Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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der mit 30000 M Einkommen das Prozent voll 
zu entrichten hat. Zwischen diesen beiden äußersten 
Grenzen können dann eine ganze Reihe von Ver- 
mittlungsstufen geschaffen werden. 
Der Gedanke des Existen zminimumskann 
ferner bei den Steuerberechnungen dadurch zum 
Ausdruck kommen, daß man zunächst denjenigen 
Sat festlegt, welcher unbesteuert bleiben soll, bis 
zu dieser Höhe aber auch alle noch so großen Ein- 
kommen freiläßt. Es führt uns dies zu der Frage 
zurück, welche wir oben bereits streisten: von 
welchem Einkommen an man überhaupt zweck- 
mäßigerweise Einkommensteuer erheben soll. Bei 
der Beantwortung dieser Frage ist die Vermögens- 
verteilung im Land einerseits und das finanzielle 
Irnteresse des Staates nebst der Steuererhebungs- 
schwierigkeit anderseits zu berücksichtigen. In 
England, wo große Vermögen sich mehr wie in 
irgend einem andern Land in den Mittelklassen 
gebildet haben, beginnt die income tax seit 1894 
mit einem Einkommen von 160 Pfund Sterling. 
In Preußen und Baden beträgt das steuerfreie 
Existenzminimum 900 M in Hessen 500 M, in 
Sachsen 400 M; doch ist dabei stets zu beachten, 
ob die Veranlagung nach Haushaltungen (z. B. 
in Preußen) oder nach Personen (z. B. in Sachsen) 
erfolgt. Erheblich tiefer als 900 M sollte die 
unterste Stufe nach den Einkommensverhältnissen 
Deutschlands in keinem deutschen Staat festgesetzt 
werden, da gerade bei den unteren Stufen der 
Steuer eine besondere Rücksichtnahme auf die Ver- 
hältnisse der Steuerzahler geboten erscheint. Eine 
zu hohe Festsetzung der Grenze der Pflichtigkeit 
würde jedoch nicht nur die Ergiebigkeit der Steuer 
in Frage stellen, sondern unter Umständen der 
großen Masse der Steuerfreien einen verhältnis- 
mäßig kleinen Kreis von Pflichtigen gegenüber- 
stellen, wodurch das Prinzip der Allgemeinheit der 
Besteuerung bedenklich erschüttert würde. 
Eine weitere Frage ist die, ob man bei der Be- 
lastung mit Steuern einen Unterschied machen soll 
je nach den Quellen, aus welchen das Ein- 
kommen fließt. Ein Beamter, welcher 3000 M 
Gehalt hat, ist wohl kaum so steuerfähig zu nennen 
wie ein Kapitalist, welcher 3000 M an Zinsen 
einzunehmen hat. Daß ein Beamter mit dem 
erwähnten Einkommen erhebliche Ersparnisse ma- 
chen sollte, um für die Zukunft seiner Familie zu 
sorgen, ist kaum anzunehmen. Der Kapitalist, 
welcher sich mit seinen Zinsen genügen läßt, braucht 
nicht zu sparen und hinterläßt seinen Erben das 
entsprechende Kapital und den dadurch möglichen 
Zinsengenuß. Es ist der Unterschied zwischen fun- 
diertem und nichtfundiertem Einkommen, welcher 
hier zutage tritt. Da, wo das erstere nicht be- 
reits durch Ertragssteuern (GGrund= und Gebäude- 
steuer, Gewerbesteuer, Kapitalrentensteuer) oder 
die Vermögenssteuer getroffen ist, wird eine höhere 
Heranziehung auf dem Weg der Einkommensteuer 
erwägenswert sein. Dies kann entweder so ge- 
schehen, daß man das fundierte Einkommen zu 
Staatslexikon. I. 3. Aufl. 
Einkommensteuer. 
  
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seinem vollen Betrag, das nichtfundierte zu einem 
Teilbetrag der Einkommensberechnung zugrunde 
legt und die Steuer nach einem Prozentsatz des 
so gefundenen Gesamteinkommens erhebt, oder so, 
daß man das Einkommen nach den einzelnen 
Quellen mit verschiedenen Prozentsätzen zur Steuer 
heranzieht und aus der Gesamtheit der so gefun- 
denen Einzelbeträge die Einkommensteuerschuldig- 
keit des Steuerzahlers berechnet. 
Es mag noch erwähnt werden, daß man von 
Quoten= und von Umlage-(Kontingents-) Steuer 
spricht. Im ersteren Fall bestimmt das Gesetz 
den Prozentsatz bzw. das Verhältnis der Steuer 
zu dem zu schätzenden Einkommen, die Höhe der 
gesamten Steuereinnahme ist abhängig von dem 
Ergebnis der Schätzung; im letzteren wird das 
Soll-Erträgnis der Steuer festgesetzt — kontin- 
gentiert — und demgemäß die aufzubringende 
Steuer unterverteilt. Den Ausdruck Quotisierung 
der Personalsteuern wendet man an auf eine 
staatsrechtliche Frage, auf dasjenige Verhältnis 
nämlich, wo alljährlich bei Feststellung des Staats- 
haushalts unter Zustimmung der Volksvertretung 
die höhere einzunehmende Steuer bestimmt wird, 
entweder so, daß der Prozentsatz wechselt, oder 
daß die Anzahl der zu erhebenden Monatsraten 
der Bewilligung unterliegt. Man kann sich auch 
den Fall denken, daß ein gewisser Steuersatz ohne 
jährliche Beschlußfassung zu vereinnahmen ist und 
nur bei Mehrbedarf eine entsprechende Erhöhung 
besonderer Bewilligung bedarf. 
4. Verhältnis der Einkommensteuer zur Ver- 
mögenssteuer. Die Vermögenssteuer (in der 
Form der Vermögensbesitzsteuer) ist entweder eine 
reelle oder nominelle. Die Berechtigung der 
reellen Vermögenssteuer, einer Steuer vom Be- 
sitz, vom Vermögen selbst, wird nur für die äußer- 
sten Notfälle, für Zeiten nationaler Katastrophen 
anerkannt. „Man soll die Henne nicht schlachten, 
welche die goldenen Eier legt.“ Die nominelle 
Vermögenssteuer benutzt das Stammvermögen nur 
als steuertechnisches Hilfsmittel zur Feststellung 
von Ertragsgrößen. Sie tritt im Einkommen- 
steuersystem auf in der Form einer Ergänzungs- 
steuer zur stärkeren Belastung des fundierten Ein- 
kommens, das auf Vermögensbesitz beruht. Sie 
belastet aber dabei im Gegensatz zu den Ertrags- 
steuern, wie die Einkommensteuer nur das reine 
Einkommen, so nur das reine Gesamtvermögen, 
nach Abzug der Schulden. Ob die Vermögens- 
steuer eine reelle oder nominelle ist, wird von der 
Gestaltung der Steuergesetzgebung abhängen. Es 
wird darauf ankommen, wie die Feststellung der 
Vermögenswerte geschieht, ob neben dem Erwerbs- 
vermögen auch das Gebrauchsvermögen und in 
welchem Umfang durch die Steuer belastet wird. 
Nur bei niederen Steuersätzen wird mit ziemlicher 
Sicherheit die durch den Besitz an Vermögen ge- 
hobene Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts ge- 
troffen werden, wird die Steuer auf dem Ein- 
kommen, nicht auf dem Vermögen, als der Quelle 
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