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Provinzen übte der Papst nunmehr, wie eine
Unmasse von Erlassen, Rektoren= und Schatz-
meisterernennungen, Steuerauflagen u. dgl. be-
weisen, eine wirkliche Landesherrschaft. Die Re-
gierungen der im 15. Jahrh. folgenden Päpste
waren alle mehr oder weniger darauf bedacht, die
noch immer mächtigen Barone und Gewaltherr=
scher zu unterwerfen oder zu beseitigen. Pius II.
(1458/64) brachte Benevent und Terracina vom
Königreich Neapel an die Kirche zurück. Paul II.
(1464/71) nahm den Malatesta von Rimini Ce-
sena und Bertinoro ab. Sixtus IV. (1471/84)
erwarb Imola und Forli, freilich nur, um es
seinem Nepoten Girolamo Riario wieder zu über-
tragen. Der eigentliche Tyrannenvertilger aber
war Cäsar Borgia, der Sohn Alexanders VI.
(1492/1503), dem die Herren von Imola und
Forli, von Faenza, Rimini, Camerino, Pesaro,
Urbino, Cittä di Castello, Fermo, Perugia u. a.
zum Opfer fielen. Durch Julius II. (1503/13)
wurden auch Ravenna, Perugia, Bologna. Mo-
dena und Reggio, Parma und Piacenza für die
Kirche teils zurück= teils neugewonnen. Fortan
erscheint die Herrschaft des Adels gebrochen.
4. Die Zeit des absolutistischen
Staatswesens. In der nun folgenden Periode
(1503/1790) ist Italien der Spielball hauptsäch-
lich der dynastischen Interessen der Großmächte,
der Schauplatz der von diesen um die Hegemonie
in Europa geführten Kämpfe geworden. Der
Kirchenstaat hat, wie jedes italische Land, vor
allem aber als Besitz der Päpste, die schon durch
ihre historische Stellung in alle europäischen An-
gelegenheiten verwickelt waren, teils direkt teils
in seinem Finanzwesen darunter gelitten. Auf
den Bund Klemens' VII. mit Venedig, Florenz
und Mailand gegen Kaiser Karl V. folgte 1527
die dreiwöchige Plünderung Roms und die mehr-
monatige Verwüstung Umbriens durch die kaiser-
lichen Truppen Karls von Bourbon. Auch des
Einbruchs des spanischen Herzogs Alba in die
Campagna und der französischen Truppendurch-
züge nach Neapel (1556/57) mag gedacht sein.
— Von den Vasallen des Kirchenstaates waren
als besonders gefährlich die großen Lehnsträger,
die Este von F
Herzoge von Urbino, in die neue Zeit her-
übergetreten. 1598 erlosch die Hauptlinie der
Este, infolgedessen das Herzogtum Ferrara an
den Heiligen Stuhl als erledigtes Lehen heimfiel,
während die Bastardlinie der Este sich in Modena
behauptete.
Der Heimbringung von Lehen und Vasallen-
staaten steht die Errichtung von solchen, nament-
Kirchenstaat.
errara, die Colonna und die
tus V., gest. 1590) bald lässiger geführt wurde,
mußte daher auf die Dauer als aussichtslos er-
scheinen. Volksanschauungen und Volkscharakter,
Klima und Landesbeschaffenheit begünstigten das
„NRäuberwesen; es ist ja auch der äußersten Strenge
der napoleonischen Behörden nicht gelungen,
darin eine dauernde Anderung herbeizuführen.
Der so oft be= oder verklagte klerikale Charakter
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lehnte 1540 damit seinen Enkel Ottavio Farnese.
Damit traten die Farnese in die Reihe der italie-
nischen Dynastengeschlechter. Pier Luigi Farnese,
der Vater Ottavios, wurde erst mit den Herr-
schaften Castro, Ronciglioni und Nepi ausgestattet,
dann 1545 gegen Rückgabe von Camerino und
Nepi zum Herzoge von Parma und Piacenza er-
hoben, welche Lande damit der Kirche für immer
entfremdet und 1731 spanisch wurden. Die in
der Folgezeit, sehr zahlreich im 17. Jahrh., ver-
liehenen Marchesate und Herzogtümer haben keine
Bedeutung mehr. Sie waren nichts als leere Titel,
die selbst von den kleinsten Orten hergenommen
wurden, die päpstliche Landeshoheit nicht beein-
trächtigten und nur als Finanzquelle dienten. Mit
dem Erlöschen des Hauses Rovere 1631 kam auch
das Herzogtum Urbino wieder unter unmittelbare
päpstliche Herrschaft.
Die seit Julius II. mehr und mehr befestigte
einheitliche Landesherrschaft bedeutet noch nicht
die Einheitlichkeit und Unmittelbarkeit der Ver-
waltung in dem modernen Sinne, noch nicht ein
überall hergestelltes direktes Verhältnis aller
Untertanen zur Staatsgewalt. Im Kirchenstaate
hat das Lehnswesen bis zur Invasion der
Franzosen bestanden, und die äußerst mannig-
faltigen munizipalen und Provinzialfreiheiten sind
im allgemeinen, von einigen Gewaltfällen und den
eigentümlichen Munizipalinstitutionen Roms ab-
gesehen, nirgends mit so schonender Hand behan-
delt worden als hier. Die Barone umgaben sich
oft mit einer so zahlreichen und bedenklichen Ge-
folgschaft, daß die päpstlichen Sbirren (Sicher-
heitswachen) auch außerhalb der immunen Paläste
und Schlösser vor ihnen weichen mußten. Die
Patrimonialgerichtsbarkeit wurde von den Groß-
grundbesitzern vielfach nur zum eigenen Vorteil
geübt. Die Verfolgung von Verbrechen und Ge-
walttaten war durch die Immunitäten gehemmt,
Widerstand und Zügellosigkeit fanden sich er-
muntert, ja zwischen Grundherren und Banditen
trat allenthalben ein gegenseitiges Verhältnis zu
Schutz und Trutz, zur Abwendung von Gefahren
oder drohender Privatrache ein. Der Krieg der
Päpste gegen das Banditentum, der die
Jahrhunderte durchzieht und bald kräftiger (Six-
lich infolge des von manchen Päpsten dieser Zeit der päpstlichen Verwaltung tritt erst im 16. Jahrh.
geübten Nepotismus, gegenüber. Die wichtigsten hervor. Er wurde aber erst beschwerlich, als mit
Veränderungen dieser Art bewirkten Paul III. der französischen Invasion die Provinzialauto-
(1534/49) und Paul IV. (1555/59; L. Rieß, nomie durch größere Zentralisation ersetzt und
Die Politik PaulsIV. und seiner Repoten1909—). diese bei der Restauration unter Verwendung von
Paul III. zog 1539 Camerino ein, wo die Varani Prälaten im großen und ganzen beibehalten wurde.
mehr als 200 Jahre geherrscht hatten, und be= Die Prälatur, die allein zu den oberen Stellen