Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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im Archiv für katholisches Kirchenrecht II 565/576, 
gegen Moy de Sons, ebd. 75, 577 ff.) # 
Lediglich dem Einfluß der Naturrechtsdoktrin 
des 18. Jahrh. auf die Darstellung des Kirchen- 
rechts haben wir die noch immer übliche, aber 
unhaltbare und verwirrende Unterscheidung eines 
„innern“ und „äußern“ Kirchenrechts zu 
verdanken. Das erstere soll die Normen über die 
innerhalb der Kirche bestehenden Rechtsverhält- 
nisse (d. h. über die Verfassung der Kirche, die 
Beziehungen dieser zu ihren Gliedern, wie die 
Rechte bzw. Pflichten der letzteren) umfassen 
(internae ac immanentes ecclesiae actiones, 
qduae domesticum ecclesiae statum, personas 
nimirum et res ecclesiae iurisdictione com- 
prehensas concernunt), während als „äußeres“ 
Kirchenrecht die Normen über das Verhältnis 
der Kirche zu den Staaten, zu andern Religions- 
gemeinschaften und deren Gliedern bezeichnet 
werden (externae s. transeuntes ecclesiae 
actiones s. negotia, quae ecclesiae cum re- 
publica profana, cum alienis atque extraneis 
ab ecclesia intercedunt; vgl. Endres, Diss. 
can. de necess. inrisprud. natur. Cum eccles. 
nexu 11761], bei Schmidt, Thesaurus iur. 
eccles. 1 51 ff, 64 ff). Diese Einteilung wurzelt 
in dem Irrtum, das ius naturae bedeute ein ge- 
meinsames Erkenntnisprinzip der Normen für 
diese Verhältnisse, welche wir teils dem Kirchen- 
recht teils dem Staats- und Völkerrecht über- 
weisen; sie verkennt, daß das „innere“ Kirchen- 
recht das eigentümliche Gebiet des Kirchenrechts 
erschöpft und daß das sog. „äußere“ Kirchenrecht 
„kein organischer Bestandteil“ desselben ist; die 
Normen über das Verhältnis der Kirche zu den 
Staaten und zu den von ihr getrennten Kon- 
fessionen werden im Kirchenrecht vielmehr nur 
aus äußern Gründen zu dem Zwecke mitbehan- 
delt, um „das gesamte die Kirche betreffende Recht 
in einem Uberblick vorzulegen“. (So richtig schon 
Buß, Methodologie des Kirchenrechts 89, 90; 
er verwirft diese Einteilung, hat jedoch deren miß- 
verständliche naturrechtliche Basis nicht erkannt.) 
Es ist wohl unleugbar, daß das Dekretalen- 
recht (s. oben) im Sinne der Forderungen des 
hierokratischen Systems für die kanonischen Nor- 
men über das Verhältnis der Kirche und ihres 
Oberhauptes zu den Staaten, über die rechtliche 
Behandlung anderer Religionsgemeinschaften und 
ihrer Glieder absolute Geltung verlangt und von 
dem Grundsatz ausgeht, daß ein Staat, welcher 
sich diesem Recht der Kirche nicht unterwirft, sich 
selbst die Grundlage seiner Existenzberechtigung 
entzieht, aufhört, ein Glied der christlich-europäi- 
schen Staatengemeinschaft, Subjekt des Völker- 
rechts im Sinne jener Epoche zu sein (s. d. Art. 
Papsttum und Kaisertum im Mittelalter). Für 
den modernen Staat, welcher der politischen Su- 
periorität der Kirche nicht unterworfen ist, können 
jedoch diese kanonischen Normen keine Geltung 
beanspruchen; die Fragen des sog. äußern Kirchen- 
Kirchenrecht. 
  
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rechts fallen nicht mehr der einseitigen selbständigen 
Verfügung der Kirchengewalt anheim. Der Staat, 
dessen Gesetzgebung gegenüber den seinem Gebiete 
angehörenden Anstalten und Gliedern der Kirche 
formell souverän ist, stellt in seinen Rezeptions- 
gesetzen, welche für die Kirche die staatsrechtliche 
Garantie ihrer Existenz und des ihr gebührenden 
Rechtsschutzes bedeuten, die Normen auf für sein 
Verhältnis zur Kirche und zu den diese repräsen- 
tierenden Kirchenobern, für die Beziehungen der 
Kirche und ihrer Glieder zu den ihr nicht ange- 
hörenden Staatsgenossen und deren Religions- 
gesellschaften. Die Kirche unterwirft sich (wenn 
auch vielleicht nur mit einer Rechtsverwahrung, 
da sie einen früheren, ihr günstigeren Rechtszustand 
grundsätzlich als ein jus quaesitum auffaßt) 
diesen staatlichen Normen, solange ihr nicht jene 
Wirksamkeit verwehrt wird, welche ihrem höheren 
Berufe entspricht und welche sie ohne jede Rück- 
sicht auf das Verhalten des Staates als eine in 
ihrer Autoritätsmission begründete Pflicht erkennt. 
Do aber die Kirche in ihrer Gesamtheit nicht der 
Gewalt des einzelnen Staates unterworfen ist, 
vielmehr ein zwar innerhalb der Staaten be- 
stehendes, aber selbständiges und einheitlich orga- 
nisiertes Gemeinwesen darstellt, welches auf der 
Grundlage der seinem Oberhaupte zustehenden 
spirituellen Souveränität als Subjekt des inter- 
nationalen Rechtsverkehrs anerkannt ist, so haben 
sich für das Verhältnis der Kirche zu den Staaten 
auch Rechtssätze entwickelt, welche in diesem völker- 
rechtlichen Verkehre der von ihrem Oberhaupte 
repräsentierten Kirche mit den Staaten auf dem 
Wege der Vereinbarung oder Gewohnheit die An- 
erkennung als Rechtsnormen erlangt haben. Die 
Sätze des sog. äußern Kirchenrechts gehören also 
wesentlich nicht zum Gebiete des Kirchenrechts, 
sondern des Staats= und Völkerrechts; die her- 
kömmliche Darstellung, welche von der Ansicht 
ausgeht, die Normen im Gebiete des Kirchenrechts 
ließen die Unterscheidung in ein äußeres und ein 
inneres Kirchenrecht zu, ist mißverständlich und 
verwirrend; sie verleitet zu einer Verkennung des 
wesentlichen Charakters der Normen des sog. 
äußern Kirchenrechts. Einen Beleg der Bedenk- 
lichkeit solcher Mißverständnisse bildet z. B. der 
öfter unternommene Versuch, die rechtliche Grund- 
lage der sog. Exklusive (s. d. Art. Papst) — eines 
Brauches, welcher jedenfalls dem Gebiete der Be- 
ziehungen zwischen der Kirche und den Staaten 
angehörte — einfach nach den Prinzipien des ka- 
nonischen Rechts zu prüfen, als ob es sich um ein 
innerkirchliches Institut handeln würde. 
Der Ausdruck „Staatskirchenrecht“ wird 
jetzt gewöhnlich auf die Gesamtheit der vom Staate 
erlassenen Normen angewandt, welche sich auf die 
Verhältnisse der Kirche beziehen, ob nun diese 
Rechtsvorschriften innerkirchliche Verhältnisse be- 
treffen, also als sog. staatliches Kirchenrecht im 
eigentlichen Sinne aufzufassen sind, oder ob sie sich 
auf das Verhältnis der Kirche zur Staatsgewalt,
	        
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