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a) als allgemeine Ausnahmetarife. Solche
werden vornehmlich gewährt: 2) zur Förderung
der gewerblichen und landwirtschaftlichen Produk-
tion durch erleichterte Zufuhr notwendiger Roh-
und Hilfsstoffe; 3) zur Erleichterung der Ausfuhr
der einheimischen Erzeugnisse in das Ausland;
) zur Unterstützung einheimischer Handelsplätze
gegen den Wettbewerb fremder Plätze; 2) zur
Unterstützung einheimischer Verkehrsanstalten, ins-
besondere der Staatseisenbahnen, gegen den Wett-
bewerb des Auslands.
b) in Einzelfällen als Frachtnachlässe, sog.
Refaktien, Rabatte, Reexpeditionsgebühren usw.
Bei letzteren werden für die Frachtberechnung zwei
Transporte, z. B. der Hintransport des Roh-
produkts zur Fabrik und der Rücktransport des
Fabrikats, als ein Transport behandelt.
2. Gütertarife. Zu Beginn des Eisenbahn=
verkehrs waren die Tarife sehr einfach. Die Fracht-
sätze waren gewöhnlich nach Zentner und Meile
(Gewichtssystem) bestimmt. Daneben bestanden
Ausnahmetarife für einige wenige Rohprodukte.
Diese Ausnahmen waren bei den verschiedenen
Eisenbahnverwaltungen verschieden. Allmählich
entwickelte sich das sog. Wertsystem, das die
Frachtsätze nach der Belastungsfähigkeit der zu
transportierenden Güter, nach deren Tauschwert
festsetzte. Da es zu umständlich gewesen wäre, wenn
man die Höhe der Fracht nach dem Wert jedes
einzelnen Frachtguts hätte bestimmen wollen, so
teilte man die Güter in Klassen ein. Diese Wert-
klassifikation war auch in den einzelnen Lokaltarifen
verschieden. Neben diesem Wertklassifikationssystem,
das in den 1860er und 1870er Jahren heftig an-
gegriffen und dem namentlich die Fähigkeit be-
stritten wurde, auch den Interessen des Gemein-
wohls zu dienen, wurde im Jahr 1867 auf der
Nassauischen Staatsbahn und später 1870 in
Elsaß-Lothringen das schon vorher in der Presse
und Literatur warm empfohlene Wagenraum-
system eingeführt, das ohne Rücksicht auf die
Belastungsfähigkeit der beförderten Güter die
Fracht lediglich nach dem Prinzip möglichster Aus-
nutzung der Transportmittel normierte. Man ging,
wie man sich ausdrückte, auf die „natürlichen“
Tarifgrundlagen zurück und ließ dementsprechend
keine andere Verschiedenheit der Frachtsätze bestehen
als die, die sich 1) durch die Menge der aufge-
gebenen Güter (Ermäßigung bei Aufgabe in
Wagenladungen oder Aufgabe von 5 t), 2) durch
die Verschiedenheit der Wagen (bedeckt oder unbe-
deckt) und 3) durch das Maß der Beschleunigung
der Beförderung (Eilgut oder gewöhnliches Fracht-
gut) ergaben. Da die für alle Güter gleichmäßige
Fracht so niedrig gehalten werden muß, daß sie
auch von den minderwertigen Gütern getragen
werden kann, so ist klar, daß bei diesem System bei
weitem nicht ein so großer Reingewinn erzielt
werden kann wie beim Klassifikationssystem.
Eine Verbindung dieser beiden Systeme (des
Wertklassifikationssystems und des Raumsystems)
Eisenbahnen.
1552
war das sog. gemischte System, welches zuerst
Mitte der 1870er Jahre Bayern und Württem-
berg einführten, um die Konkurrenz der Reichs-
bahnen unschädlich zu machen. Dieses System
hängte dem Raumsystem eine Wertklassifikation
an: von ersterem nahm es die Klassen für Eil-
und gewöhnliches Frachtgut sowie die allgemeinen
Wagenladungsklassen, von letzterem die Klassen
für besonders genannte, ihrem Wert nach unter-
schiedene Güter.
Als eine Spielart des gemischten Systems kann
der am 12. Febr. 1877 in der Generalkonferenz
sämtlicher deutschen Eisenbahnverwaltungen fest-
gestellte Reformtarif, das noch heute geltende
Tarifsystem, angesehen werden. Mit diesem Re-
sormtarif war für das Gebiet des Deutschen
Reichs formale Tarifeinheit, d. h. insofern ein
einheitliches Tarifwesen geschaffen, als die Tarif-
vorschriften nebst der Güterklassifikation für alle
Bahnen gleich waren. Materielle Tarifein-
heit dagegen, d. h. Einheitlichkeit in der Höhe der
der Frachtberechnung für die verschiedenen Tarif-
klassen zugrunde zu legenden Einheitssätze, besteht
erst seit 1890.
So hat also der Streit, ob Klassifikations= oder
Raumspystem, zur Zeit mit einem Kompromiß ge-
endigt. Nach Lage der Verhältnisse muß dies auch
für das Beste erachtet werden. Denn solange
Preußen eine Eisenbahnschuld in Höhe mehrerer
Milliarden hat, solange das Reich gezwungen ist,
noch von den notwendigsten Nahrungemitteln Zoll
zu erheben, würde eine lediglich die Interessen der
Befrachter fördernde vollständige Durchführung
des Raumsystems nicht zu rechtfertigen sein. So-
weit dagegen darauf zu rechnen ist, daß ein durch
Herabsetzung der Frachten entstehender Ausfall
durch Verkehrssteigerung und dementsprechende
Frachtenvermehrung ausgeglichen werde, findet
unausgesetzt Frachtermäßigung, sei es durch De-
klassifikation, sei es durch Gewährung von Aus-
nahmetarifen, statt.
Der zur Zeit in Deutschland geltende Güter-
tarif unterscheidet Stückgutklassen und Wagen-
ladungsklassen. a) Die Stückgutklassen unter-
scheiden wiederum zwischen Eilstückgut und Fracht-
stückgut. Jedes dieser beiden hat eine allgemeine
Klasse und einen Spezialtarif für bestimmte Güter.
Es gibt also vier Klassen für Stückgüter b) Zu
den Sätzen der Wagenladungsklassen werden die-
jenigen Güter befördert, die der Absender mit
einem Frachtbrief für einen Wagen als Wagen-
ladung aufgibt. Die Güter werden eingeteilt in
vier Hauptklassen:
Güter der allgemeinen Wagenladungsklasse (Kl. B)
mit der Nebenklasse A,
Güter des Spezialtarifs I mit der Nebenklasse
»» « Inmitdektgkåbenkcasse
Spezialtarif II.
Die Güter der Spezialtarife sind aus der Güter-
klassifikation Abschnitt c: „Spezialtarife für
t 77 7.