durch das Christentum bewirkt. 
Es trat dem Egoismus und der schroffen Ab- 
schließung des Privateigentums entgegen und er- 
weckte bei dem Eigentümer wieder das Verständnis 
für die auf seinem Gut ruhenden gesellschaftlichen 
Verpflichtungen. Das Wort in der Parabel: 
„Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung“, kann 
als Leitmotiv der christlichen Lehre über den Ge- 
brauch des Erdenguts gelten (vgl. Winterstein, 
Diechristliche Lehre vom Erdengut 44 ff). 
Ganz besonders machte sich der christliche Ein- 
fluß in dem germanischen Eigentums- 
recht geltend. Die Idee vom Eigentum als 
Gotteslehen beherrscht die ganze mittelalterliche 
Rechtsentwicklung. Gott bleibt in der Vorstellung 
des deutschen Rechts der Obereigentümer aller 
Dinge ohne Ausnahme, und der Mensch bleibt ihm 
gegenüber bloßer Lehnsmann. Bezeichnenderweise 
kannte man bis zum 14. Jahrh. nicht einmal das 
Wort „Eigentum“, das immer einen stark indivi- 
dualistischen Klang hat, sondern gebrauchte für be- 
wegliche Güter das Wort „Habe“ (v. Scheel, Art. 
„Eigentum“ a. a. O. III 301). Das deutsche Recht 
erhebt sittliche Pflichten, welche das römische dem 
Gewissen der einzelnen überläßt, zu Rechtspflichten. 
Da das römische Vermögensrecht nichts weniger 
als eine Arbeitsordnung darstellt, so ist das 
römische Eigentum vollkommen unabhängig von 
seinem Objekt. Dagegen übt bei einem Arbeits- 
volk die Eigenart der Einzelsache auf Inhalt und 
Umfang der im Eigentum liegenden Rechte einen 
wesentlichen Einfluß aus. Das Eigentum mußte 
sich bei verschiedenen Sachen verschieden entwickeln. 
Das deutsche Recht hatte für Recht an Fahrhabe 
und für Recht an Liegenschaften ursprünglich nicht 
einmal einen gemeinsamen Namen. Da ferner 
die Arbeit viel mehr zusammenführt als der Ge- 
nuß, so sind in der deutschen Eigentumsordnung 
die Interessen der Gesamtheiten, der Familien, 
Gemeinden, Nachbarschaften viel mehr gewahrt
	        
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