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wahlen unterliegen der Bestätigung durch die Re-
gierung nicht, wohl aber ist eine solche bei wich-
tigeren Akten der Vermögensverwaltung erforder-
lich. Das aktive und passive Wahlrecht zum Ge-
meinderat, ebenso zu den Bezirks= und Kreistagen,
steht jedem Reichsangehörigen zu, der das 25. Le-
bensjahr zurückgelegt hat und gewissen Voraus-
setzungen genügt, ohne Rücksicht darauf, ob er die
Staatsangehörigkeit in Elsaß-Lothringen besitzt
oder nicht. Der Bürgermeister wird auf sechs
Jahre vom Gemeinderat gewählt und vom Be-
zirkspräsidenten, in den großen Städten durch
kaiserliche Verordnung bestätigt. Die Vertretung
des Bezirks als geschlossenen Selbstverwaltungs-
körpers mit eigenem Vermögen erfolgt durch den
Bezirkstag, dessen Mitglieder sich aus je einem
Vertreter jedes Kantons zusammensetzen. Die Be-
zirkstage, denen der Bezirkspräsident vorsteht, tre-
ten jährlich auf Berufung durch kaiserliche Ver-
ordnung zusammen.
Handelskammern befinden sich in Straßburg,
Colmar, Mülhausen und Metz, die Mitglieder
werden von den selbständigen Kaufleuten und In-
dustriellen ihres Bezirks gewählt. Eine Hand-
werkskammer für Elsaß-Lothringen hat ihren Sitz
in Straßburg. Für die Interessen der Landwirt-
schaft besteht der Landwirtschaftsrat für Elsaß=
Lothringen (geschaffen durch kaiserl. Verordn.
vom 6. Nov. 1895, abgeändert 12. März 1900).
In der Rechtspflege sind nunmehr die Reichs-
gesetze maßgebend. Bezüglich der Gerichtssprache
genoß das Reichsland früher eine Ausnahme-
stellung, die jedoch Schritt für Schritt beseitigt
worden ist. Am 1. Jan. 1888 fielen die Ausnahme-
bestimmungen für die Verhandlungen der Gerichte
und Gerichtsvollzieher, am 1. Jan. 1889 die für
die Notare, so daß dann durch das Reichsgesetz
vom 12. Juli 1889 über die Geschäftssprache der
gerichtlichen Behörden in Elsaß-Lothringen die
deutsche Gerichtssprache für das Reichsland zur
Durchführung kommen konnte. An die Stelle des
Code civil trat am 1. Jan. 1900 das Bürgerliche
Gesetzbuch; vom 1. April 1910 an tritt auch das
Gesetz über den Unterstützungswohnsitz in Kraft
(Novelle vom 30. Mai 1908). — Unter dem
Oberlandesgericht in Colmar stehen 6 Land= und
77 Amtsgerichte. Außerdem bestehen 4 Kammern
für Handelssachen in Straßburg, Colmar, Mül-
hausen und Metz.
Die günstige Finanzlage des Reichslands
hat ihren Grund hauptsächlich in dem Umstand,
daß das Reich das Gebiet ohne jeden Anteil an
der französischen Staatsschuld übernahm. Das
Aktivvermögen besteht aus Domänen und Forsten
(146245 ha) sowie Kanälen und kanalisierten
Flüssen (411 km). Die (zu produktiven Zwecken
aufgenommenen) Staatsschulden betrugen 1908:
35,4 Mill. M#. Der Voranschlag für das Jahr
1907 beläuft sich in Ausgaben und Einnahmen
auf je 63 Mill. M. Die Finanzverwaltung erzielt
meist bedeutende Überschüsse (1905: 4 Mill. M).
Elsaß-Lothringen.
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In den Reichslanden befinden sich das XV.
(Straßburg) und XVI. (Metz) und Teile des XIV.
und II. bayerischen Armeekorps, welche ihren Er-
satz aus Altdeutschland erhalten, während die in
Elsaß = Lothringen ausgehobenen Mannschaften
meist in andere Armeekorps eingestellt werden.
Die allgemeine Wehrpflicht ist seit dem 1. Jan.
1873 eingeführt. Von den zahlreichen franzö-
sischen Festungen sind nur Bitsch, Neubreisach,
Diedenhofen, Straßburg und Metz beibehalten;
die beiden letzteren sind zu befestigten Plätzen ersten
Rangs verstärkt worden.
Landeswappen (kaiserl. Erlaß vom 29. Dez.
1891) ist der Reichsadler mit der schwebenden
Kaiserkrone und den Wappen der drei Landesteile
auf dem Brustschild. Als Landesfarben sind Rot
und Gelb für Lothringen und Gelb und Rot für
Elsaß (im Unterelsaß auch Rot und Weiß) in
Gebrauch; die Behörden bedienen sich des Reichs-
adlers und der Reichsfarben.
4. Religion und Unterricht. Anerkannte
Religionsgemeinschaften sind: 1) die katholische
Kirche, 2) die Kirche Augsburger Konfession und
die reformierte Kirche, 3) der jüdische Kultus.
Die Vermögensverwaltung erfolgt unter Staats-
aussicht. Die Geistlichen werden sämtlich vom
Staat besoldet.
Während die Reformation in Lothringen wenig
Anhang fand, nahm sie von den elsässischen
Städten im ersten Anlauf Besitz, und besonders
Straßburg wurde einer ihrer geistigen Mittel-
punkte. Der kalvinistisch gesinnte Rat unterdrückte
den katholischen Gottesdienst, und nur fremde
Hilfe rettete den altehrwürdigen Bischofsstuhl.
Erst gegen Ende des 16. Jahrh. wurde der Fort-
gang der Reformation durch die katholische Gegen-
reformation gehemmt, namentlich seitdem die Je-
suiten ihre Tätigkeit zu entfalten begannen. Unter
der französischen Herrschaft nahm die Zahl der
Protestanten immer mehr ab, und seit der Mitte
des 18. Jahrh. überwog in Straßburg wieder
das katholische Element (Müller, Die Restauration
des Katholizismus in Straßburg [1882)). Die
Zirkumskriptionsbulle vom 3. Dez. 18011 stellte
Straßburg und Metz unter die Metropole Be-
sangon. Dieses Verhältnis löste das Konsistorial-
dekret vom 10. Juli 1874, welches die beiden Bis-
tümer für exemt erklärte; die Bruchstücke des Bis-
tums Nanch auf deutschem Boden wurden zu Metz
geschlagen, während Straßburg das territoire
de Belfort verlor. Landesrechtlich maßgebend für
die katholische Kirche in Elsaß-Lothringen sind von
unbedeutenden Anderungen abgesehen das fran-
zösische Konkordat vom 10. Sept. 1801 und die
organischen Artikel vom 18. Germinal des Jahrs X.
Die beiden Dihzesen zerfallen in Pfarreien (Straß-
burg 92, Metz 55), Hilfspfarreien (617 bzw. 581)
und staatlich besoldete Vikariate (221 bzw. 119).
Der Bischof ernennt die Hilfspfarrer, mit landes-
herrlicher Genehmigung die Hauptpfarrer, Dom-
herren und Generalvikare. Religiöse Orden find