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herr sämtlicher auf seinem Territorium befindlichen
Bistümer und Abteien; kein Bischof konnte wider
seinen Willenernannt werden. Die Haut-Seigneurs
erteilten, wie oben bemerkt, Privilegien an Städte
und Dörfer, hatten das Münzregal und konnten
sogar königliche Münzen verbieten, stifteten ohne
Einwilligung des Königs Abteien und Bistümer,
durften frei Burgen und Befestigungen anlegen,
übten volle Zivil= und Kriminaljurisdiktion aus,
setzten sich in den Besitz der Regalien und waren
in ihrer Weise mächtiger als die deutschen Fürsten
jener Zeit. Fast alle diese Rechte genoß der nor-
mannische hohe Adel in England nicht; der niedere,
2) die barones minores, noch viel weniger. Auch
diese waren tenentes in capite, in ihrer Klasse
1400 weltliche Barone und andere, geistliche
Lehnsträger vorhanden. Sie alle konnten über
ihre unfreien Hintersassen Gerichtsbarkeit sich ver-
leihen lassen, durften aber nur in ganz kleinen
Straffällen summarisch verfahren; selbst die Leib-
eigenen waren nicht absolut rechtlos. 3) Die
altsächsischen, in diesen beiden Klassen nicht ver-
tretenen Thane. Sie mußten die ihnen belassenen
Güter den normannischen Baronen zu Lehen auf-
tragen. Die Zahl dieser Untervasallen betrug
nach dem Domesday-bock 7871. 4) Die freien
Bauern und kleinen Grundbesitzer. Auch diese
mußten in ein Lehnsverhältnis zu einem Grund-
herrn treten, den Treueid leisten und einen Teil
der Lehnslasten übernehmen. Dann 5) die zahl-
reiche unfreie Bauernschaft, die mit den eigent-
lichen Sklaven in vier Unterabteilungen zer-
fiel: 23072 Sochemanni, 108704 Villani,
82 119 Bordaril und 25 156 Leibeigene. Die
beiden ersten Unterabteilungen standen unter
königlichem Schutz gegen willkürliche Entsetzung
seitens der Ritter. Was den rechtlichen Zu-
stand dieser Unfreien betrifft, so verschlimmerte
dieser sich anfänglich nach der Eroberung sehr
wesentlich. Die Sklaven konnten nichts er-
werben, sich daher auch nicht loskaufen, wohl
aber von ihren Herren veräußert werden. In-
dessen schon mit den Plantagenets begann so-
wohl das Lehnswesen, dieses hauptsächlich durch
die Neuorganisation der sächsischen Nationalmiliz,
wie die Sklaverei zu verfallen; der Unterschied
zwischen Vasallen und Aftervasallen schwand, die
Ritterschaft aber gestaltete sich zu einem einheit-
lichen, geschlossenen Stand, ihre Lehnsdienste er-
setzte und löste sie durch Geldrenten ab. Einen
gänzlichen Umschwung brachte dann die Magna
charta von 1215 hervor. Dieser bis auf Hein-
rich VI. nicht weniger als 32mal bestätigte Grund-
vertrag, das Fundament der Verfassung, sanktio-
nierte vor allem die sächsischen Eigentumzgesetze
und Freiheitsrechte, welche die altsächsische Graf-
schaftsverfassung enthielt, wonach jeder, auch der
kleinste Grundbesitzer das Recht zur Teilnahme
an den Grafschaftsversammlungen und in Steuer-
fragen eine Stimme hatte. Damit schwand zunächst
die persönliche Unfreiheit der Hintersassen; zur Zeit
Agrargesetzgebung, Agrarpolitik.
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der Königin Elisabeth existierte keine Spur mehr
davon. Das Rechtsverhältnis zwischen den Herren
des Dominiums und den Hintersassen blieb ein rein
dingliches, am Gut haftendes; die aus alten
Zeiten noch stammenden Frondienste verwandelten
sich aus wirtschaftlichen Gründen in Geldabgaben.
Dann statuierte die Magna charta die Ver-
äußerlichkeit der Ritterlehen und legte den Grund
zu der Erblichkeit der Laßgüter, copyholds,
Grundbuchgüter. Diese copyholders (Abschrift-
halter) waren ursprünglich unfreie Bauern, wurden
aber in ihrem Besitz geschützt, sobald sie durch
Abschrift aus dem Register des Gutsherrn nach-
wiesen, daß sie und ihre Vorfahren seit unvordenk-
licher Zeit in dem Besitz ihres Landes gewesen.
Den Fronden aller Art blieben sie auch nach Ver-
fall der Leibeigenschaft unterworfen bis zur Gegen-
wart. Neue Copyholdgüter dürfen nicht mehr ent-
stehen, doch haben die Copyholders noch ungefähr
ein Achtel des ganzen englischen Grund und Bodens
inne, wogegen die nach der Eroberung übriggeblie-
benen freien Bauern, die Yeomen, welche freies
Land bis zu 40 Schillingen Rettoertrag hatten,
fast gänzlich ausgestorben und in die Klasse der
Zeitpächter herabgedrängt sind. Auch die Errich-
tung neuer Dominien (von Rittergütern) wurde
schon bald nach der Magna charta, 1272, unter-
sagt und deren Zahl geschlossen. Selbstredend
mußte dieses Staatsgrundgesetz auch auf die Ver-
erbung des Grundbesitzes eine bedeutende Wirkung
ausüben. Ursprünglich war in ganz England die
altsächsische gleichmäßige Vererbung des Grund-
besitzes auf alle Söhne (das sog. Gavelkind) die
Regel; nur bezüglich der borough English (bo-
rough ist ein Ort, der Abgeordnete ins Parlament
schickt) existierte ein abweichendes Gewohnheits-
recht, wonach der jüngere Sohn sukzedierte. Sitte
und Gewohnheiten führten aber schon früh in
Fällen, in welchen der Erblasser weder bei Leb-
zeiten veräußert noch verteilt und auch nicht testiert
hatte, ein Erstgeburtsrecht und Familienstiftungen
ein, aber gleichmäßig für Ritter-, Bürger= und
Bauerngüter. Unter Eduard J. (1273/1307)
setzte die damals sehr mächtige Ritterschaft mittels
des statutum de donis condicionalibus Auto-
nomierechte durch, deren wesentlichstes dahin ging,
daß der Wille des Verleihers eines Guts in be-
treff der Erbfolge in dasselbe, wie wegen der Haft-
barkeit für Schulden, nunmehr streng befolgt
werden sollte. Die englischen Gerichtshöfe aber
erfanden verschiedene Formen zur Umgehung des
Statuts und zur Erhaltung der freien Verfügungs-
befugnis über den Grundbesitz. Dennoch aber
blieb im eigentlichen England bezüglich aller
Güter, die ihren Ursprung aus der normannischen
Lehnsverfassung herleiteten, und der ihnen nach-
gebildeten die feudale Erbfolge in absteigender
Linie die Regel. Wie auf dem Kontinent, so strebte
auch in England der Adel dahin, sich durch die
Unveräußerlichkeit der Fideikommißgüter, des
entailed property, zu kräftigen, und setzte die