Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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eine kirchliche Strafe gesetzt ist, oder bei Unkennt- 
nis einer Tatsache, von welcher die Wirksamkeit 
eines Strafgesetzes oder Strafurteils bedingt ist 
(c. 4, X de sent. excomm. 5, 39). Nur darf 
die ignorantia feine Crassa, affectata vel su- 
Pina, keine schwer sündhafte sein (c. 9, X de 
cleric. excomm. 5, 27; c. 2 in VIe de con- 
stit. 1, 2). Daß jedoch die censura latae sen- 
tentiao bei ignorantia pro foro externo ein- 
tritt, ergibt sich aus einer Erklärung der S. Congr. 
Inquis. vom 28. Aug. 1888. Endlich hindert 
mangelnde Vernunft oder schwere Furcht das Ein- 
treten der Zensur (c. 5, X de his quae vi 1, 40). 
Daher soll der Richter keine Zensur gegen noch 
nicht 7 Jahre alte oder juristische Personen ver- 
hängen. Die Bischöfe und die über ihnen stehen- 
den Prälaten werden von einer Zensur (die 
Exkommunikation ausgenommen) nur betroffen, 
wenn ihrer darin ausdrückliche Erwähnung ge- 
schieht (c. 4 in VI de sent. excomm. 5, 11). 
Ist die Strafe bereits im Gesetze genau be- 
stimmt, so ist sie poena oder censura iuris oder 
Canonis oder ordinaria; ist sie aber vom Richter 
im einzelnen Falle noch näher zu bestimmen, so 
ist sie poena iudicis oder hominis oder arbi- 
traria oder extraordinaria. Weiter unterscheidet 
man poenae spirituales und temporales. 
Kirchenstrafen, welche Laien wie Kleriker treffen 
können, bezeichnet man als poenae communes, 
solche aber, welche bloß über Geistliche oder Laien 
verhängt werden können, alspoenae particulares. 
Zu letzteren gehören namentlich die Disziplinar= 
strafen der Kleriker, d. h. Strafen wegen Amts- 
vergehen. 
Da die Zahl der censurae latae sententiae 
allmählich zu sehr angewachsen war und daher sehr 
viele Unsicherheit hierin bestand, so hat Pius IX. 
in der Bulle Apostolicae Sedis moderationi 
vom 12. Okt. 1869 dieselben eingeschränkt und 
die noch geltenden darin aufgezählt. Seitdem sind 
einige weitere dazu gekommen. Außerdem gelten 
alle vom Tridentinum statuierten censurae latae 
sententiae sowie die zur Sicherung der Papst- 
wahl und Aufrechthaltung der Ordnung in kirch- 
lichen Orden, Kongregationen und Anstalten auf- 
gestellten Strafen. Alle Geltung hat verloren die 
Bulle In coena Domini, welche die früher be- 
stehenden censurae latae sententiae aufzählte 
# shilee, Die päpstl. Pönitentiarie I (1907) 
J. 
IV. Die Verhängung von Kirchen- 
strafen ist Sache der Inhaber von iuriscictio 
ecclesiastica pro foro externo. Kraft göttlichen 
Rechts verhängt solche der Papst im Umfang der 
ganzen Kirche, der Bischof, sobald er präkonisiert 
ist, innerhalb seiner Diözese. Kraft menschlichen 
Rechts bestrafen die Prälaten und Ordensobern 
ihre Untergebenen (c. 10, X de M. et O. 1, 33), 
die Bischöfe als delegati Apostolici exemte 
Klöster (Trid. sess. VI de ref. c. 3; sess. 
XIV de ref. c. 4), die Kardinäle die zu ihren 
Staatslexikon. III. 3. Aufl. " 
Kirchenstrafen. 
  
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Titelkirchen gehörigen Kleriker (c. 11, Xde M.et O. 
1, 33), die päpstlichen Legaten und Nuntien je nach 
ihren Instruktionen, die praelati nullius in ihren 
exemten Bezirken (c. 20, X de V. S. 5, 40). 
Der Generalvikar bedarf zur Verhängung einer 
Kirchenstrafe der Bevollmächtigung durch den Bi- 
schof (c. 2 in VI# de off. vic. 1, 13). Während 
der Sedisvakanz hat das Recht hierzu der Kapi- 
tularbikar (Trid. sess. XXIV de ref. c. 16). 
Der Pfarrer kann in foro externo keine Kirchen- 
strafe verhängen, und die Archidiakone haben 
dieses von ihnen im Mittekalter besessene Recht 
verloren. 
Außer der notwendigen Jurisdiktion muß der 
Richter auch die entsprechenden physischen und 
moralischen Eigenschaften haben: den vollen Ge- 
brauch der Sinne, guten Ruf, die notwendigen 
Kenntnisse, ein Alter von 20 Jahren, den Klerikal- 
stand, also mindestens die Tonfur, den kirchlichen 
Rechtsstand, d. h. er darf jedenfalls kein excom- 
municatus vitandus sein, die erforderliche Un- 
parteilichkeit und die notwendige Kompetenz, d. h. 
die Befugnis, über die bestimmte Person in der 
bestimmten Sache zu richten. Der Richter kann 
Strafen verhängen nur über die Getauften und 
über seine Untergebenen, d. h. über diejenigen, 
die ihr Domizil oder Quasidomizil innerhalb 
seines Territoriums haben. So werden die vom 
Bischof angedrohten poenae latae sententiae 
nur von seinen Diözesanangehörigen und von 
diesen nur innerhalb der Dihözese inkurriert (c. 2 
in VI6 de constit. 1, 2). Diözesanangehörige, 
welche sich in einer fremden Dihzese eines Ver- 
gehens schuldig machen, das dort mit censura 
latae sententiae bedroht ist, kann der dortige 
oder der eigene Bischof per sententiam feren- 
dam bestrafen. 
Ist die Straftat und der Schuldige sicher, so 
hat der Richter die vom Gesetz bestimmte Strafe 
zu dessen Schutz genau zur Anwendung zu bringen 
(c. 1 in VI# de constit. 1, 2). Doch darf er 
nach der Rechtsregel: Odia restringi et favores 
convenit ampliari (Reg. iur. in VlIi#e 15), mil- 
der strafen, wenn das Gesetz die Strafe selber un- 
bestimmt gelassen hat oder er im begründeten 
Zweifel ist, ob er volle Strenge oder Milde walten 
lassen solle. 
Nach der angeführten Rechtsregel dürfen, wenn 
das Gesetz ausdrücklich nur die eigentlichen Täter 
bestrafen will, nicht auch die Mittäter, Anstifter, 
Berater und Helfershelfer bestraft werden. Doch 
trifft in der Regel den Mittäter und Anstifter die 
gleiche Strafe (c. 3 in VIie de homic. 5, 4). 
Den Begünstiger aber trifft nur in den Fällen die 
gleiche Strafe wie den Täter, wo dies ausdrücklich 
vom Gesetze bestimmt ist (c. 6, 88 1/4, X de 
homic. 5, 12). 
Was die Formalitäten für die Verhängung von 
Kirchenstrafen betrifft, so muß den Zensuren, wie 
bemerkt, eine Verwarnung vorausgehen. Für die 
censurae latae sententiae liegt die Verwarnung 
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