Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Reisender oder Dritter) getötet oder körperlich 
verletzt wird, der Betriebsunternehmer für den 
dadurch verursachten Schaden haftet, sofern er 
nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt 
oder eigenes Verschulden des Getöteten oder Ver- 
letzten herbeigeführt ist. Diese Haftung kann nicht 
im voraus durch Vertrag oder Reglement aus- 
geschlossen oder eingeschränkt werden. Die Be- 
stimmungen des Unfallgesetzes sind durch Art. 42 
des Einf. Ges. zum B.G.B. mit den Bestimmungen 
des letzteren in Einklang gebracht worden. 
Die Bedeutung dieses Haftpflichtgesetzes wird 
sehr abgeschwächt durch die zugunsten der Bahn- 
bediensteten erlassenen Reichsgesetze über Kranken- 
und Unfallversicherung vom 30. Juni 1900 
(Reichs-Gesetzblatt 573 f), wovon in besonderem 
Artikel die Rede ist. 
Trotz dieser Gesetze gilt das Unfallgesetz noch: 
1) wenn es sich um eine Tötung oder Verletzung 
von Reisenden oder sonstigen im Eisenbahnbetrieb 
nicht angestellten Personen handelt, und 2) wenn 
durch strafrichterliches Urteil festgestellt worden ist, 
daß der Unfall durch Betriebsunternehmer, Be- 
vollmächtigte oder Repräsentanten, Betriebs= oder 
Arbeitsaufseher vorsätzlich verschuldet worden ist. 
Von den deutschen vollspurigen Bahnen sind im 
Betriebsjahr 1905 auf Grund des Haftpflicht- 
gesetzes 5997769 M, auf Grund der Unfall- 
versicherungsgesetze 14509 900 M, zusammen 
20 507 669 MK gezahlt worden. 
b) Ausländische Gesetzgebung. Öster- 
reich hat ein allerdings nur für Eisenbahnen, 
welche mit Dampfkraft betrieben werden, geltendes 
Haftpflichtgesetz vom 5. März 1869, dessen Grund- 
sätze in das deutsche Haftpflichtgesetz übergegangen 
sind (Näheres darüber in d. Gesch. d. E. d. Osterr.= 
Ungar. Monarchie IV 54 f). Unter den sozial- 
politischen Gesetzen, welche in Osterreich für das 
Eisenbahnwesen von Bedeutung sind, sind hervor- 
zuheben die Gesetze vom 28. Dez. 1887 und 
20. Juli 1894, auf Grund welcher obligatorische 
Versicherung der Arbeiter in dem gesamten Betrieb 
der Eisenbahnen besteht, gleichviel mit welcher moto- 
rischen Kraft sie betrieben werden (a. a. O. 96 #lv 
In Anlehnung an das österreichische Gesetz ist die 
Haftpflicht der Eisenbahnen für Ungarn durch 
den Gesetzesartikel XVIII vom Jahr 1874 geregelt 
worden. Im wesentlichen dem deutschen Haft- 
pflichtgesetz nachgebildet sind das schweizerische 
Haftpflichtgesetz vom 1. Juli 1875 (25. Juni 1881 
und 26. April 1887) und das russische Haft- 
pflichtgesetz vom 25. Jan. (6. Febr.) 1878. Zum 
Vorteil der Reisenden ist die Beweislast umgekehrt 
worden in Holland durch Art. 1 des Eisenbahn- 
gesetzes vom 9. April 1875, in Belgien durch 
Art. 4 des Gesetzes vom 25. Aug. 1891 und in 
Italien durch die Art. 1151, 1153 Codice civile. 
In Frankreich haben die Art. 1382 ff des Code 
eivil seitens der Gerichte eine so weitherzige Inter- 
pretation erfahren, daß das Bedürfnis nach einem 
Spezialgesetz zum Vorteil der Reisenden und des 
Eisenbahnen. 
  
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Publikums nicht fühlbar geworden ist. — Gesetz- 
liche Bestimmungen zugunsten der Bahnbedien- 
steten bestehen in England (Haftpflichtgesetz vom 
7. Sept. 1880), in Frankreich (loi sur les acci- 
dents du travail vom 10. April 1898), Italien, 
Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Nor- 
wegen und Spanien. In den Vereinigten Staaten 
von Amerika ist ein vom Kongreß im Juni 1906 
zugunsten der Bahnbediensteten erlassenes Gesetz 
vom Bundesobergericht für ungültig erklärt worden. 
II. Eisenbahnrecht. A. Deutsche Reichs- 
gesetzgebung. Das Deutsche Reich hat sich in 
Art. 4, Ziff. 8 der Reichsverfassung die Beauf- 
sichtigung des Eisenbahnwesens und die Gesetz- 
gebung darüber vorbehalten. Nach Art. 8 daselbst 
hat der Bundesrat jährlich einen dauernden Aus- 
schuß für das Eisenbahn-, Post= und Telegraphen-= 
wesen zu bilden, worin außer Preußen mindestens 
vier Bundesstaaten vertreten sein müssen. Über 
das Eisenbahnwesen handelt Abschnitt VII der 
Verfassung in den Art. 41/47. In Gemäßheit 
der Bestimmungen dieser Artikel sind im Reich eine 
große Anzahl von Einzelverordnungen getroffen 
worden. Die wichtigsten beziehen sich auf die durch 
das Reichseisenbahnamt ausgeübte Ober- 
aufsicht des Reichs, den Bau und Betrieb der 
Eisenbahnen, auf das Verhältnis zur Post= und 
Telegraphenverwaltung, zur Zollverwaltung und 
zur Militärverwaltung. Sie finden sich zusammen- 
gestellt in Nr 66 der Guttentagschen Sammlung 
der deutschen Reichsgesetze: Die Reichseisenbahn- 
gesetzgebung. Von der reichsgesetzlich geregelten 
Haftpflicht ist bereits unter Nr 1 2 die Rede gewesen. 
Eisenbahngesellschaften unterliegen den allgemeinen 
Vorschriften des Handelsgesetzbuchs, speziell den 
über Aktiengesellschaften handelnden 88 178/334, 
mit der Maßgabe, daß die landesgesetzlichen Vor- 
schriften, wonach der Eisenbahnbetrieb der staat- 
lichen Genehmigung und Beaussichtigung unter- 
liegt, in Kraft geblieben sind. Strafrechtliche 
Bestimmungen zum Schutz des Eisenbahnverkehrs 
enthält das deutsche Strafgesetzbuch in seinen 
§8 90 Ziff. 2, 243 Ziff. 4, 250 Ziff. 3, 305, 
315, 316, 319 und 320. Das am 1. Jan. 1900 
in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch enthält 
eisenbahnrechtliche Bestimmungen nur in den 
§§ 196, 978 f und in seinem Einführungsgesetz 
Art. 42, 105, 112, 125. Von der Unpfändbar- 
keit der Fahrbetriebsmittel der Eisenbahn handelt 
das Gesetz vom 3. Mai 1886 (N.G.Bl. 131). 
B. Völkerrechtliche Verträge in Bezug 
auf das Eisenbahnwesen hat das Deutsche Reich 
in großer Anzahl abgeschlossen. Hervorzuheben ist 
das nach jahrelangen Bemühungen am 14. Okt. 
1890 zu Bern zustande gekommene, 1895 und 
1898 mit Zusätzen versehene Internationale Uber- 
einkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr. Das- 
selbe bezeichnet den Anfang eines Weltverkehrs- 
rechts. Es haben sich ihm bisher angeschlossen: 
Deutschland, Osterreich-Ungarn, Belgien, Frank- 
reich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Rußland,
	        
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