Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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den Betriebspflicht des Unternehmers entspricht 
es, wenn die Gesetzgebung die Bahnanlage mit 
allem Zubehör zu einer Sachgesamtheit stempelt, 
die in gewisser Beziehung privatrechtlich als res 
extra commercium behandelt werden muß. In 
dieser Beziehung bestimmt das Gesetz vom 19. Aug. 
1895 (neue Fassung vom 8. Juli 1902, G.S. 
237), daß eine Privateisenbahn, die dem Gesetz 
vom 3. Nov. 1838 unterliegt, und eine Kleinbahn, 
deren Unternehmer verpflichtet ist, für die Dauer 
der ihm erteilten Genehmigung das Unternehmen 
zu betreiben, mit den dem Bahnunternehmen ge- 
widmeten Vermögenswerten als Einheit (Bahn- 
einheit) einen Gegenstand des unbeweglichen Ver- 
mögens bildet. Für diese Bahnen werden Bahn- 
grundbücher geführt. Pfändung und Zwangs- 
vollstreckung sind nur unter bestimmten Voraus- 
setzungen zulässig. 
D. Was die Eisenbahngesetzgebung des Aus- 
lands anlangt, so sind die grundlegenden Eisen- 
bahngesetze aller Staaten mitgeteilt bei Meili, 
Das Recht der modernen Verkehrs= und Trans- 
portanstalten (1888 § 6. Die nach 1888 er- 
schienenen Gesetze sind zu finden im Archiv für 
Eisenbahnwesen. Auch Goldschmidt, Zeitschrift 
für Handelsrecht, gibt jährlich eine Ubersicht der 
in= und ausländischen Gesetzgebung. 
E. Das Eisenbahnfrachtrecht. Wie 
schon oben erwähnt, sind durch das Internationale 
Übereinkommen vom 14. Okt. 1890 zwischen einer 
Reihe von Staaten die für den Eisenbahnfracht- 
verkehr geltenden wichtigsten Grundsätze festgestellt 
worden. Das Internationale Ubereinkommen 
kommt aber nur zur Anwendung auf Transporte, 
die mit direktem Frachtbrief von einem der Ver- 
tragsstaaten in einen andern Vertragsstaat gehen. 
Für die inländischen Transporte ist die inländische 
Gesetzgebung maßgebend, wobei aber von großer 
Bedeutung der Umstand ist, daß die meisten der 
Vertragsstaaten den Inhalt des Internationalen 
Übereinkommens auch ihrem Landesrecht einver- 
leibt haben. So sind die Grundsätze des Inter- 
nationalen Übereinkommens auch übergegangen 
in das mit dem 1. Jan. 1900 in Kraft getretene 
deutsche Handelsgesetzbuch und in die mit dem 
gleichen Zeitpunkt zur Geltung gelangte Verkehrs- 
ordnung vom 26. Okt. 1899. Nachdem diese eine 
Reihe von Abänderungen erfahren hatte, ist 1908 
eine neue Verkehrsordnung erlassen worden, die 
am 1. April 1909 in Kraft tritt. Während das 
frühere deutsche Handelsgesetzbuch nur den Güter- 
transport geregelt hatte, hat das neue Handels- 
gesetzbuch auch die Beförderung von Personen auf 
den Eisenbahnen in den Kreis der von ihm ge- 
regelten Rechtsverhältnisse einbezogen. 
III. Stellung der verschiedenen Staaten 
zum Staatsbahnsystem. Je nachdem der Staat 
oder Private, gewöhnlich Aktiengesellschaften, die 
Eigentümer sind, redet man von Staats= und 
Privatbahnen. Stehen die Staatsbahnen unter 
staatlicher Verwaltung, so spricht man von reinen 
Staatslexikon. I. 3. Aufl. 
  
Eisenbahnen. 
  
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Staatsbahnen; stehen die Privatbahnen unter der 
Verwaltung der Eigentümer, so liegen reine Pri- 
vatbahnen vor. Es kommt aber auch vor, daß eine 
Staatsbahn — gewöhnlich infolge von Verpach- 
tung — unter der Verwaltung von Privaten sich 
befindet oder daß eine Privatbahn vom Staat 
verwaltet wird. Das Nebeneinanderbestehen des 
Staats= und des Privatbetriebs im Eisenbahn- 
wesen bezeichnet man als „gemischtes System“. 
Früher ist über die Frage, ob das Staatsbahn- 
system oder das Privatbahnsystem den Vorzug 
verdiene, viel gestritten worden. Die meisten der 
in diesem Streit gegen das Staatsbahnsystem er- 
hobenen Bedenken können heutzutage als völlig 
abgetan übergangen werden. Wer sie kennen lernen 
will, findet sie mit der Widerlegung zusammen- 
gestellt bei Röll, Enzyklopädie 3064 ff. In letzter 
Zeit begegnet man eigentlich nur noch den beiden 
Einwänden (z. B. bei Colson), daß die Staats- 
bahnen teurer arbeiten als die Privatbahnen und 
daß es politisch gefährlich sei, dem Staat ein 
Eisenbahnmonopol und durch Unterstellung eines 
großen Beamtenheers die Möglichkeit der Beein- 
flussung desselben zu gewähren. Beide Einwände 
sind indessen nicht stichhaltig. Die erste Be- 
hauptung wird mit dem Hinweis darauf auf- 
gestellt, daß der Betriebskoeffizient bei Staats- 
bahnen (z. B. den preußischen) durchweg höher sei 
als bei Privatbahnen (z. B. den französischen). 
Der Hinweis ist aber nicht überzeugend, weil er 
auf einer unzulässigen Uberschätzung der Bedeutung 
des Betriebskoeffizienten beruht (s. Sp. 1547). 
Es ist auch nicht einzusehen, warum bei gleichen 
Leistungen Privatbahnen, die naturgemäß 
ebenso bureaukratisch verwaltet werden müssen wie 
Staatsbahnen, mit geringeren Ausgaben fertig 
werden sollten als diese. Was sodann den zweiten 
Punkt anlangt, so heißt es die Frage richtig stellen. 
Wenn man die Entwicklung der Dinge in den 
Ländern mit reinem Privatbahnsystem betrachtet 
und sieht, welche Machtstellung in diesen die Eisen- 
bahngesellschaften errungen haben, dann kann man 
nicht mehr einfach fragen, ob es wünschenswert 
sei, daß der Staat ein Eisenbahnmonopol habe; 
dann muß man vielmehr die alternative Frage 
stellen: Ist es besser, daß der Staat oder daß die 
Privatgesellschaften das Monopol besitzen? In 
dieser Fassung ist die Frage aber zweifellos im 
Sinn der ersten Alternative zu beantworten. Denn 
daß ein durch keine Kontrolle der Volksvertretung 
gezügeltes Monopol des Privatkapitals unerträg- 
licher, dem Gemeinwohl schädlicher ist als ein 
Staatsmonopol, ist unzweifelhaft. Endlich ist 
allerdings zuzugeben, daß für den Staat die 
Möglichkeit besteht, sein Beamtenheer politisch zu 
beeinflussen. Diese Möglichkeit besteht aber auch 
für die Privatbahnen hinsichtlich ihrer Beamten, 
und tatsächlich sind Beeinflussungen der Beamten, 
z. B. bei den Wahlen, bei den Privatbahnen in 
weit höherem Maß vorgekommen als bei den 
Staatsbahnen. Es erklärt sich dies sehr einfach 
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