Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Faltor geworden ist, es gibt aber auch Perioden, 
in welchen das Kapital diese Bedeutung nicht be- 
saß und hinter den andern Faktoren, Natur und 
Arbeit, stark zurücktrat. Die Existenz des Kapitals 
ist daher, wie Funk (a. a. O. 36) mit Recht be- 
merkt, eine reine Frage der Zeit; dasselbe entsteht 
erst, wenn es dem Menschen gelingt, durch seine 
Kraft und Intelligenz aus den Erzeugnissen der 
Natur Produktionsinstrumente herzustellen, welche 
ihm einen Teil der von ihm zu leistenden Arbeit 
abnehmen. Nun gelang es ja dem Menschen ge- 
wiß schon sehr früh, sich solche Produktionsbehelfe 
zu beschaffen, und damit reicht die Genesis der 
Kapitalbildung in der Geschichte eines jeden Volkes 
weit zurück. Aber für die Frage der Unfruchtbar- 
keit des Geldes kommt das Kapital doch erst in 
Betracht, wenn es einerseits eine größere extensive 
und intensive Machtstellung erlangt hat, und wenn 
es anderseits möglich geworden ist, durch Geld ein 
fruchtbringendes Kapitalgut zu erlangen. Das 
Geld nämlich an und für sich ist zweifellos un- 
produktiver Natur; es ist weder eine Sache, die 
Frucht trägt, wie das Getreide, das in den Boden 
gelegt wird, noch ein Instrument, das zur Hervor- 
bringung wirtschaftlicher Güter geeignet gewesen 
wäre. In diesem Sinne liegt dem bekannten, auf 
Aristoteles zurückführenden und von den Mora- 
listen aufgenommenen Satze nummus nummum 
parere non potest volle Wahrheit zugrunde. 
Indes ist mit der Betrachtung, die sich bloß auf 
das äußere Objekt erstreckt, die eigentliche und 
tiefere Bedeutung des Geldes noch keineswegs er- 
kannt; diese liegt vielmehr in seiner wirtschaft- 
lichen Bestimmung. Das Geld ist allgemeiner 
Wertmesser und allgemeines Tauschmittel und hat 
in dieser Eigenschaft den gegenseitigen Tausch der 
mannigfaltigsten Güter in unmittelbarer Weise zu 
ermöglichen. Dieser Gesichtspunkt vermittelt uns 
eine bestimmtere Einsicht in die Produktivität des 
Geldes und Gelddarlehens. Wir können dieselbe 
in dem einfachen Satze zum Ausdrucke bringen: 
sie geht ebensoweit als die Möglich- 
keit und Gelegenheit, mittels dieses 
Tauschmittels produktive oder kapi- 
talfähige Güter zu erwerben. Es kommt 
somit dem Gelde, auch wenn wir seine wirtschaft- 
liche Natur ins Auge fassen, keineswegs eine all- 
gemeine und absolute Produktivität zu, und zwar 
eben deswegen nicht, weil es nicht wie die Natur 
oder die Arbeit in sich selbst produktiv ist. Seine 
Produktivität ist vielmehr eine bedingte, weil 
für die Verwirklichung des fraglichen Eintausches 
kapitalfähiger Güter, auf dem sie beruht, verschie- 
dene Voraussetzungen wirtschaftlicher und sozialer 
Art in Betracht kommen. Hieraus ergibt sich aber 
auch die Möglichkeit, daß diese Eigenschaft viel- 
leicht ganz mangelt, und diese Möglichkeit wird 
dann zur Wirklichkeit, wenn nach Maßgabe jener 
Voraussetzungen die der Produktion dienenden 
Güter im allgemeinen keine Ware oder kein Gegen- 
stand des freien Erwerbes sind (Funk a. a. O. 34). 
Kapital usw. 
  
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Das Kapital wird erst dann zu einem hervor- 
ragenden Faktor im wirtschaftlichen Leben, wenn 
es gelingt, Produktionsinstrumente von nennens- 
werter Bedeutung herzustellen und die so durch 
Steigerung der Produktivität gewonnene Fülle 
der Erzeugnisse gewinnbringend abzusetzen, mit 
andern Worten: eine gewisse Höhe der Technik 
sowie eine gewisse Ausdehnung des Marktes durch 
den Handel sind die wirtschaftlichen Voraus- 
setzungen. Diese sind im Mittelalter erst seit Ende 
des 15. Jahrh., der Zeit der großen Entdeckungen 
und des beginnenden Welthandels, vorhanden. 
Für die Beurteilung des Zinsverbotes kommt aber 
noch besonders in Betracht, daß es in der Zeit 
des Lehenssystems und der Zunftverfassung auch 
gar nicht möglich war, vermittelst des Geldes be- 
liebig sich Produktivkräfte zu beschaffen, vielmehr 
bestanden nach dieser Seite das ganze Mittelalter 
hindurch gesellschaftliche Schranken. Das damals 
herrschende Lehenssystem hinderte ebenso die freie 
Erwerbung von Grund und Boden wie das be- 
stehende Zunftsystem die freie Anteilnahme an der 
Produktivität der Arbeit. Solange daher „der 
Grundbesitz als ein gesellschaftliches Vorrecht des 
Adels galt, und solange die Arbeit als ein Privi- 
legium einer Klasse betrachtet wurde, waren diesen 
beiden Faktoren des Wirtschaftslebens Schranken 
gezogen, die wenigstens nach der Seite hin, die in 
unserer Frage den Ausschlag gibt, gewissermaßen 
einer Aufhebung ihrer Produktivität gleich kamen“ 
(Funk a. a. O. 51). 
6. Nachdem im vorausgehenden die Funktion 
des Kapitals in der Produktion betrachtet wurde, 
erübrigt es noch, der Frage der Entstehung 
des Kapitals kurze Beachtung zu schenken. 
Hinsichtlich dieser Frage herrscht große Meinungs- 
verschiedenheit. Die einen sagen, das Kapital 
müsse erspart, andere, es müsse produziert 
werden. In dieser einseitigen Gegenüberstellung 
sind jedoch beide Auffassungen unrichtig. Es han- 
delt sich nämlich um kein Entweder — Oder. Viel- 
mehr trifft jede von ihnen zum Teil das Rich- 
tige. Es ist klar, daß die konkreten Kapitalgüter, 
Rohstoffe, Maschinen. Werkzeuge, produziert wer- 
den müssen, während es ebenso einleuchtet, daß 
jemand, der nicht unmittelbar Genußgüter her- 
stellt, sondern sich auf längerem Umwege Arbeits- 
instrumente, also Kapital beschafft, aus einer 
früheren Zeit sich so viel Genußgüter erübrigt, 
erspart haben muß, um während der Zeit, die jener 
Umweg in Anspruch nimmt, davon zu leben. 
Es mochte wohl agitatorisch sehr wirksam sein, 
gewinnt aber dadurch nichts an Wahrheit, wenn 
Lassalle in seiner Polemik gegen den „Arbeiter- 
könig“ Schulze mit seinem ganzen Ingrimm und 
Spott den Satz übergießt, daß die Kapitalien 
durch Sparen eines Teiles des Einkommens ent- 
stehen, daß der Kapitalprofit — wie Lassalle über- 
treibend sagt — „Entbehrungslohn"“ sei. Er höhnt 
darüber, daß das Haus Rothschild wie ein aszetischer 
Säulenheiliger sich Entbehrungen auferlegt und
	        
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