Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

199 
und Justizbehörden überließ. Der vom König 
als Norm für seine Kirchenpolitik hingestellte 
Grundsatz der Toleranz beruhte auf Gleichgültig- 
keit, wurde nicht überall folgerichtig angewandt 
und ließ sehr häufig die Verachtung aller positiven 
Religion durchblicken, von welcher Friedrich II. 
als Anhänger des Voltaireanismus beseelt war. 
Der Unglaube nahm schließlich infolge des von 
oben gegebenen Beispiels im Volke und unter der 
Geistlichkeit derart überhand, daß dem König selbst 
Bedenken kamen. 
Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., 
trat der Richtung der sog. Aufklärer alsbald 
entgegen. In dem Edikt vom 9. Juli 1788, die 
Religionsverfassung in den preußischen Staaten 
betreffend, sagt der König, er habe bereits mehrere 
Jahre vor seiner Thronbesteigung mit Leidwesen 
bemerkt, daß manche protestantische Geistliche sich 
ganz zügellose Freiheiten in Absicht des Lehr- 
begriffes ihrer Konfession erlaubten, verschiedene 
wesentliche Stücke und Grundwahrheiten der 
protestantischen Kirche und der christlichen Religion 
überhaupt verleugneten und in ihrer Lehrart einen 
Modeton annähmen, der dem Geiste des wahren 
Christentums völlig zuwider sei und die Grund- 
säulen des Christenglaubens am Ende wankend 
machen würde. Ein jeder Lehrer des Christen- 
tums, welcher sich zu einer der drei Konfessionen 
(der reformierten, der lutherischen, der römisch- 
katholischen) bekenne, müsse und solle dasjenige 
lehren, was der einmal bestimmte und festgesetzte 
Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religionspartei 
mit sich bringe. „Aus großer Vorliebe für die 
Gewissensfreiheit“ wolle jedoch der König jetzt 
noch nachgeben, daß selbst diejenigen in öffent- 
lichen Amtern stehenden Geistlichen, von denen es 
bekannt sein möchte, daß sie von den in dem Edikt 
bezeichneten Irrtümern (der Sozinianer, Deisten 
und Naturalisten und anderer Sekten) mehr oder 
weniger angesteckt seien, in ihren Amtern ruhig 
gelassen werden, unter der Bedingung jedoch, daß 
die Vorschrift des Lehrbegriffes ihnen bei der 
Unterweisung ihrer Gemeinden stets heilig und 
unverletzbar bleibe, entgegengesetzten Falles sie die 
angedrohte Strafe der Kassation oder eine noch 
härtere unfehlbar treffen werde. Ein weiteres 
Edikt, vom 19. Dez. 1788, setzte die Bücher- 
zensur auch für theologische und philosophische 
Schriften wieder in Kraft und übertrug dieselbe 
den Konsistorien. Eine am 14. Mai 1791 er- G 
richtete Examinationskommission in geistlichen 
Sachen erhielt die Aufgabe zugewiesen, „dahin zu 
sehen, daß das Religionsedikt nach allen seinen 
Punkten und Klauseln, die die Aufrechterhaltung 
der Orthodoxie und reinen christlichen Lehre be- 
treffen, allenthalben in Ausführung gebracht werde“. 
Die Hauptstütze des allen Religionsneuerungen 
abgeneigten Königs war in kirchlichen Fragen der 
Staatsminister v. Wöllner, der auch unter der 
Regierung Friedrich Wilhelms III. zu- 
nächst noch an der Spitze des geistlichen Depar- 
Kirchenpolitik, preußische. 
  
200 
tements blieb, trotz seiner Schmiegsamkeit aber 
alsbald entlassen wurde, weil er entgegen der 
königlichen Willensmeinung das Religionsedikt 
nochmals eingeschärft hatte. In einer Kabinetts- 
order vom 28. Jan. 1798 bedeutete der König 
dem Minister: die Religion müsse Sache des 
Herzens, des Gefühls und der eigenen Über- 
zeugung sein und bleiben und dürfe nicht durch 
methodischen Zwang zu einem gedankenlosen 
Plapperwerk herabgewürdigt werden, wenn sie 
Tugend und Rechtschaffenheit befördern solle. 
„Vernunft und Philosophie müssen ihre unzer- 
trennlichen Gefährten sein; dann wird sie durch 
sich selbst bestehen, ohne die Autorität derjenigen 
zu bedürfen, die es sich anmaßen wollen, ihre 
Lehrsätze künftigen Jahrhunderten aufzudrängen 
und den Nachkommen vorzuschreiben, wie sie zu 
jeder Zeit und in jedem Verhältnisse über Gegen- 
stände, die den wichtigsten Einfluß auf ihre Wohl- 
fahrt haben, denken sollen.“ Unter Friedrich 
Wilhelm III. wurde die Verstaatlichung der pro- 
testantischen Kirchengemeinschaft auch äußerlich 
vollzogen, indem die bisherigen geistlichen Be- 
hörden in Wegfall kamen und dem Ministerium 
des Innern eine Abteilung für den Kultus und 
öffentlichen Unterricht untergeordnet wurde; durch 
Kabinettsorder vom 3. Nov. 1817 wurde dann 
ein selbständiges Ministerium der geistlichen und 
Unterrichtsangelegenheiten gegründet. Anläßlich 
der 300jährigen Jubelfeier der Reformation brachte 
der König die Vereinigung der Luthera- 
ner und Reformierten aufs neue in An- 
regung. Als bezügliche Verhandlungen keinen 
durchschlagenden Erfolg hatten, erließ er im Jahre 
1822 eine Agende für seine Hofkirche, befahl die 
Einführung derselben für die Garnisonkirchen und 
empfahl sie allen Gemeinden des Staates. Im 
Jahre 1825 hatten von 7782 Kirchen bereits 
5343 die Agende angenommen. Seit 1830 galt 
die Agende und die Union der beiden Kirchen zur 
„evangelischen Landeskirche“ als Gesetz. Gegen die 
noch widerstrebenden Lutheraner ward mit großer 
Härte vorgegangen: ihre Anhänger wurden ge- 
pfändet und eingekerkert, ihre Geistlichen gefangen 
gesetzt und verfolgt. Erst im Jahre 1838 wurden 
die Zwangsmaßregeln gegen die Altlutheraner ge- 
mildert. 
Unter Friedrich Wilhelm IV. erlangten 
dieselben im Jahre 1845 ihre Anerkennung als 
emeinden der von der Landeskirche getrennten 
Lutheraner. König Friedrich Wilhelm IV. erwies 
sich auch der bureaukratischen Bevormundung der 
eigenen Kirchengemeinschaft abhold. Er sehnte sich 
danach, seine Kirchengewalt und oberbischöfliche 
Stellung in andere Hände niederzulegen, wenn 
er nur die richtigen hätte finden können. Was 
die Beziehungen der beiden christlichen Bekennt- 
nisse anlangt, so betonte der König das Gemein- 
same schärfer als das Trennende. 
König Wilhelm I. sprach sich in den ersten 
Regierungsjahren wiederholt gegen die Ortho-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.