Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1551 
a) als allgemeine Ausnahmetarife. Solche 
werden vornehmlich gewährt: 2) zur Förderung 
der gewerblichen und landwirtschaftlichen Produk- 
tion durch erleichterte Zufuhr notwendiger Roh- 
und Hilfsstoffe; 3) zur Erleichterung der Ausfuhr 
der einheimischen Erzeugnisse in das Ausland; 
) zur Unterstützung einheimischer Handelsplätze 
gegen den Wettbewerb fremder Plätze; 2) zur 
Unterstützung einheimischer Verkehrsanstalten, ins- 
besondere der Staatseisenbahnen, gegen den Wett- 
bewerb des Auslands. 
b) in Einzelfällen als Frachtnachlässe, sog. 
Refaktien, Rabatte, Reexpeditionsgebühren usw. 
Bei letzteren werden für die Frachtberechnung zwei 
Transporte, z. B. der Hintransport des Roh- 
produkts zur Fabrik und der Rücktransport des 
Fabrikats, als ein Transport behandelt. 
2. Gütertarife. Zu Beginn des Eisenbahn= 
verkehrs waren die Tarife sehr einfach. Die Fracht- 
sätze waren gewöhnlich nach Zentner und Meile 
(Gewichtssystem) bestimmt. Daneben bestanden 
Ausnahmetarife für einige wenige Rohprodukte. 
Diese Ausnahmen waren bei den verschiedenen 
Eisenbahnverwaltungen verschieden. Allmählich 
entwickelte sich das sog. Wertsystem, das die 
Frachtsätze nach der Belastungsfähigkeit der zu 
transportierenden Güter, nach deren Tauschwert 
festsetzte. Da es zu umständlich gewesen wäre, wenn 
man die Höhe der Fracht nach dem Wert jedes 
einzelnen Frachtguts hätte bestimmen wollen, so 
teilte man die Güter in Klassen ein. Diese Wert- 
klassifikation war auch in den einzelnen Lokaltarifen 
verschieden. Neben diesem Wertklassifikationssystem, 
das in den 1860er und 1870er Jahren heftig an- 
gegriffen und dem namentlich die Fähigkeit be- 
stritten wurde, auch den Interessen des Gemein- 
wohls zu dienen, wurde im Jahr 1867 auf der 
Nassauischen Staatsbahn und später 1870 in 
Elsaß-Lothringen das schon vorher in der Presse 
und Literatur warm empfohlene Wagenraum- 
system eingeführt, das ohne Rücksicht auf die 
Belastungsfähigkeit der beförderten Güter die 
Fracht lediglich nach dem Prinzip möglichster Aus- 
nutzung der Transportmittel normierte. Man ging, 
wie man sich ausdrückte, auf die „natürlichen“ 
Tarifgrundlagen zurück und ließ dementsprechend 
keine andere Verschiedenheit der Frachtsätze bestehen 
als die, die sich 1) durch die Menge der aufge- 
gebenen Güter (Ermäßigung bei Aufgabe in 
Wagenladungen oder Aufgabe von 5 t), 2) durch 
die Verschiedenheit der Wagen (bedeckt oder unbe- 
deckt) und 3) durch das Maß der Beschleunigung 
der Beförderung (Eilgut oder gewöhnliches Fracht- 
gut) ergaben. Da die für alle Güter gleichmäßige 
Fracht so niedrig gehalten werden muß, daß sie 
auch von den minderwertigen Gütern getragen 
werden kann, so ist klar, daß bei diesem System bei 
weitem nicht ein so großer Reingewinn erzielt 
werden kann wie beim Klassifikationssystem. 
Eine Verbindung dieser beiden Systeme (des 
Wertklassifikationssystems und des Raumsystems) 
Eisenbahnen. 
  
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war das sog. gemischte System, welches zuerst 
Mitte der 1870er Jahre Bayern und Württem- 
berg einführten, um die Konkurrenz der Reichs- 
bahnen unschädlich zu machen. Dieses System 
hängte dem Raumsystem eine Wertklassifikation 
an: von ersterem nahm es die Klassen für Eil- 
und gewöhnliches Frachtgut sowie die allgemeinen 
Wagenladungsklassen, von letzterem die Klassen 
für besonders genannte, ihrem Wert nach unter- 
schiedene Güter. 
Als eine Spielart des gemischten Systems kann 
der am 12. Febr. 1877 in der Generalkonferenz 
sämtlicher deutschen Eisenbahnverwaltungen fest- 
gestellte Reformtarif, das noch heute geltende 
Tarifsystem, angesehen werden. Mit diesem Re- 
sormtarif war für das Gebiet des Deutschen 
Reichs formale Tarifeinheit, d. h. insofern ein 
einheitliches Tarifwesen geschaffen, als die Tarif- 
vorschriften nebst der Güterklassifikation für alle 
Bahnen gleich waren. Materielle Tarifein- 
heit dagegen, d. h. Einheitlichkeit in der Höhe der 
der Frachtberechnung für die verschiedenen Tarif- 
klassen zugrunde zu legenden Einheitssätze, besteht 
erst seit 1890. 
So hat also der Streit, ob Klassifikations= oder 
Raumspystem, zur Zeit mit einem Kompromiß ge- 
endigt. Nach Lage der Verhältnisse muß dies auch 
für das Beste erachtet werden. Denn solange 
Preußen eine Eisenbahnschuld in Höhe mehrerer 
Milliarden hat, solange das Reich gezwungen ist, 
noch von den notwendigsten Nahrungemitteln Zoll 
zu erheben, würde eine lediglich die Interessen der 
Befrachter fördernde vollständige Durchführung 
des Raumsystems nicht zu rechtfertigen sein. So- 
weit dagegen darauf zu rechnen ist, daß ein durch 
Herabsetzung der Frachten entstehender Ausfall 
durch Verkehrssteigerung und dementsprechende 
Frachtenvermehrung ausgeglichen werde, findet 
unausgesetzt Frachtermäßigung, sei es durch De- 
klassifikation, sei es durch Gewährung von Aus- 
nahmetarifen, statt. 
Der zur Zeit in Deutschland geltende Güter- 
tarif unterscheidet Stückgutklassen und Wagen- 
ladungsklassen. a) Die Stückgutklassen unter- 
scheiden wiederum zwischen Eilstückgut und Fracht- 
stückgut. Jedes dieser beiden hat eine allgemeine 
Klasse und einen Spezialtarif für bestimmte Güter. 
Es gibt also vier Klassen für Stückgüter b) Zu 
den Sätzen der Wagenladungsklassen werden die- 
jenigen Güter befördert, die der Absender mit 
einem Frachtbrief für einen Wagen als Wagen- 
ladung aufgibt. Die Güter werden eingeteilt in 
vier Hauptklassen: 
Güter der allgemeinen Wagenladungsklasse (Kl. B) 
mit der Nebenklasse A, 
Güter des Spezialtarifs I mit der Nebenklasse 
»» « Inmitdektgkåbenkcasse 
Spezialtarif II. 
Die Güter der Spezialtarife sind aus der Güter- 
klassifikation Abschnitt c: „Spezialtarife für 
t 77 7.
	        
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