Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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1902 aktuell. Vor allem wird mit Recht die 
Forderung nach größerer Offentlichkeit sowohl hin- 
sichtlich der Tätigkeit des Aufsichtsrats wie des 
gleich zu besprechenden Vorstands erhoben, da beide 
oft nach Veröffentlichung des Geschäftsberichts 
und Beantwortung etwaiger Fragen einzelner 
Aktionäre in der Generalversammlung ihre Pflicht 
gegenüber den Aktionären erfüllt zu haben glauben. 
Unter dem Vorwand, daß das Geschäftsinteresse 
geschädigt oder der Aktienkurs beeinflußt wird, 
wird sonst gern die Auskunft verweigert. Auch 
gegen die oft eine starke Uberwertung der geleisteten 
Dienste darstellenden hohen Tantiemen und die 
sachlich unbegründete Häufung von Aussichts- 
mandaten bei gewissen Personen wird stark agitiert. 
Als das dritte Organ ist der Vorstand ge- 
nannt. Ihm obliegt die eigentliche geschäftliche 
Leitung des Unternehmens, zunächst unter Aussicht 
des Aufsichtsrats und dann unter der Kontrolle 
der Generalversammlung, welche dieselbe ausübt 
durch die Prüfung des Geschäftsergebnisses und 
der Bilanz. Über die Aufstellung der Bilanz ent- 
halten die meisten Statuten der Aktiengesellschaften 
detaillierte Bestimmungen, die zum Teil da, wo 
das Aktienrecht kodifiziert ist, gesetzlich normiert 
sind. Auch hier trifft das deutsche Gesetz über die 
Grundsätze, wie die Bilanz aufzustellen, der Rein- 
gewinn zu berechnen ist, detaillierte Bestimmungen. 
Die beiden verwaltenden Organe, Aussichtsrat 
und Vorstand, haften für ihre Geschäftsführung 
den Aktionären nach den Grundsätzen der Sorg- 
falt „eines ordentlichen Geschäftsmanns“. In 
einzelnen Gesetzgebungen sind außerdem für den 
Fall einer Verletzung gewisser Pflichten der beiden 
genannten Organe öffentliche Strafen festgesetzt; 
so im deutschen Gesetz, im französischen und im 
belgischen. Außerdem sind im deutschen Gesetz eine 
ganze Reihe von Taten oder Unterlassungen unter 
besondere Strafe gestellt, welche an und für sich 
unter das gemeine Strafrecht fallen. Die Berech- 
tigung dieser Ausnahmsstraffälle liegt in dem 
Charakter der Aktiengesellschaft begründet, da die 
Eigentümer des Geschäftskapitals nicht selber Ge- 
schäftsführer sind, sondern die Geschäftsführung 
auf Treu und Glauben dritten Personen über- 
lassen müssen. Als eine weitere Maßregel, eine 
solide Geschäftsführung zu erzwingen und die 
Aktionäre sowohl als die Gläubiger der Aktien- 
gesellschaften vor Verlusten möglichst zu bewahren, 
ist die Schaffung und Dotierung eines Reserve- 
sonds zu betrachten. Hatten schon die Statuten 
der meisten Aktiengesellschaften Reservefonds vor- 
gesehen, so hat doch die deutsche Gesetzgebung seit 
1884 denselben gesetzlich und obligatorisch gemacht 
durch die Bestimmung, daß vor der Verteilung 
irgend eines Reingewinns ein Zwanzigstel des- 
selben in den Reservefonds zu fließen habe, bis 
derselbe ein Zehntel des Grundkapitals erreicht 
hat; ihm ist auch gesetzlich und obligatorisch der- 
jenige Gewinn zuzuführen, welcher bei Ausgabe 
neuer Aktien zu einem höhern Preis als dem 
Aktiengesellschaft. 
  
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Nennwert über diesen hinaus (Agio) erzielt wird. 
Die neuere Fassung des deutschen Aktienrechts 
fügt als weitere obligatorische Quelle für Dotierung 
des Reservefonds noch die Beträge derjenigen Zu- 
zahlungen hinzu, welche von Aktionären gegen Ge- 
währung von Vorzugsrechten für ihre Aktien ge- 
leistet werden, sofern die Zuzahlung nicht zur 
Deckung außerordentlicher Abschreibungen oder 
außerordentlicher Verluste Verwendung findet. 
Als Schutz des Publikums, das mit der Aktien- 
gesellschaft zu tun hat, und der Aktionäre gilt das 
Erfordernis der öffentlichen Bekanntmachung. Ein 
Teil der diesbezüglichen Gesetzgebungen knüpft die 
Entstehung der Aktiengesellschaft selbst an die Tat- 
sache der erfolgten öffentlichen Bekanntmachung, 
während andere Gesetzgebungen diese Bekannt- 
machungen nur unter Strafandrohung fordern. 
Das deutsche Handelsgesetz statuiert, daß der 
Aktienverein vor der Eintragung nicht existiert, 
und stellt gleichzeitig die Nichtanmeldung unter 
Strafe. 
Die Kommanditgesellschaften auf 
Aktien, bei denen mindestens ein Gesellschafter 
unbeschränkt haftet, während die Kommanditisten 
nur mit ihren Einlagen auf das in Aktien zerlegte 
Grundkapital beteiligt sind, kommen für Neu- 
gründungen kaum noch in Betracht. Aufgebaut 
auf dieser rechtlichen Grundlage sind jedoch noch 
mehrere ältere Unternehmungen, die in der Zeit 
gegründet wurden, als die Aktiengesellschaft noch 
der staatlichen Genehmigung bedurfte. 
Literatur. Pöhls, A.en (1842); Renaud, 
Recht der A.en (21875); Auerbach, Aktienwesen 
(1873); Löwenfeld, Recht der A.en (1879); Leh- 
mann, Gesch. Entwicklung des Aktienrechts bis zum 
Code de Commerce (1895); ders., Recht der A.en 
(1898); Weyl, Handbuch des deutschen Aktienrechts 
(3 Tle, 1896 ff); Keyßner u. Simon, A. u. Komman- 
ditgesellsch. auf Aktien (/1900); Cosack, Lehrb. des 
Handelsrechts (51903); Pinner, Deutsches Aktien- 
recht (1899); R. u. F. Esser, Die A. (31907); Alex- 
ander-Katz u. Dyhrenfurth, Die A. usw. (1899); 
Rießer, Neuerungen im deutsch. Aktienrecht (1899); 
v. Körösy, Die finanziellen Ergebnisse der A.en 
1874/98 (1901); Wagon, Die finanzielle Entwick- 
lung deutscher A.en usw. (1903); Rehm, Bilanzen 
der A.en (1903); Klein, Neuere Entwicklung in 
Verfassung u. Recht der A.en (1904); Passow, 
Wirtsch. Bedeutung u. Organisation der A. (1907); 
Arnold, Die Aufschlußpflicht von Vorstand u. Auf- 
sichtsrat gegenüber d. Generalversammlung (1908). 
— Landauer, Österr. Aktienrecht (1906). — Kom- 
mentare zum deutsch. Aktienrecht von Ring (21892), 
Keyßner (51900), Esser (31907) usw.; Kommentar 
zum deutschen H.G.B. von Staub (51906/07).— 
Zeitschriften: „Monatsschr. f. Handelsrecht u. Bank.- 
wesen“, hrsg. von Holdheim; „Der Aktionär" usw. 
Statistisches: Salings „Börsenjahrbuch“; „Hand- 
buch der deutschen A.en“; Der „Kompaß, finan- 
zielles Jahrbuch" (für Osterreich). Zeitschrift: „Der 
deutsche Okonomist“; „Vierteljahrshefte zur Stati- 
stik des Deutschen Reichs“ (seit dem Jahrg. 1907); 
Moll, Problem einer amtl. Statistik der deutschen 
A.en (1908). lv. Steinle, rev. Sacher.)
	        
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