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zwischen Kirche und Staat kann die Kirche heutzu-
tage von dem größten Teil der angeführten Stra-
fen keinen Gebrauch mehr machen. Doch kann sie
gegen die Laien noch einschreiten mit Rüge,
Zwangsbuße, Entziehung kirchlicher Ehrenrechte,
so der Patenschaft, mit Verweigerung der Kom-
munion und besonders des kirchlichen Begräbnisses.
Bei Geistlichen kann sie auf Geldstrafen und Frei-
heitsentziehung in Gestalt der Einweisung in ein
Korrektionshaus, Kloster oder Demeritenanstalt
erkennen.
Besonders aber bestehen an vindikativen Stra-
fen gegen die Kleriker:
1. Die Strafversetzung (translocatio),
die aus Gründen nach stattgehabtem kanonischen
Prozeß erfolgende Versetzung eines Klerikers auf
ein weniger gutes Benefizium.
2. Die Amtsentsetzung (privatio bene-
fic1#), die definitive Entziehung der Pfründe auf
Grund eines notorischen oder gerichtlich eingestan-
denen oder prozessualisch erwiesenen Vergehens.
Jedoch wird der Schuldige nicht unfähig, nach
eingetretener Besserung ein anderes Benefiz zu
erhalten. Immerhin könnte der kirchliche Richter
zugleich mit der privatio benefücü eine Ungültig-
keitserklärung zur Erwerbung eines andern Amtes
verknüpfen (Trid. sess. XIV de ref. c. 6; sess.
XXI de ref. c. 1; sess. XXIII de ref. c. 1).
3. Die Deposition, die lebenslängliche
Entsetzung eines Klerikers von jeder Ausübung
eines bereits empfangenen ordo und jeder Juris-
diktion mit bleibender Inhabilität zu einem Bene-
fizium. Doch geht das privilegium fori et ca-
nonis dadurch nicht verloren. Sonst aber ist der
Deponierte ungeachtet des unverlierbaren priester-
lichen Charakters den Laien gleich zu behandeln
(c. 9, D. XXVIII). Die Deposition eines Bi-
schofs kommt dem Papste zu, die eines Priesters
nimmt der Bischof unter Beirat des Kapitels vor,
und die eines Minoristen kann der Bischof für sich
allein vollziehen. Dieselbe erfolgt bei besonders
schweren und ärgerniserregenden Fällen. Bei ein-
getretener Besserung kann die Deposition wieder
aufgehoben werden.
4. Die Degradation beraubt den Schul-
digen auch des privilegium fori et canonis
(c. 10, X de iud. 2, 1; Trid. sess. XIII de
ref. c. 4). Diese Strase kommt nur zur Anwen-
dung bei sehr schweren oder gar todeswürdigen
Verbrechen. In solchen Fällen nämlich hat die
staatliche Gewalt vielfach schon im Mittelalter den
Schuldigen trotz des privilegium fori, d. h. trotz
des beim Kleriker allein kompetenten kirchlichen
Gerichtes, vor ihr Forum gezogen. Daher mußte
ein solcher zuvor vom kirchlichen Richter seiner
klerikalen Privilegien entkleidet werden, um dem
weltlichen Richter überlassen werden zu können.
So unterschied man die Degradation von der De-
position. Das Recht unterscheidet näherhin de-
gradatio verbalis und degradatio actualis
s. Sollemnis. Die degradatio verbalis besteht
Kirchenstrafen.
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in der gerichtlichen Untersuchung und Konstatierung
der Schuld, der Absetzung von Amt, der Erklä-
rung der Unfähigkeit, wieder ein solches zu er-
halten, und in dem Urteil, daß der Verbrecher die
Degradation und die Auslieferung an die welt-
liche Gewalt verdiene. Gerade durch das letztere
Moment unterscheidet sich die Degradation von
der Deposition und die degradatio verbalis von
der degradatio actualis. Letztere ist die durch
den konsekrierten Bischof vorgenommene Abnahme
der geistlichen Insignien und Gewänder, welche
dem Schuldigen gemäß seiner ordines gebühren
und mit welchen bekleidet er vor dem Bischof er-
scheint. Die degradatio verbalis dagegen ist
ein Akt der Jurisdiktion und kann daher schon
vom konfirmierten Bischof oder in dessen Auftrag
durch den Generalvikar oder den Kapitularvikar
vorgenommen werden. Bei der Degradation eines
Priesters müssen sechs, bei der eines Majoristen
drei weitere Bischöfe bzw. infulierte Prälaten oder
Abte als Richter beigezogen werden (c. 1 in VI“
de haeret. 5, 2; Trid. sess. XIII de ref. c. 4).
Ubrigens verliert auch der Degradierte die spiri-
tuelle Befähigung und den character indelebilis
nicht. Er könnte also im Notfalle geistliche Hand-
lungen verrichten. Der Papst könnte eine komplete
und der Bischof wenigstens eine degradatio ver-
balis wieder aufheben.
VIII. Die Stellung, welche der Staat zu
den Kirchenstrafen genommen hat, ist zu verschie-
denen Zeiten verschieden gewesen.
Der mittelalterliche katholische Staat anerkannte
durchaus die kirchliche Strafgesetzgebung und unter-
stützte die Kirche in deren Durchführung hinsicht-
lich der rein kirchlichen Vergehen und Verbrechen.
Ebenso vereinbarte er mit ihr die Strafgesetze und
deren Durchführung hinsichtlich der delicta mixta,
d. h. jener Vergehen und Verbrechen, die eine
kirchliche und eine bürgerliche Seite an sich trugen.
Entscheidend war in der Regel die Prävention,
d. h. wenn die Sache zuerst beim kirchlichen Richter
anhängig geworden war, verhängte dieser auch die
bürgerliche Strafe und führte sie eventuell mit
Hilfe des bürgerlichen Richters durch, falls sie
nicht Leibes= oder Lebensstrafe war, die immer
der bürgerliche Richter exekutierte. Ging aber die
Klage zuerst an den weltlichen Richter, so erfolgte
die bürgerliche Bestrafung, und die Tätigkeit der
Kirche beschränkte sich auf den Beichtstuhl (c. 8,
X de foro compet. 2, 2). Bei den delicta mere
eivilia bestrafte die Kirche wenigstens bei den
Klerikern auf Grund des privilegium fori allein.
Der moderne Staat ist entweder paritätisch
oder hat sich von der Kirche mehr oder weniger
getrennt. Im letzteren Fall kümmert er sich um
die kirchliche Strofgesetzgebung und deren Durch-
führung so gut wie nicht oder höchstens so weit,
als er einem privaten Verein zur Exekutierung seiner
Statuten und zum Schut seiner Rechte behilflich
ist. Der paritätische Staat gestattet der Kirche den
unbeschränkten Gebrauch ihrer Medizinal-, Dis-