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geschwader nach Agypten. Arabi bildete ein neues
Ministerium und ließ, über die Staatsgelder frei
verfügend, im Land gegen die Ausländer hetzen,
welche jetzt zum Teil Agypten verließen. Am
25. Mai forderten England und Frankreich die
Entfernung Arabi Paschas und ein neues Kabinett.
Tewfik aber, vom Militär bedroht, ernannte Arabie
wieder zum Kriegsminister. Am 11. Juni 1882
erfolgte in Alexandria ein Gemetzel unter den Euro-
päern, ohne daß die im Hafen liegenden englischen
und französischen Schiffe eingriffen. Agypten ent-
ledigte sich nun aller Ausländer. In Konstanti-
nopel traten am 28. Juni die Vertreter der sechs
Großmächte zu einer Konferenz zusammen. In-
zwischen überließ Frankreichs unüberlegte Politik
England allein das Feld; die Schiffe des letzteren
beschossen am 11. und 12. Juli Alexandria, dessen
Pöbel den Schrecken zu Plünderungen benutzte.
Anfangs abgeneigt, in Agypten einzuschreiten, er-
klärte sich der Sultan kurz darauf hierzu bereit;
nun aber war es zu spät. England hatte bereits
die Hand auf Agypten gelegt und hinderte den
Sultan am Eingreifen. Britische und indische
Truppen schlugen Arabi bei Tell el-Kebir, und
der Khedive löste das ägyptische Heer auf. Arabie
Pascha wurde vor ein britisches Kriegsgericht ge-
stellt, zum Tod verurteilt, aber zum Aufenthalt in
Ceylon begnadigt. England sicherte sich nun die
Kontrolle der Verwaltung Agyptens und die Auf-
sicht über den Sueskanal. Das von ihm lang er-
strebte Ziel war erreicht. Daß gleichzeitig die
Provinzen im Sudan an die Mahdisten verloren
gingen, war im Vergleich zu dem Erreichten für
England vorderhand nebensächlich, in der Hinsicht
sogar erwünscht, daß es den Engländern einen
Vorwand zu längerem Verweilen am Nil gab;
daher die Lauheit der Unternehmungen zum Ent-
satz Chartums, daher das traurige Ende Gordon
Paschas. England besetzte die Häsen des Roten
Meeres Suakin und Massaua sowie am Nil
Assuan, Korosko und Wadihalfa, den Sudan
seinem Schicksal überlassend.
Von 1879 bis 1882 hatten ein französischer
und ein englischer Generalkontrolleur gemeinsam
die ägyptischen Finanzen beaufsichtigt; nunmehr
verblieb diese Aufgabe ausschließlich einem Eng-
länder, welcher im ägyptischen Ministerrat durch
sein unbedingtes, nicht zu motivierendes Veto einen
fast souveränen Einfluß auf die Finanzverwaltung
erhielt und damit auch auf die Verwaltung selbst.
England war es auch, welches nach der Nie-
derwerfung des Aufstands die Neuorganisation
der Verwaltung durch seine Beamten besorgte,
während gleichzeitig alle andern ausländischen Be-
amten beseitigt wurden. Englands Bestreben war
es nun, die Finanzen zu heben und den Wohl-
stand zu fördern. Dabei geschahen mancherlei
Mißgriffe, welche wie das übrige unsympathische
Vorgehen der Engländer die üble Stimmung gegen
letztere in Europa verstärkten. Frankreich und
Rußland steckten sich 1885 hinter die Pforte, um
Agypten.
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England zu einer baldigen Räumung Agyptens
zu veranlassen; aber der 1882 begangene Fehler
war nicht wieder gutzumachen. Immerhin ließ
der Sultan wenigstens formell sein Ansehen in
Agypten durch Entsendung eines Kommissärs
wahren. Frankreich veranlaßte dann 1887 Eng-
land zum ausdrücklichen Zugeständnis der un-
bedingten Neutralität des Sueskanals.
Der Khedive Tewfik starb 7. Jan. 1892. Sein
jugendlicher Nachfolger Abbas II. empfand ganz
besonders bitter den englischen Druck; aber trotz
seiner Tatenlust und Willenskraft war es ihm
nicht mehr möglich, die Macht der Engländer zu
brechen. Die Minister mußte er sich aufzwingen
lassen; überhaupt suchte England das Ansehen
des Khedive möglichst herabzusetzen. 1896 unter-
nahmen die Engländer im Zusammenhang mit
den Kämpfen der Italiener in Abessinien einen
Vorstoß gegen den Mahdi, welcher die Wieder-
gewinnung Dongolas zur Folge hatte, dann
aber wegen Mangels an Mitteln eingestellt wurde.
Die vereinigten Mächte Frankreich und Rußland
hatten gegen die Verwendung ägyptischer Geld-
mittel zu diesem Feldzug protestiert, so daß
England die Kosten tragen mußte. Alsbald
nahm aber England gemeinsam mit Agypten das
Unternehmen wieder auf und verknüpfte dadurch
die englisch-ägyptischen Interessen auf das engste.
Der Feldzug wurde systematisch vorbereitet, so
durch Anlage einer Militäreisenbahn durch die
Wüste von Wadihalfa nach Chartum. 1898
war die Zerstörung des Mahdireichs eine Tatsache.
Die englisch-ägyptische Armee drang tief in den
Sudan vor und reichte den Engländern in Uganda
die Hand. Dabei wurde der verspätete französische
Versuch, in Faschoda am obern Nil Fuß zu fassen,
vereitelt. In der Wirtschaftsgeschichte Agyptens
epochemachend war die Vollendung des Nilstau-
werks bei Assuan im Jahr 1902. Wie mit der
wirtschaftlichen Hebung und der Ordnung der
Finanzen im allgemeinen, so haben die Engländer
— von der gleichzeitigen energischen Verfolgung
ihrer Interessen abgesehen — dem Land mit dem
Bau des Stauwerks, dem eine ähnliche, noch be-
deutendere Anlage alsbald folgt, eine sehr große
Wohltat erwiesen. Das zeigte sich im Jahr 1907,
in welchem der Wasserstand des Nils mit Aus-
nahme des Jahrs 1877 seit Menschengedenken
der niedrigste war, dagegen nicht, wie 1877, eine
Hungersnot eintrat, sondern z. B. der Baumwoll-
ertrag über alle Erwartung hinausging.
Nachdem Frankreich noch lange den zum großen
Teil selbstverschuldeten Verhältnissen in Agypten
gegrollt hatte, trug die neu angebahnte entente
cordiale zwischen Frankreich und England als
erste Frucht das Abkommen vom 8. April 1904,
das vor allem Agypten den Engländern freigab,
soweit Frankreich dabei in Betracht kam. Die eng-
lische Politik in Agypten, getragen bis 1907 von
Lord Cromer, den dann Sir Eldon Gorst ersetzte,
fühlte sich nun ganz ungebunden und gab dem Land