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überall, ihre Macht und ihren Einfluß immer mehr
auszudehnen; sie haben beinahe hinsichtlich alle
Pfarreien und sonstigen seelsorgerlichen Stellen das
Patronat an sich gerissen. In den meisten Regie-
rungsbezirken besetzen die Regierungen die Stellen,
ohne auch nur von dem Bischof sich Vorschläge
machen zu lassen, ohne die Personen gehörig zu
kennen; in Magdeburg z. B. fertigt sie dem Er-
lesenen die Ernennungsurkunde aus und überläßt
es ihm, mit dem Bischof hinsichtlich der kanonischen
Kollation und Investitur sich zu benehmen. Ver-
setzungen und Entsetzungen der Geistlichen sind mit
manchen Schwierigkeiten verbunden, weil kein
Geistlicher ohne Plazet in eine Stelle eingewiesen
werden kann. Auf die Seminarien und theologi-
schen Lehranstalten übt der Staat großen Einfluß
und lähmt und beschränkt dabei in vielfacher Hin-
sicht die geistliche Gewalt. Die Errichtung dieser
Anstalten, die Ernennungen der Lehrer, die Be-
stimmung der Lehrfächer hängt größtenteils von
den Staatsbehörden ab; selbst zur Ernennung der
Direktoren oder Regenten in den Seminarien wird
ein landesherrliches Plazet erfordert. Die Kirchen-
rechnungen prüfen die Regierungen, sie stellen die
Kirchenetats fest, und so geschieht es nicht selten,
daß ein protestantischer Rat bestimmt, wie viel
Meßwein und Wachs, wie viele Hostien usw. in
einer katholischen Kirche gebraucht werden sollen.
Das kirchliche Bauwesen befindet sich ganz in der
Gewalt der Regierungen. Die milden Stiftungen
sind den Geistlichen entzogen, und die Aussicht
darüber, soweit nicht die Verwaltung vom Stifter
ausdrücklich der Kirche übertragen ist, der eiskalten
Regierung beigelegt. Das Unterrichts= und Er-
ziehungswesen ist zum Monopol des Staates und
zum Ruin der Kirche gemacht. Auf Staatskosten,
wozu die Katholiken beitragen, werden in ehemals
rein katholischen Orten protestantische Pfarreien
und Schulen errichtet, aber nicht eine einzige
katholische. Im Sommer 1834 wurde jede Ordi-
nation zum Priester von einem Staatsministerial-
beschluß abhängig gemacht, damit kein Demagoge
geweiht würde. An den höheren Staats= und Pro-
vinzialämtern haben die Katholiken keinen Teil,
auf die Regierung und Verwaltung haben sie keinen
Einfluß. „Wäre in der Kirche“, so bemerkt der
Verfasser, „nicht ein göttliches Lebensprinzip, das
durch keine menschliche Gewalt zerstört werden kann,
wir und die kommenden Geschlechter würden nur
unter Ruinen umherirren.“
Erzbischof Ferdinand August starb alsbald nach
Abschluß der verhängnisvollen geheimen Konven-
tion über die gemischten Ehen. Während dieser
Kirchenfürst in dem Entgegenkommen gegen die
Wünsche der Staatsgewalt bis an die äußerste
Grenze ging, war sein Nachfolger Klemens
August Freiherr v. Droste zu Vischering ein
Prälat von großer Entschiedenheit, der dem kirch-
lichen Recht in keinem Punkt vergab. An das
Breve vom 25. März 1830 sich haltend, beharrte
er auf den Bürgschaften in betreff der katholischen
Kindererziehung und ging auch gegen die der
hermesianischen Lehre anhängenden Geistlichen
vor. Als der Erzbischof sich jeder Beeinflussung
unzugänglich erwies, wurde er auf Grund Be-
schlusses des Ministerrates am Abend des 20. Nov.
Kirchenpolitik, preußische.
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1837 von dem damaligen Oberpräsidenten von
Bodelschwingh gefangen genommen und nach
Minden abgeführt. Eine vom 15. Nov. datierte
Verfügung des Ministeriums der geistlichen An-
gelegenheiten an das Metropolitankapitel zu Köln
begründete diese Gewaltmaßregel mit dem Vor-
gehen des Erzbischofs gegen die hermesianischen
Professoren der katholisch-theologischen Fakultät
zu Bonn, Vollziehung päpstlicher Bullen und
Breven, sowie Erlaß bischöflicher Verordnungen
ohne Staatsgenehmigung und namentlich mit
seinem Verhalten in Sachen der gemischten Ehen.
In letzterer Beziehung warf die Verfügung dem
Erzbischof Wortbruch vor, da er vor seiner Be-
stätigung die Erklärung abgegeben habe, die ge-
mäß dem Breve Papst Pius' VIII. getroffene
Vereinbarung nicht anfechten zu wollen, während
Klemens August in einer später erschienenen Ver-
teidigungsschrift feststellt, daß ihm bei seinem
Amtsantritt die von seinem Amtsvorgänger ab-
geschlossene geheime Konvention nicht bekannt ge-
wesen sei und er bei seiner Erklärung auf der Ver-
sicherung des Ministers gefußt habe, daß jene
Konvention in Gemäßheit des päpstlichen Breves
abgeschlossen worden sei. Eine gleichfalls unterm
15. Nov. ergangene königliche Kabinettsorder
untersagte dem Erzbischof die fernere Verwaltung
seines Amtes. Hiervon wurde das Metropolitan-
kapitel in der vorgedachten Ministerialverfügung
behufs Vornahme der im Falle einer sedes im-
pedita angemessenen Anordnungen in Kenntnis
gesetzt. Endlich erging ein zum öffentlichen An-
schlag bestimmtes, von den Ministern der geist-
lichen Angelegenheiten, der Justiz sowie des Innern
und der Polizei unterzeichnetes Publikandum,
welches den Erlaß der Kabinettsorder nebst all-
gemein gehaltener Begründung kundgab, jeden
geschäftlichen Verkehr mit dem Erzbischof verbot
und Zuwiderhandlungen mit einer Geldbuße von
50 Talern bedrohte. Das Metropolitankapitel
ließ sich alsbald zur Bestellung eines Kapitels-
vikars bereit finden, während die katholische Be-
völkerung, namentlich der Westprovinzen, durch
die Verhaftung des Erzbischofs in große Er-
regung geriet, welche besonders dadurch gesteigert
wurde, daß die Regierung in der Verfügung an
das Kapitel den Erzbischof auch revolutionärer
Umtriebe beschuldigt hatte. Papst Gregor XVI.
nahm sich in einer wenige Wochen nach der Ge-
fangennahme Klemens Augusts veröffentlichten
Allokution des Erzbischofs nachdrücklich an.
Unter den Streitschriften jener Tage machte
namentlich der „Athanasius“ Josephs v. Görres
(s. d. Art.) einen gewaltigen Eindruck. Die
Bischöfe von Münster und Paderborn widerriefen
zu Anfang Januar 1838 ihre Zustimmung zu
der geheimen Konvention. Auch alle andern.
Bischöfe traten in der Angelegenheit der ge-
mischten Ehen von der eingerissenen sog. milderen
Praxis zurück; nur der Fürstbischof von Breslau,
Graf v. Sedlnitzky, legte lieber sein Amt (am