Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

191 
überall, ihre Macht und ihren Einfluß immer mehr 
auszudehnen; sie haben beinahe hinsichtlich alle 
Pfarreien und sonstigen seelsorgerlichen Stellen das 
Patronat an sich gerissen. In den meisten Regie- 
rungsbezirken besetzen die Regierungen die Stellen, 
ohne auch nur von dem Bischof sich Vorschläge 
machen zu lassen, ohne die Personen gehörig zu 
kennen; in Magdeburg z. B. fertigt sie dem Er- 
lesenen die Ernennungsurkunde aus und überläßt 
es ihm, mit dem Bischof hinsichtlich der kanonischen 
Kollation und Investitur sich zu benehmen. Ver- 
setzungen und Entsetzungen der Geistlichen sind mit 
manchen Schwierigkeiten verbunden, weil kein 
Geistlicher ohne Plazet in eine Stelle eingewiesen 
werden kann. Auf die Seminarien und theologi- 
schen Lehranstalten übt der Staat großen Einfluß 
und lähmt und beschränkt dabei in vielfacher Hin- 
sicht die geistliche Gewalt. Die Errichtung dieser 
Anstalten, die Ernennungen der Lehrer, die Be- 
stimmung der Lehrfächer hängt größtenteils von 
den Staatsbehörden ab; selbst zur Ernennung der 
Direktoren oder Regenten in den Seminarien wird 
ein landesherrliches Plazet erfordert. Die Kirchen- 
rechnungen prüfen die Regierungen, sie stellen die 
Kirchenetats fest, und so geschieht es nicht selten, 
daß ein protestantischer Rat bestimmt, wie viel 
Meßwein und Wachs, wie viele Hostien usw. in 
einer katholischen Kirche gebraucht werden sollen. 
Das kirchliche Bauwesen befindet sich ganz in der 
Gewalt der Regierungen. Die milden Stiftungen 
sind den Geistlichen entzogen, und die Aussicht 
darüber, soweit nicht die Verwaltung vom Stifter 
ausdrücklich der Kirche übertragen ist, der eiskalten 
Regierung beigelegt. Das Unterrichts= und Er- 
ziehungswesen ist zum Monopol des Staates und 
zum Ruin der Kirche gemacht. Auf Staatskosten, 
wozu die Katholiken beitragen, werden in ehemals 
rein katholischen Orten protestantische Pfarreien 
und Schulen errichtet, aber nicht eine einzige 
katholische. Im Sommer 1834 wurde jede Ordi- 
nation zum Priester von einem Staatsministerial- 
beschluß abhängig gemacht, damit kein Demagoge 
geweiht würde. An den höheren Staats= und Pro- 
vinzialämtern haben die Katholiken keinen Teil, 
auf die Regierung und Verwaltung haben sie keinen 
Einfluß. „Wäre in der Kirche“, so bemerkt der 
Verfasser, „nicht ein göttliches Lebensprinzip, das 
durch keine menschliche Gewalt zerstört werden kann, 
wir und die kommenden Geschlechter würden nur 
unter Ruinen umherirren.“ 
Erzbischof Ferdinand August starb alsbald nach 
Abschluß der verhängnisvollen geheimen Konven- 
tion über die gemischten Ehen. Während dieser 
Kirchenfürst in dem Entgegenkommen gegen die 
Wünsche der Staatsgewalt bis an die äußerste 
Grenze ging, war sein Nachfolger Klemens 
August Freiherr v. Droste zu Vischering ein 
Prälat von großer Entschiedenheit, der dem kirch- 
lichen Recht in keinem Punkt vergab. An das 
Breve vom 25. März 1830 sich haltend, beharrte 
er auf den Bürgschaften in betreff der katholischen 
Kindererziehung und ging auch gegen die der 
hermesianischen Lehre anhängenden Geistlichen 
vor. Als der Erzbischof sich jeder Beeinflussung 
unzugänglich erwies, wurde er auf Grund Be- 
schlusses des Ministerrates am Abend des 20. Nov. 
Kirchenpolitik, preußische. 
192 
1837 von dem damaligen Oberpräsidenten von 
Bodelschwingh gefangen genommen und nach 
Minden abgeführt. Eine vom 15. Nov. datierte 
Verfügung des Ministeriums der geistlichen An- 
gelegenheiten an das Metropolitankapitel zu Köln 
begründete diese Gewaltmaßregel mit dem Vor- 
gehen des Erzbischofs gegen die hermesianischen 
Professoren der katholisch-theologischen Fakultät 
zu Bonn, Vollziehung päpstlicher Bullen und 
Breven, sowie Erlaß bischöflicher Verordnungen 
ohne Staatsgenehmigung und namentlich mit 
seinem Verhalten in Sachen der gemischten Ehen. 
In letzterer Beziehung warf die Verfügung dem 
Erzbischof Wortbruch vor, da er vor seiner Be- 
stätigung die Erklärung abgegeben habe, die ge- 
mäß dem Breve Papst Pius' VIII. getroffene 
Vereinbarung nicht anfechten zu wollen, während 
Klemens August in einer später erschienenen Ver- 
teidigungsschrift feststellt, daß ihm bei seinem 
Amtsantritt die von seinem Amtsvorgänger ab- 
geschlossene geheime Konvention nicht bekannt ge- 
wesen sei und er bei seiner Erklärung auf der Ver- 
sicherung des Ministers gefußt habe, daß jene 
Konvention in Gemäßheit des päpstlichen Breves 
abgeschlossen worden sei. Eine gleichfalls unterm 
15. Nov. ergangene königliche Kabinettsorder 
untersagte dem Erzbischof die fernere Verwaltung 
seines Amtes. Hiervon wurde das Metropolitan- 
kapitel in der vorgedachten Ministerialverfügung 
behufs Vornahme der im Falle einer sedes im- 
pedita angemessenen Anordnungen in Kenntnis 
gesetzt. Endlich erging ein zum öffentlichen An- 
schlag bestimmtes, von den Ministern der geist- 
lichen Angelegenheiten, der Justiz sowie des Innern 
und der Polizei unterzeichnetes Publikandum, 
welches den Erlaß der Kabinettsorder nebst all- 
gemein gehaltener Begründung kundgab, jeden 
geschäftlichen Verkehr mit dem Erzbischof verbot 
und Zuwiderhandlungen mit einer Geldbuße von 
50 Talern bedrohte. Das Metropolitankapitel 
ließ sich alsbald zur Bestellung eines Kapitels- 
vikars bereit finden, während die katholische Be- 
völkerung, namentlich der Westprovinzen, durch 
die Verhaftung des Erzbischofs in große Er- 
regung geriet, welche besonders dadurch gesteigert 
wurde, daß die Regierung in der Verfügung an 
das Kapitel den Erzbischof auch revolutionärer 
Umtriebe beschuldigt hatte. Papst Gregor XVI. 
nahm sich in einer wenige Wochen nach der Ge- 
fangennahme Klemens Augusts veröffentlichten 
Allokution des Erzbischofs nachdrücklich an. 
Unter den Streitschriften jener Tage machte 
namentlich der „Athanasius“ Josephs v. Görres 
(s. d. Art.) einen gewaltigen Eindruck. Die 
Bischöfe von Münster und Paderborn widerriefen 
zu Anfang Januar 1838 ihre Zustimmung zu 
der geheimen Konvention. Auch alle andern. 
Bischöfe traten in der Angelegenheit der ge- 
mischten Ehen von der eingerissenen sog. milderen 
Praxis zurück; nur der Fürstbischof von Breslau, 
Graf v. Sedlnitzky, legte lieber sein Amt (am
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.