Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

13 
Zwischenprodukte (Fruchtbaum, Angel, Netz, Boot, 
Erz, Eisen, Stahl, Axt usw.) stellen das Küapital 
und die auf Umwegen vorgehende Produktions-= 
weise die kapitalistische Produktion in dem 
einen Sinne dieses mehrdeutigen Wortes vor“ 
(Böhm-Bawerk a. a. O. 22). 
4. Aber wozu braucht es dieser oft langwierigen 
Produktionsumwege, warum gehen wir nicht un- 
mittelbar auf das Ziel, ein Genußobjekt zu er- 
halten, los? Die Beantwortung dieser Frage setzt 
auch die Funktion des Kapitals im wirtschaftlichen 
Prozeß ins Licht. Das Einschlagen von solchen — 
natürlich mit planvoller Berechnung gemachten — 
Umwegen erweist sich nämlich als lohnend, ja bildet 
gar oft den einzigen Weg, der zum beabsichtigten 
Produktionsziele führt; das damit gebrachte Opfer 
an Zeit und Mühe muß eine diesen Einsatz auf- 
wiegende Entschädigung finden, mit einem Worte: 
das Kapital ist fruchtbar, es steigert, ja 
ermöglicht vielfach erst die Wirksamkeit der beiden 
originären Produktionsfaktoren Natur und Ar- 
beit. Des weiteren fragt es sich, woher denn diese 
„Fruchtbarkeit“ des Kapitals entspringt. Diese 
größere technische Ergiebigkeit der „kapitalistischen“ 
Produktion resultiert daraus, daß das Einschlagen 
der gedachten Umwege die ausgiebigste Heran- 
ziehung der Naturkräfte, gleichsam ein „Einfangen“ 
von Naturkräften ermöglicht, welche dann als 
Hilfskräfte mit der menschlichen Arbeit vereinigt 
und der Erreichung des Produktionszieles, das 
letzthin in der Herstellung von Genußgütern be- 
steht, dienstbar gemacht werden. So werden durch 
Hebel, Werkzeug und ganz besonders durch die 
Maschine mechanische oder andere Naturkräfte ent- 
bunden und in den Dienst der Produktion ein- 
gestellt, wie es der bloßen Anwendung von Natur 
und merschlicher Arbeitskraft entweder gar nicht 
oder höchstens in sehr beschränktem Umfange mög- 
lich wäre. 
Die „Fruchtbarkeit“ des Kapitals gilt vielen 
wirtschaftlichen Schriftstellern — von den sozia- 
listischen ganz abgesehen — als eine gedankenlose 
Konzession, die man aus Schwäche gegen die herr- 
schenden Wirtschaftszustände mache. Neuestens hal 
Hohoff den Versuch gemacht, die Unfruchtbarkeit 
des Kapitals nachzuweisen und der menschlichen 
Arbeit allein die Werterzeugung zuzuschreiben. In 
exktremer Weise will Kempel (Göttliches Sittengesetz 
und neuzeitliches Erwerbsleben, Mainz 1901) die 
Lösung der sozialen Frage von der Wiederaufnahme 
des Zinsverbotes abhängig machen. 
Auch die ältere Moraltheologie war vielfach in 
solchen Anschauungen befangen. So vertritt Al- 
fons von Liguori (Theol. mor., de contr. 
dub. 7, n. 759) die Anschauung von der alleinigen 
Fruchtbarkeit der menschlichen Arbeit: Ratio certa 
est, quia lucrum quod recipitur ex pecunia, 
totum oritur non ex ipsa pecunia, quae cum 
omnino sterilis sit, fructum parere haud 
potest, sed oritur ex mera in dustria ho- 
minum, nec pro eo duod mea pecunia alteri 
Kapital usw. 
  
14 
proderit ob suam industriam, possum ego ul- 
tra sortem ab eo exigere; pariter ac si vendo 
rem, quae emtori valde utilis erit propter in- 
dustriam suam, non possum propter hoc ali- 
duid recipere ultra iustum rei pretium. Man 
berief sich gern auf die Tatsache, daß ohne die 
Arbeit das Kapital nicht imstande sei, neue Werte 
hervorzubringen. In der Tat ist dem so, daß sich 
für den Menschen kein Ding ohne Anwendung 
seiner Kräfte als fruchtbar erweist, besteht dieselbe 
auch nur in dem Akte der Weignung der betreffen- 
den Objekte. Selbst Grund und Boden, den man 
nebst den Tieren den nicht durch sich selbst frucht- 
baren Gütern entgegenzusetzen pflegt, wirft einen 
Ertrag nur dann ab, wenn die Arbeit des Menschen 
ihn bestellt. Nicht bloß der Grad der Fruchtbar- 
keit der Erde ist von dem Maße der Arbeit ab- 
hängig, das auf die Bestellung des Bodens ver- 
wendet wird, sondern die Fruchtbarkeit würde sich 
sogar beim Mangel jeglicher Bearbeitung nach 
und nach verlieren. Nach Ausweis der Geschichte 
schwand mit den arbeitsamen Händen „auch die 
Fruchtbarkeit aus ganzen Länderstrichen und traten 
wüste Steppen an die Stelle grüner Fluren. Da- 
her konnte es als eine einfache Wahrheit bezeichnet 
werden, daß sich eine wahre und vollkommene 
Fruchtbarkeit der Erde nur da zeigt, wo die Arbeit 
der Menschen ihre Spuren zurückgelassen, daß da- 
gegen dort der Boden der Unfruchtbarkeit verfällt, 
wo der Mensch seinen Fuß nicht mehr hinsetzt" 
(Funk, Zins und Wucher 159 f); und umgekehrt 
hat die menschliche Arbeit aus ödem Boden frucht- 
bares Kulturland gemacht. 
Es ist also richtig, daß es keine Fruchtbarkeit 
der Natur gibt ohne menschliche Arbeit. Aber fällt 
darum die ganze Fruchtbarkeit ausschließlich der 
letzteren zu? Keineswegs, denn der Nachweis ist 
nicht zu erbringen, daß die menschliche Arbeit auch 
ohne Natur bzw. Kapital jenen produktiven Effekt 
hervorzurufen imstande ist. Kapital und Arbeit 
bedingen sich gegenseitig, jedes ist nur unter der 
Voraussetzung produktiv, daß das andere sich mit 
ihm verbindet und befruchtend auf dasselbe ein- 
wirkt. Es bleibt somit dabei, daß das Kapital 
fruchtbar genannt werden kann, und daß der, 
welcher der fremden Arbeitskraft sein Kapital zur 
Verfügung stellt, einen Teil des aus dieser Ver- 
bindung entspringenden Ertrages auf Grund seines 
Kapitaleigentums für sich beanspruchen darf. 
. Die Unfruchtbarkeit des Geldes 
und das kirchliche Zinsverbot. Aus diesen 
Betrachtungen ergibt sich auch die richtige Stellung- 
nahme zu der lang und heiß ventilierten Streit- 
frage betreffs der Unfruchtbarkeit des Geldes und 
zum kirchlichen Zinsverbote des Mittelalters. Die 
Erforschung der früheren Stufen der Wirtschafts- 
geschichte zeigt nämlich, daß das Kapital eine 
historische Kategorie istz es gibt Perioden, 
wie die heutige „kapitalistische" Wirtschaftsepoche, 
in welchen das Kapital eine hervorragende Rolle 
spielt, ja zum beherrschenden und ausschlaggebenden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.