Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

9 Kapital usw. 
wendung zu Produktionszwecken zu, dagegen ist 
sie in der Hand des Maschinenfabrikanten, der sie 
verkauft, umlaufendes Kapital, ebenso wie das 
Geld in der Hand des Kaufmanns (Böhm-Bawerk 
a. a. O. 22). 
Wenn man ferner als Eigentümlichkeit des 
stehenden Kapitals bezeichnet, daß es seine Be- 
stimmung ungleich schwerer wechseln könne als das 
umlaufende, so ist das nicht im buchstäblichen 
Sinne zu verstehen. Denn auch die umlaufenden 
Kapitalien können, streng genommen, ihre Be- 
stimmung nicht mehr wechseln. Die einmal zur 
Tuchfabrikation verwendete Wolle läßt keinen an- 
dern Gebrauch mehr zu. Aber weil sich die um- 
laufenden Kapitalien in einem einzigen Produk- 
tionsprozeß verzehren, hat man gerade deswegen 
sehr bald die Wahl, ob man den aus der produk- 
tiven Verwendung erzielten Erlös abermals in 
derselben Produktionsart investieren oder andern 
Produktionszwecken zuführen will. Also nur das 
Geld, als Ersatzmittel der Kapitalsgüter, hat diese 
Leichtigkeit, von einem Zweig der Produktion zu 
einem andern überzugehen. Eine solche Wahl- 
freiheit lassen natürlich die stehenden Kapitalien, 
die sich erst in einer längeren Reihe von Produk- 
tionsperioden allmählich abnutzen, wie Maschinen, 
Fabrikanlagen, viel seltener und nur nach längeren 
Zwischenräumen zu. 
Eine weitere, aber weit weniger berechtigte 
Unterscheidung ist die in produktives und 
Gebrauchskapital. Unter ersterem versteht 
man dann eben das eigentliche Kapital, d. i. das 
der Produktion beziehentlich dem Erwerbe dienende 
Vermögen, unter dem letzteren hingegen jene Güter, 
die, wie das Wohnhaus, das Wohnungsmobi- 
liar usw., eine längere persönliche Benutzung ge- 
statten. Es bedarf jedoch keines Beweises, daß 
der Ausdruck „Gebrauchskapital“ unzulässig ist, 
wenn man das Kapital als das der Produktion 
beziehentlich dem Erwerb dienende Vermögen 
definiert, weil jenes angebliche Gebrauchskapital 
weder der Produktion noch dem Erwerbe, sondern 
lediglich dem persönlichen Gebrauche oder Genusse 
dient, also überhaupt kein Kapital im eigentlichen 
Sinne, sondern sog. Genußvermögen ist. Im ge- 
wöhnlichen Leben nennt man freilich die dem per- 
sönlichen Gebrauche dienenden Güter Gebrauchs- 
kapitalien, weil man sich die Summe vergegen- 
wärtigt, welche die fraglichen Güter gekostet haben, 
und dann an die Möglichkeit denkt, diese Summe 
zum Erwerbe zu verwenden (Kleinwächter a. a. O. 
209). 
Zugleich aber wird klar, daß ein und derselbe 
Gegenstand als bloßes Gebrauchskapital, also 
Kapital im uneigentlichen Sinne, oder als Pro- 
dultivkapital, Kapital im strengen Sinne, gebraucht 
werden kann. Das Reitpferd, das sich der reiche 
Rentner aus Freude am Sport hält, ist Genuß- 
objekt; steht das nämliche Pferd im Stalle des 
Rennstallbesitzers oder Pferdeverleihers, so wird 
es durch Verleihen Erwerbsmittel, Kapital im 
  
10 
eigentlichen Sinne. Das gleiche gilt von dem 
Wohnhause, das ich selbst bewohne bzw. an andere 
vermiete. 
Es fragt sich nunmehr, ob als Kapital lediglich 
körperliche, materielle, zum Erwerbe verwendete 
Güter zu fassen seien, oder ob auch immaterielle 
Güter, die sich zu Erwerbs= oder Produktions- 
zwecken sehr nützlich erweisen können, zu demselben 
zu rechnen seien. Ein Teil der volkswirtschaft- 
lichen Schriftsteller versteht unter Kapital nur die 
materiellen Produktions (Erwerbs-MMittel. An- 
dere dagegen wollen auch die immateriellen Pro- 
duktions= beziehentlich Erwerbsmittel, wie die 
menschliche Arbeitskraft, Talente, Fähigkeiten, 
Kundschaft, Erfindungsprivilegien, den Staat 
u. dgl., als Kapitalien betrachtet wissen. So meint 
Roscher, es gebe auch unkörperliche Kapi- 
talien, die aus einer Produktion hervorgegangen 
seien, zu einer Produktion benutzt werden, wie jedes 
andere Kapital, meist aber durch den Gebrauch 
keine Abnutzung erleiden, ja wohl gerade erhalten 
werden. Viele von ihnen seien übertragbar, z. B. 
die Kundschaft einer angesehenen Firma, „andere 
wieder mit der menschlichen Arbeitskraft ebenso 
untrennbar verbunden, wie die Bodenmeliorationen 
mit ihrem Grundstücke, z. B. die höhere Fertig- 
keit, welche sich ein Arbeiter durch wissenschaftliche 
Studien, das größere Vertrauen, welches er durch 
lange Bewährung erworben hat. Das bedeutendste 
unkörperliche Kapital ist wohl bei jedem Volke der 
Staat selber, dessen wenigstens mittelbare Un- 
entbehrlichkeit zu jeder bedeutenderen wirtschaft- 
lichen Produktion klar genug einleuchtet“ (Roscher 
a. a. O. 100). 
Nun ist gewiß nicht zu verkennen, daß solche 
immaterielle Güter die Produktion und den Er- 
werb wesentlich beeinflussen und fördern können, 
z. B. die technischen Kenntnisse, die zu Erfin- 
dungen führen, das Renommee einer Geschäfts- 
firma, ja daß solche Güter, wie Erfindungspatente 
oder das Recht, eine Firma zu führen, oft Gegen- 
stand eines Rechtsgeschäftes sind und mitunter 
um hohe Summen verkauft werden. Erinnert sei 
in dieser Beziehung — ein markantes Beispiel — 
an den bekannten Streit, den mehrere Münchener 
Großbrauerfirmen miteinander wegen der Waren- 
bezeichnung „Salvator“ führten. Es handelte sich 
in diesem Rechtsstreite um eine bloße Benennung, 
und doch fühlt sich die Firma, die allein das An- 
recht auf diese Bezeichnung zu besitzen glaubt, in 
ihrem Erwerbe beeinträchtigt, wenn auch andere 
Betriebe diesen Titel für die Reklame sich aneignen. 
Man sieht, wie ein so eigentlich immaterielles Ding 
wie ein Name von großer Bedeutung für das Er- 
werbsleben ist. Aber das berechtigt noch keines- 
wegs, persönliche Güter, wie Kenntnisse und Fähig- 
keiten eines Menschen, zu den Kapitalien zu rech- 
nen, weil sie ein unausscheidbarer Teil des Men- 
schen selbst, also kein eigentliches selbständiges 
Produktionsmittel sind, und weil es überdies der 
Menschenwürde widerstreitet, den Menschen selbst
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.