Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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der Gemeindeglieder zu öffentlichen Begräbnis- 
plätzen bestimmt werden. Die Verkehrsbeschrän- 
kungen, welche nach kanonischer Auffassung eine 
Wirkung des sakralen Charakters sind, treten nach 
modernem staatlichen Rechte überhaupt nicht ohne 
weiteres als Folge des Weiheaktes ein; die teil- 
weise Extrakommerzialität besteht nur, insofern und 
insolange die res Sacrae mit Rechtswirkung pro 
koro civili (also in einer den Grundsätzen des 
weltlichen Rechts entsprechenden Weise) dem öffent- 
lichen Gebrauche gewidmet sind. Darum gelten 
nach heutigem staatlichen Rechte diese Verkehrs- 
beschränkungen für alle öffentlichen Begräbnis- 
plätze, auch wenn sie nicht benediziert sind. 
Jede Verletzung der Immunität (nicht bloß die 
Verunehrung und entwürdigende Behandlung) 
eines geweihten oder vom Bischofe bereits zur 
Weihe bestimmten Begräbnisplatzes ist als Sakrileg 
(sacrilegium locale) vom kanonischen Rechte mit 
Strafen bedroht. Das moderne Strafrecht sichert 
den Begräbnisplätzen, auch wenn sie nicht geweiht 
sind, durch besondere Strafsanktionen Schutz gegen 
böswillige Beschädigung und Verunehrung, gegen 
freventliche Eröffnung der Gräber, Entfernung 
von Leichen und Leichenbestandteilen; vgl. den 8168 
des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich: 
„Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrsam 
der dazu berechtigten Person wegnimmt, ingleichen 
wer unbefugt ein Grab zerstört oder beschädigt, 
oder wer an einem Grabe beschimpfenden Unfug 
verübt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren 
bestraft.“ 8 367, 1 droht eine Geldstrafe bis zu 
150 M oder Haft an, wenn ohne Vorwissen der 
Behörde ein Leichnam beerdigt oder beiseite ge- 
schafft oder unbefugt ein Teil einer Leiche aus dem 
Gewahrsam der dazu berechtigten Person weg- 
genommen wird (ogl. auch das österreichische 
St.G.B. 8 306). Nach § 166 des deutschen 
St.G.B. ist derjenige, welcher auf einem Fried- 
hofe „beschimpfenden Unfug verübt“, mit Gefäng- 
nis bis zu drei Jahren zu bestrafen, falls der Fried- 
hof als ein „zu religiösen Versammlungen be- 
stimmter Ort“ im Sinne des St.G.B. angesehen 
werden kann. Wird die den rituellen Vorschriften 
entsprechende religiöse Begräbnisfeier „durch 
Erregung von Lärm oder Unordnung vorsätzlich 
verhindert oder gestört“, so tritt nach § 167 des 
St.G.B. die gleiche Strafe ein. Die vorsätzliche 
und rechtswidrige Zerstörung oder Beschädigung 
eines Grabmales, dieses mag sich auf einem ge- 
weihten Friedhofe befinden oder nicht, ist nach 
§ 304 mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit 
Geld bis zu 1500 M zu bestrafen. 
Die Begräbnisplätze sollen ihrer Bestimmung 
erhalten, nur aus wichtigen Gründen außer Ge- 
brauch gesetzt und jedenfalls, wenn ihre Schließung 
verfügt worden, erst nach Ablauf einer den Rück- 
sichten der Pietät wie den sanitären Anforde- 
rungen entsprechenden Zeitfrist veräußert und pro- 
faner Verwendung wiedergegeben werden. Vom 
Standpunkt des kanonischen Rechts wären, wenn 
Kirchhöfe. 
  
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es sich um geweihte Begräbnisplätze handelt, aus- 
schließlich die kirchlichen Behörden berufen, über 
die Zulässigkeit solcher Maßregeln zu entscheiden. 
Die neuere Staatsgesetzgebung hat jedoch diese 
Kompetenz der kirchlichen Organe nur mit Be- 
schränkungen anerkannt; jedenfalls wird für die 
politische Verwaltung die Befugnis in Anspruch 
genommen, aus Rücksichten des öffentlichen Wohles, 
namentlich der Gesundheitspolizei, die Sperrung 
kirchlicher Friedhöfe zu verfügen. (Die Notwen- 
digkeit des Einvernehmens mit den geistlichen Be- 
hörden betont das preuß. Allgem. Landrecht 2I II, 
Tit. 11, § 764.) Ebenso entscheiden jetzt die staat- 
lichen Vorschriften über die Frage, wann gesperrte 
Friedhöfe zu profaner Verwendung veräußert 
werden dürfen (in Preußen /Kabinetsorder vom 
8. Jan. 1830 in der Regel erst 40 Jahre nach der 
Schließung des Begräbnisplatzes; in Osterreich 
wäre nach dem Hofdekret vom 24. Jan. 1785 
selbst die Verbauung gesperrter Friedhöfe schon 
nach zehn Jahren zulässig, indessen wird in der 
Praxis auch hier regelmäßig der Ablauf einer 
längeren Frist abgewartet). 
Ist auf einem geweihten Friedhofe notorisch 
eine Handlung verübt worden, welche nach der 
ausdrücklichen Vorschrift des Kirchengesetzes die 
pollutio s. violatio einer Kirche oder eines Kirch- 
hofes herbeiführt, dann soll der Kirchhof vorläufig 
(bis zu seiner Rekonziliation) geschlossen werden. 
Vor der Rekonziliation, welche nur ein vom 
Diözesanbischof delegierter Priester vornehmen 
kann, darf auf dem Friedhofe keine Beerdigung 
stattfinden. (Ist der Kirchhof als coem. eccles. 
contiguum unmittelbar an der Kirche angelegt, 
so gilt, wenn die Kirche polluiert worden, auch 
der Kirchhof als befleckt und muß bis zur Rekon- 
ziliation gesperrt werden lcap. un. de consecr. 
eccles. in VII# 3, 211.) Die Notorietät des 
Vorfalles vorausgesetzt, ist der Kirchhof als pol- 
luiert anzusehen, wenn daselbst doloser oder kul- 
poser Weise die Tötung eines Menschen (hierher 
gehört auch der Fall des imputabeln Selbstmordes) 
oder eine Gewalttat, welche erhebliches Blut- 
vergießen im Gefolge hatte, verübt, wenn daselbst 
Unzucht getrieben worden, endlich wenn daselbst 
ein Ungetaufter oder ein excommunicatus vi- 
tandus (s. oben) beerdigt worden ist. Die Ein- 
weihung eines Friedhofes (bzw. einer Friedhofs-= 
abteilung) ist deshalb von vornherein nur statt- 
haft, wenn derselbe sich entweder in kirchlicher 
Verwaltung befindet oder andernfalls wenigstens 
die zur Disposition über den Friedhof Berech- 
tigten (durch eine Begräbnisordnung) genügende 
Garantien bieten, daß Beerdigungen, durch welche 
der benedizierte Begräbnisplatz polluiert würde, 
daselbst nicht zugelassen werden. Ebenso wäre die 
Einweihung unstatthaft, wenn der Verwaltung 
des Friedhofes das Recht gewahrt bliebe, auch in 
dem benedizierten Friedhofsraum, ohne Rücksicht 
auf den Widerspruch der kompetenten kirchlichen 
Organe, Personen beerdigen zu lassen, deren Be-
	        
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