Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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(das Edikt de gravaminibus), burch welches alle 
Antenuptial-Stipulationen kassiert, deren Ver- 
bindlichkeit ausgehoben und die Bestimmung ge- 
troffen wurde, daß die Kinder nach dem Ge- 
schlechte der Religion der Eltern folgen sollten. 
Diese Bestimmung kam nach Lage der Verhält- 
nisse den Protestanten zugute; es wurden aber 
auch noch Ausnahmen zugunsten der Protestanten 
zugelassen. Einen tiefen Eingriff in das kirchliche 
Eherecht enthielt das Militär-Konsistorialregle- 
ment, wonach gemischte Ehen und Ehen katholi- 
scher Brautleute, wenn der Bräutigam zur Militär- 
gemeinde gehörte, immer vor dem protestantischen 
Feldprediger geschlossen werden mußten. Erst 1774 
erlangte Papst Klemens XIV. das Zugeständnis, 
daß die Katholiken in der Armee nach Zahlung 
der Gebühren an die Feldprediger die Trauung 
und die Taufe der Kinder von katholischen Geist- 
lichen vornehmen lassen durften. 
Wenn vielfach das Verhältnis Friedrichs II. 
zu den Jesuiten als Beweis einer der katho- 
lischen Kirche wohlwollenden Gesinnung aufgefaßt 
wird, so ist festzuhalten, daß der entscheidende 
Grund für die Beibehaltung des Ordens in 
Schlesien die guten Dienste waren, welche derselbe 
im Schulwesen leisten konnte; im übrigen wurde 
in die innere Verfassung auch dieses Ordens rück- 
sichtslos eingegriffen. Bei manchen seiner kirchen- 
politischen Maßregeln leitete den König augen- 
scheinlich die Besorgnis wegen der Treue seiner 
neuen schlesischen Untertanen. Schon ein „nicht 
publique“ zu machender Kabinettsbefehl an das 
Feldkriegskommissariat (im Lager bei Friedland, 
11. Okt. 1741) hatte bestimmt: „daß hinfüro 
die ersten regierenden Bürgermeister-Stellen, des- 
gleichen die Syndici und Kammerer in denen 
niederschlesischen Städten überhaupt nicht anders 
als mit Subjektis, welche der evangelischen Reli- 
gion zugetan seind, besetzet werden, die Katho- 
lischen hergegen sich mit dem zweiten Konsulat 
und mit Ratsherrnbedienungen begnügen müssen“. 
In Oberschlesien wurden „Surveillants“ zur 
Überwachung der Geistlichen angestellt und be- 
soldet, den „gutgesinnten“ Geistlichen die besten 
Benefizien zugewendet, von dem gesamten Klerus 
nach der endgültigen Einverleibung Schlesiens 
ein Treueid in einer allen religiösen Grundsätzen 
widersprechenden Form verlangt und das wider- 
strebende Breslauer Domkapitel mit Landesver- 
weisung bedroht; ein Dekret vom 19. Dez. 1758 
legte der Geistlichkeit auf, den zehnten Teil ihres 
Einkommens an die Militärkasse zu zahlen. Die 
gesamte Kirchenpolitik Friedrichs II. läßt sich zu- 
sammenfassend dahin kennzeichnen, daß er die 
Selbständigkeit der katholischen Kirche für unver- 
einbar mit seiner „Souveränität“ hielt, daher 
alle ihre Lebensäußerungen gemäß den Erforder- 
nissen der Staatsraison, wie er sie verstand, zu 
reglementieren suchte. 
Im staatskirchlichen Geiste waren auch die das 
Verhältnis von Staat und Kirche betreffenden 
Kirchenpolitik, preußische. 
  
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Normen des unter Friedrichs II. Nachfolger (im 
Jahre 1794) publizierten Allgemeinen Land- 
rechts gehalten. Wie Laspeyres (Gesch. u. heu- 
tige Verfassung der kath. Kirche) zugesteht, hielt 
dieses Gesetzgebungswerk „die Verhältnisse der 
katholischen und der evangelischen Kirche durch- 
gängig nicht auseinander; es hat bei legislativer 
Feststellung der kirchlichen Verhältnisse der evan- 
gelische Gesichtspunkt hier und da das Ubergewicht, 
die Gesetzgebung sozusagen eine protestantische 
Färbung gewonnen“. Nirgends findet sich in dem- 
selben irgend welche Anerkennung der organischen 
Verbindung der katholischen Kirche Preußens mit 
dem römischen Stuhle. Im Hinblick auf die 
mangelhafte Berücksichtigung der Verfassung und 
Jurisdiktion der katholischen Kirche, welche in dem 
Allgemeinen Landrecht zutage tritt, gibt der vor- 
genannte Schriftsteller zu bedenken, „daß überall 
und zumeist innerhalb des katholischen Bekennt- 
nisses die gesellschaftliche Organisation der Kirche 
und die Handhabung des geistlichen Regimentes 
im engen Zusammenhang steht mit dem der ein- 
zelnen Kirche eigentümlichen Lehrbegriff“, sowie 
„daß die Glaubens= und Gewissensfreiheit, gleich- 
viel ob aus bloßer Duldung oder förmlicher An- 
erkennung beruhend, nicht schlechthin auf den Kreis 
der individuell persönlichen Uberzeugung, des un- 
gehinderten Kultus, freier Gestattung der Lehr- 
und Seelsorgetätigkeit und ungeschmälerter bürger- 
lich-politischer Rechtsfähigkeit beschränkt werden 
könne". Die auf die Erziehung der Kinder aus 
gemischten Ehen bezüglichen Bestimmungen des 
Allgemeinen Landrechts stellten für Schlesien die 
Fortbildung der Vorschriften des Edikts von 1750 
dar und verschärften insbesondere noch das Verbot 
von Verträgen der Ehegatten über die Erziehung 
der Kinder. 
Schroffer noch als in den bis dahin mit dem 
Staate Preußen vereinigten Landesteilen wurde 
der staatskirchliche Gedanke in den polnischen 
Gebieten zur Geltung gebracht, welche infolge 
der verschiedenen Teilungen Polens an Preußen 
sielen. Obwohl auch hier den Römisch-Katho- 
lischen in betreff der Religion der status quo 
feierlich gewährleistet worden war, wurde eine 
umfassende Säkularisation des Kirchengutes vor- 
genommen. Die Kabinettsorder vom 1. Nov. 
1772, welche in Westpreußen und dem Netze- 
distrikt den Stisten und Klöstern die eigene Ver- 
waltung ihrer Güter entzog, enthielt den Vermerk: 
„Denen Geistlichen wird bei Abnahme ihrer Güter 
und liegenden Gründe zur Ursach angegeben, daß 
solches in der Absicht geschehe, damit sie durch 
deren Bewirtschaftung nicht distrahiert und von 
ihren geistlichen Verrichtungen um so weniger be- 
hindert werden möchten.“ Eine Verordnung vom 
Jahre 1796 erklärte in den 1793 und 1795 an 
Preußen gefallenen Gebieten die Güter und 
Grundstücke der katholischen Geistlichkeit (mit 
alleiniger Ausnahme der zur Dotation von Pfar- 
reien und Kirchen bestimmten Güter) „als ein 
 
	        
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