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schon in der Promulgation des Gesetzes, dessen
Kenntnis präsumiert wird. Die Verwarnung
muß schriftlich abgefaßt werden mit ausdrücklicher
Namensangabe des Straffälligen und ist diesem
vor Zeugen zu intimieren. Ferner ist notwendig,
daß der Schuldige zitiert und ihm Gelegenheit
zur Verteidigung gegeben wird. Eine Ausnahme
bilden die notorischen Verbrecher (c. 9, X de ac-
cus. 5, 1). Sodann muß das Vergehen bewiesen
sein (c. 2 in Clem. de V. S. 5, 11). Das
Urteil soll in Gegenwart des Schuldigen gefällt
werden, außer dieser verweigere das Erscheinen
in der Absicht, die Verurteilung zu verhindern
(c. 18, X de sent. et re iudic. 2, 27).
Der Richter muß die Sentenz schriftlich abfassen
und dem Verurteilten persönlich vorlesen; doch
hat sich eine Gewohnheit gebildet, wonach das
auch durch Notare oder subalterne Beamte ge-
schehen kann. Ist persönliche Intimation nicht
möglich, so genügt auch allgemeine öffentliche
Publikation. Dem Verurteilten ist auf Verlangen
binnen Monatzsfrist eine authentische Abschrift ein-
zuhändigen (c. 1 in VlI#e de sent. excomm.
5, 11). Die in solch rechtlicher Form ausge-
sprochene Zensur wird sofort wirksam, und ihre
Wirkung wird nicht durch die dagegen erhobene
Appellation suspendiert (c. 53, 81, X de appell.
2, 28). Immerhin hat der Richter nach der
Appellation keine Jurisdiktion mehr über den
Appellanten, kann daher auch keine neuen richter-
lichen Akte mehr vornehmen (c. 7 in VlI# de
appell. 2, 15).
V. Die Aufhebung einer Vindikativstrafe heißt
Dispensation oder Begnadigung oder Indulgenz,
die einer Zensur Absolution. Gemäß dem Zweck
der Zensur muß dieselbe aufgehoben werden, so-
bald Besserung eingetreten oder ernsthaft ver-
sprochen ist (c. 25, X de appell. 2, 28). Eine
Absolution ohne erfolgte oder gewährleistete Besse-
rung ist nichtig.
Die censurae ferendae sententiae kann nur
jener Richter aufheben, welcher sie ausgesprochen
hat, auch wenn der Schuldige unterdessen sein
Domizil verändert oder Appellation eingelegt hat
(c. 8, 11, X de off. ind. ordin. 1, 31); ferner der
Amtenachfolger, der Delegierte, der hierarchische
Obere, so vor allem der Papst. In articulo
mortis absolviert jeder Priester, damit der
Zensurierte die Sterbsakramente empfangen kann.
Derselbe muß sich aber wiedergenesen dem kompe-
tenten Obern stellen und um die Absolution bitten,
andernfalls würde die Exkommunikation wieder
aufleben (Rituale Rom. De sacr. poenit. tit. 3,
. 1, n. 23).
Von den censurae latae sententiae nemini
reservatae absolviert bei geheimem Vergehen und
pro foro interno der Beichtvater, pro foro ex-
terno der Bischof. Von den reservierten Zensuren
latae sententiae aber, die seit dem 12. Jahrh.
aufkamen, spricht derjenige Gesetzgeber los, welcher
sich die Lossprechung vorbehalten hat. Doch ab-
Kirchenstrafen.
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solvieren nach gemeinem Rechte die Bischöfe in
allen Fällen, in welchen sich der Papst die Abso-
lution nicht ausdrücklich vorbehielt und nach tri-
dentinischer Bestimmung von der excommuni-
catio latae sententiae Papae reservata bei
allen geheimen Vergehen (c. 29, X de sent. ex-
comm. 5, 39; Trid. sess. XXIV de ref. c. 6).
Um aber von den seit der Bulle Apostolicae
Sedis moderationi aufgekommenen, dem Papste
speciali oder specialissimo modo reservierten
Exkommunikationen absolvieren zu können, ist eine
spezielle Vollmacht notwendig, welche die Bischöfe
in den Quinquennalfakultäten erhalten. In arti-
culo mortis aber, in allen casibus vere urgen-
tioribus und schon für den Fall, daß das längere
Verbleiben in der Todsünde für den Pönitenten
etwas Drückendes hätte, absolviert der Beichtvater
ad reincidentiam, d. h. der Absolvierte hat sich
bei eingetretener Möglichkeit innerhalb eines Mo-
nats dem betreffenden kirchlichen Obern (Papst
bzw. Kardinalpönitentiar oder Bischof) persönlich
oder schriftlich oder durch Vermittlung des Beicht-
vaters zu gestellen. Andernfalls würde die Exkom-
munikation wieder aufleben. Wäre aber das alles un-
möglich, so könnte der Beichtvater auch ohne diesen
Rekurs absolvieren (8. Congr. Inquis. 9. Nov.
1898; 5. Sept. 1900; 16. Nov. 1900). Wie
Tote noch exkommuniziert werden können, so können
sie auch pro foro externo absolviert werden, um
die äußeren Wirkungen der Exkommunikation zu
heben, so besonders zum Zweck des kirchlichen Be-
gräbnisses. Doch darf dies nur geschehen, wenn
sie vor dem Ende unzweideutige Zeichen der Reue
gegeben haben (c. 28, 38, X de sent. excomm.
Or
VI. Zu den Zensuren gehören die Exkom-
munikation, das Interdikt und die Suspension.
1. Die Exkommunikation, eine auf alle
Glieder der Kirche anwendbare poena meclici-
nalis, ist entweder excommunicatio minor oder
excommunicatio maior, kleiner oder großer
Kirchenbann. Ursprünglich waren die excom-
municatio maior und das Anathem gleichbedeu-
tend. Seit dem 13. Jahrh. aber verstand man
unter „Anathem" die in besonders feierlicher Weise
und unter Anwendung von Symbolen vorge-
nommene Exkommunikation. Der Zusatz „Maran
Atha“ ist keine besondere Form der Exkommuni-
kation, sondern nur eine Drohung mit dem künf-
tigen Gericht.
Die excommunicatio minor schließt vom
Empfang der Sakramente und dem Erhalte eines
kirchlichen Amtes aus. Die excommnnicatio
maior aber ist, wenn auch nicht der vollständige
Verlust der durch die Taufe erhaltenen kirchlichen
Mitgliedschaft, so doch die Ausstoßung aus der
sichtbaren Gemeinschaft der Gläubigen, so daß der
in ihr Befindliche keinen Anteil mehr hat am
Gottesdienst, die Predigt ausgenommen (c. 43,
Xde sent. excomm. 5, 39), an dem heiligen
Meßopfer und an den Gebeten der Kirche (suf-