Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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jedoch erhielt er die Verwaltung Agyptens und 
gleichzeitig deren Erblichkeit in seiner Familie zu- 
gesichert (1841). Im folgenden Jahr mußte er 
im Zusammenhang mit seinen letzten kriegerischen 
Mißerfolgen auf Verlangen der Pforte auch das 
von ihm befolgte Monopolsystem opfern. In 
diesen Jahren begann sein Geist sich zu umnachten, 
so daß er schon 1844 seine Söhne zu Mitregenten 
machte. 1848 mußte Ibrahim die Regierung völlig 
übernehmen und wurde von der Pforte als sein 
Nachfolger bestätigt. Mehemed Ali starb am 2. Aug. 
1849. Er hinterließ eine gegen früher bedeutend 
nach Süden erweiterte Herrschaft; dank seinen ge- 
schickten militärischen und finanziellen Vorberei- 
tungen erwarb er, allerdings erst nach Wechsel- 
fällen ernsterer Art, das Gebiet nilaufwärts bis 
einschließlich Kordofan. Mehemed Ali, der zu 
seinen politischen Zwecken vor der blutigsten Grau- 
samkeit nicht zurückschreckte, unternahm doch auf 
die Nachricht harter Bedrückung der Bevölkerung 
am oberen Nil hin selbst 1838 eine Reise nach 
Chartum, bestrafte die schuldigen Beamten schwer 
umd ließ feierlich die Abschaffung der Sklaverei 
verkündigen. Die Mittel zu seinen großen Unter- 
nehmungen erwarb Mehemed Ali durch Belebung 
des ägyptischen Außenhandels. Letztere erreichte 
er auf dem gewaltsamen Weg des Monopol- 
systems, durch den den Fellahs auferlegten Zwang, 
ihre gesamte Ernte zu einem von der Regierung 
vorher bestimmten Preis an die Staatslager ab- 
zuliefern. Die gewerbliche Tätigkeit lenkte er 
großenteils aus der Hausindustrie in neue, von 
ihm angelegte Staatsfabriken über. Doch war 
der europäische Wettbewerb damit nicht aus dem 
Feld zu schlagen; Agypten als von der Natur zum 
Ackerbau bestimmtes Land bildet für die Entwick- 
lung der Industrie keine Grundlage und bietet 
für dieselbe keine Hilfsmittel; vor allem mußten 
die Anläufe zur Industrie unter dem erlahmenden 
Einfluß des Monopolsystems erfolglos bleiben: 
heute zeugen die Ruinen vieler Fabriken von der 
verfehlten Unternehmung Mehemed Alis. Wie 
bei den wissenschaftlichen Expeditionen, so bediente 
der Pascha sich auch bei seinen gewerblichen und 
handelspolitischen Plänen europäüscher Intelligenz. 
Finanzwirtschaftlich hatte Mehemed Ali Agypten 
derart zerrüttet, daß es am Ende seines Regiments 
gänzlich erschöpft war. 
Ibrahim Pascha hatte nur eine kurze Regierung, 
vom Juli bis Nov. 1848. Dann erhielt Abbas I., 
ein Enkel Mehemed Alis, die Statthalterschaft 
(Nov. 1848 bis Juli 1854). Den Europäern 
gegenüber ganz andern Grundsätzen folgend als 
sein Großvater, entließ er fast alle europäischen 
Beamten. Als auf Veranlassung der Mächte die 
Türkei 1851 von ihm verlangte, daß er die in 
der Türkei 1840 eingeführte staats= und zivil- 
rechtliche Gleichheit der Christen mit den Mo- 
hammedanern einführen solle, weigerte er sich. Es 
gelang ihm schließlich, die Pforte nicht nur zum 
Verzicht auf ihre Forderung, sondern zu weiteren 
  
Agypten. 
  
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Zugeständnissen zu zwingen. Zur Hebung der 
wirtschaftlichen Lage und Kraft des Volkes er- 
mäßigte Abbas die drückendsten Steuern und min- 
derte die Heeresausgaben; doch mußte er mit Flotte 
und 15 000 Mann am Orientkrieg teilnehmen. 
Den Gedanken des Handelsmonopols griff er 
wieder auf. 1854 wurde unter ihm die erste ägyp- 
tische Eisenbahn (Teilstrecke Alexandria-Kaffr es- 
Sajjat) eröffnet. Abbas' für Sicherheit des Lebens 
und Eigentums wohltätiger Strenge kann man es 
zuschreiben, daß er durch Erdrosselung endete. Auf 
Abbas folgte Mehemed Alis vierter, 1822 ge- 
borner Sohn Said (Juli 1854 bis Jan. 1863). 
Derselbe zog wiederum die Europäer an sich; sein 
Name bleibt mit der Herstellung des Sueskanals, 
zu dessen Erbauung er trotz aller feindseligen Um- 
triebe der Engländer Lesseps die Konzession er- 
teilte, für immer verknüpft. Er stellte Lesseps außer 
der Zusage der nötigen Arbeitskräfte — Fron- 
dienste der Fellahs — durch Ubernahme von Aktien 
auch reiche Geldmittel zur Verfügung. Damit 
war der erste Schritt zu einer Entwicklung getan, 
welche das Land schließlich in die Hände der Eng- 
länder liefern sollte. Es kam die Aufnahme der 
ersten ägyptischen Staatsanleihe des Jahrs 1862 
im Betrag von 2195 200 Pfund Sterling zu 
dem nur von den Anleihen 1868 und 1870 (75%) 
unterbotenen Ausgabepreise von 821⅛ %% bei 7% 
Verzinsung, wie sie bei den ersten neuen Anleihen 
üblich war. In demselben Jahr folgte eine zweite 
Anleihe (1097 600 Pfund Sterling) zu 84 ½ % 
Ausgabepreis. 
Ismail (Jan. 1863 bis Juni 1879), geboren 
1830 als Sohn Ibrahims, erlebte die Wendung 
in dem mit Mehemed Ali begonnenen politischen 
und volkswirtschaftlichen Drama, indem er gleich- 
zeitig auch die Hauptschuld auf sich lud. In Paris 
erzogen, suchte Ismail der europäischen Kultur 
in Agypten auf jede Weise Eingang zu verschaffen: 
er hob das Schulwesen, errichtete die ersten Mäd- 
chenschulen, förderte die öffentlichen Bauten, den 
Verkehr in umfassendstem Maß und gab seinem 
Ehrgeiz durch kostspielige, erfolgreiche Eroberungs- 
züge in den Sudan nach. Die nebst Chartum 
und Kordofan heute Agypten wieder verloren ge- 
gangenen Provinzen Dar-Fur, Bahr el-Abiad, 
Bahr el--Ghasal und Aquatoria sowie das So- 
malireich Harar fügte Ismail der ägyptischen 
Herrschaft hinzu. Von der Pforte kaufte er die 
Häfen Suakin, Massaua, Zeila und Berbera. 
Seiner Glanzliebe trugen Anderungen in dem 
staatsrechtlichen Verhältnis zur Türkei Rechnung: 
ein Ferman vom. 8. Juni 1867 verlieh ihm den 
Titel Khedive mit dem Prädikat Hoheit und dem 
Rang eines Großwesirs; freilich mußte dieses 
sormelle Zugeständnis mit der Erhöhung des an 
die Türkei zu zahlenden Tributs auf fast den 
doppelten Betrag erkauft werden. Am 8. Juni 
1873 wurde ihm unter nochmaliger Erhöhung des 
Tributs eine Reihe weiterer Rechte verliehen, die 
sich auf Gesetzgebung, Rechtspflege, Münzprägung,
	        
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