Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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zweiten, dritten und vierten Gleisen bewilligt wor- 
den. — Die Anlage einer Bahn wäre noch ver- 
hältnismäßig billig, wenn nicht zur Uberwindung 
von Terrainschwierigkeiten und aus Sicherheits- 
rücksichten Kunstbauten mancher Arthergestellt wer- 
den müßten. Die Bahn muß bald im Einschnitt 
bald im Auftrag gebaut werden; es müssen Brük- 
ken, Wegeüberführungen, Straßenunterführungen, 
Tunnels u. dgl. angelegt werden. In Deutschland 
besteht die Absicht, nach und nach alle Niveauüber- 
gänge zu beseitigen; mit der Verwirklichung der- 
selben ist man schon ziemlich weit fortgeschritten. 
2. Das Betriebsmaterial der Eisen- 
bahnen — Lokomotiven und Wagen — hat im 
Lauf der Zeit eine ganz bedeutende Verbesserung 
erfahren. Die Stephensonsche Rocket verhält sich 
zu einer modernen Schnellzugslokomotive wie ein 
unentwickeltes Kind zu einem ausgereiften Mann; 
auch die Wagen haben eine ganz andere Größe, 
ein ganz anderes Aussehen bekommen. Für die 
Konstruktion der Lokomotiven gibt es eine Menge 
von Typs (augenblicklich eiwa 25), die sich mit 
dem Fortschreiten der Mechanik immer mehr ver- 
mehren. Die Betriebsreglements, so das deutsche, 
schreiben keinen bestimmten Typ vor, beschränken 
sich vielmehr darauf, die Sicherheitsbedingungen 
anzugeben, denen die Lokomotiven entsprechen 
müssen. Nach dem Verwendungszweck unterscheidet 
man die ganz besonders auf rasches Fahren ein- 
gerichteten großen Schnellzugslokomotiven, die für 
die Beförderung gewaltiger Massen bestimmten 
untersetzten und schweren Güterzugslokomotiven, 
die leichteren Personenzugslokomotiven und endlich 
die kleinen Rangierlokomotiven. Zur Mitführung 
von Brennmaterial und Wasser sind die Lokomo- 
tiven — mit Ausnahme der Rangierlokomotiven 
— meistens von einem besondern Tenderwagen 
begleitet. Während der Fahrt wird der zur Neige 
gegangene Wasservorrat an den Wasserstationen 
ergänzt. Die Wasserkranen sind vielfach so ver- 
vollkommnet, z. B. in Stendal und Obiefelde, daß 
sie es ermöglichen, das neue Wasser in zwei Mi- 
nuten einzunehmen. In England und Amerika 
besteht sogar die Einrichtung, mittels eines Füll- 
rohrs Wasser während der Fahrt aus einer zwi- 
schen den Schienen befindlichen Füllstrecke aufzu- 
nehmen. In verschiedenen Ländern, auch auf 
deutschen Gebirgsbahnen, sind zur Beseitigung 
des die Fahrt hindernden Schnees Schneepflüge 
in Gebrauch, die teils mit der Lokomotive fest 
verbunden sind, teils bei Bedürfnis vor dieselbe 
gestellt werden. In Amerika und einigen andern 
Ländern benutzt man auch großartige Schnee- 
schleudermaschinen. Welche Aufgabe die Lokomo- 
tiven zu erledigen haben, geht daraus hervor, 
daß z. B. in Preußen im Jahr 1906 die im Betrieb 
befindlichen 16 184 Lokomotiven 8589 452 t 
Kohlen verbraucht und durchschnittlich je 47440 
km zurückgelegt haben. #. 
Wie bei den Lokomotiven gibt es auch bei den 
Personenwagen verschiedene Typs. Die Haupt- 
Eisenbahnen. 
  
1560 
einteilung der Personenwagen ist, abgesehen von 
der in verschiedene Klassen, die in Abteil= und in 
D--Wagen, bei denen sich der Gang entweder, wie 
bei uns, an der Seite, oder, wie in Amerika, in 
der Mitte befindet. Die D-Wagen haben nament- 
lich in Amerika einen hohen Grad der Vervoll- 
kommnung erreicht (Pullmanwagen). Waren 
ursprünglich die Personenwagen so primitiv ein- 
gerichtet, daß die Reisenden zum Schutz gegen 
Zugluft und Funkenauswurf der Lokomotive Ge- 
sichtsmasken und Schutzbrillen tragen mußten, 
wie solche noch Ende der 1840er Jahre auf den 
Stationen der Leipzig-Dresdener Bahn den Rei- 
senden angeboten wurden, so stellen die modernen 
Luxuswagen mit allen Bequemlichkeiten eingerich- 
tete Salons dar. Aber auch die heute bei uns 
gebräuchlichen gewöhnlichen Wagen, namentlich 
die in neuerer Zeit gebauten, entsprechen durchweg 
allen billigen Anforderungen. Insbesondere läßt 
heute die Beleuchtung der Wagen nichts zu wün- 
schen übrig, wogegen die einer befriedigenden Lö- 
sung der Heizungsfrage entgegenstehenden Hin- 
dernisse immer noch nicht überwunden sind. Viel- 
leicht wäre auch zu erwägen, ob nicht die Unter- 
gestelle der Wagen zweckmäßiger stattaus Schmiede- 
eisen aus Holz (wie in England und Amerika) 
herzustellen wären; Holz ist elastischer und erzeugt 
auch beim Fahren weniger dröhnendes Geräusch. 
Unter den Wagen sind noch besonders zu erwäh- 
nen die aus Amerika überkommenen Schlafwagen 
und Speisewagen, durch die das Reisen nicht nur 
an Begquemlichkeit, sondern auch an Schnelligkeit 
sehr gewonnen hat. Die Speisewagen sind bei uns 
auch für die Reisenden der III. Klasse benutzbar. 
Die Güterwagen, die ursprüglich sämtlich offen 
waren, hatten zuerst eine Ladefähigkeit von 
100 Zentnern (5 t), zu denen später solche mit 
einer Ladefähigkeit von 200 Zentnern als sog. 
Doppelwaggons hinzutraten. Mit zunehmendem 
Verkehr wurde die Ladefähigkeit der Güterwagen 
erhöht; auch baute man neben den offenen ge- 
schlossene Wagen. Das Verhältnis der geschlos- 
enen zu den offenen Wagen hat sich immer mehr 
zum Vorteil der ersteren verändert, so daß heute 
bei den festländischen Bahnen durchschnittlich auf 
zwei offene ein bedeckter Wagen kommt. In Eng- 
land, wo aber auch die Verhältnisse anders liegen, 
sind nur etwa 10 % der Güterwagen bedeckt. 
In Preußen bestand Ende des Jahrs 1906 der 
Güterwagenpark aus 
— 
19,1% Wagen von 10 t Ladegewicht, 
19,5 2 7 7“ 12,5— 4,9 t “ 
56,5% » » 15 t „ und 
2 00 20 t „d u. darüber. 
Seitdem wird die Zahl der Güterwagen von 20t 
Ladegewicht immer mehr vermehrt, und es hat den 
Anschein, daß der 20 t-Wagen der Normalwagen 
werden wird. In letzter Zeit ist auch im Interesse 
der Industrie die Einführung der Selbstentladung 
in Aussicht genommen. Versuche, die mit Wagen 
von 30—40 t Ladegewicht gemacht worden sind,
	        
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