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seine Riesenkapitalien durch Sparen erworben habe
(Bastiat-Schulze, Der ökonomische Julian, Berlin
In den Kreisen des Sozialismus ist freilich eine
andere Theorie über die Entstehung des Kapitals
im Umlauf. Hiernach wäre dasselbe lediglich auf-
gehäufte fremde Arbeit, d. h. der Überschuß, den
der Besitzer der Produktionsmittel durch Aus-
beutung der fremden Arbeitskräfte erzielt. Aber
es springt sofort in die Augen, daß damit doch
die Entstehung des Kapitals nicht „erklärt“ ist;
denn das Kapital muß eben schon vorhanden sein,
wenn der Ausbeutungsprozeß der fremden Arbeit
beginnt.
Nichtsdestoweniger — man denke über die Ent-
stehung des Kapitals, wie man wolle — wird die
Notwendigkeit des Kapitals selbst von
keiner Seite in Frage gestellt. Insofern könnte
man sogar den Sozialismus „kapitalistisch“ nennen.
Aber freilich muß man dann unterscheiden zwischen
den Gütern, aus denen sich das Kapital zusammen-
setzt, und dem privaten Besitz= und Eigentums-
rechte daran. Häufig nämlich bezeichnet man mit
dem Ausdrucke „Kapital“ die soziale Partei der
Kapitalisten und spricht insofern von einem Inter-
essengegensatze zwischen Kapital und Arbeit. Wenn
man von der allgemein, auch von den Sozialisten
zugegebenen Notwendigkeit des Kapitals für die
Produktion spricht, so ist darunter nur die Not-
wendigkeit des sachlichen Produktionsmittels Ka-
pital, nicht aber die Notwendigkeit des Privat-
kapitalistentums verstanden. Sozialistische und
kathedersozialistische Schriftsteller haben nicht ver-
säumt, diesen Unterschied zu betonen und nur
ersteres für eine wirtschaftliche Notwendigkeit, eine
„rein ökonomische Kategorie"“, letzteres dagegen eine
bloß „historisch-rechtliche Kategorie“ zu bezeichnen
(Böhm-Bawerk a. a. O. 21).
Wenn gesagt wird, daß auf allen einigermaßen
fortgeschrittenen Stufen menschlichen Wirtschaftens
das Kapital nicht entbehrt werden könne, so bleibt
doch anderseits ebenso wahr, daß das Verhältnis
des Kapitals zur Arbeit und ihre beider-
seitige Wichtigkeit für die Produktion kein ein für
allemal festgesetztes ist. Es kann wirtschaftlich die
Bedeutung des einen oder des andern Faktors
vorherrschen; aber auch sozial kann ihre beiderseitige
Stellung verschieden geregelt werden und das Ka-
pital über die Arbeit das Ubergewicht erlangen oder
umgekehrt. Und wo nicht, wie im Mittelalter,
sittliche und rechtliche Schranken aufgerichtet sind,
wird bei höher entwickelter Wirtschaft das Kapital
regelmäßig das Übergewicht über die Arbeit be-
kommen und werden die Ansprüche des Kapitals
über die Rechte der Arbeit prävalieren. Dieses
Verhältnis, die soziale Stellung des Kapitals zur
Arbeit, führt uns auf den Begriff des Kapitalismus.
II. Der Kapitalismus. 1. Begriff und
Wesen. Es ist bereits oben erwähnt worden, daß
die Begriffe „kapitalistisch“, „Kapitalismus" mehr-
deutig sind. In dem einen Sinne bezeichnen sie
Kapital usw.
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überhaupt eine Produktion, in der Kapitalgüter
verwendet werden. In einem andern Sinne be-
zeichnen jene Ausdrücke eine Produktionsweise,
welche unter der Herrschaft und Leitung der
Eigentümer des Kapitals, der Kapitalisten vor sich
geht (Böhm-Bawerk a. a. O. 25). In dieser
Bedeutung pflegt die heutige Wirtschaftsordnung,
die Organisation unserer volkswirtschaftlichen
Produktion, als eine vorwiegend kapitalistische be-
zeichnet zu werden. In dieser auf der Grundlage des
Privateigentums organisierten Volkswirtschaft ver-
leiht nämlich das Kapital eine gewisse soziale Macht-
stellung und wirtschaftliche Uberlegenheit über die
Arbeit. Da die Verfügung über ein ausreichendes
Kapital eine unentbehrliche Bedingung für jede
einigermaßen ergiebige Produktion bildet, und da
anderseits die nicht mit Kapital versehene Arbeits-
kraft schon im Interesse ihrer eigenen Erhaltung
auf den Besitzer des Kapitals angewiesen ist, ist
das Kapital der besitzlosen Arbeit erheblich über-
legen und kann derselben die Bedingungen des Zu-
sammenwirkens einseitig vorschreiben. In die
Hand eines jeden Kapitalisten ist eine (an sich un-
beschränkte) Verfügungsgewalt über die im Lande
vorhandenen Güter und Arbeitskräftegelegt. „Jedes
für Erwerbszwecke verfügbare Zwei- und Drei-
markstück verleiht nämlich seinem Besitzer die Macht,
(ungefähr) einen Tag lang über die Arbeitskraft
eines Arbeiters zu verfügen. Wer also große ver-
fügbare Wertbeträge — ein großes Kapital —
(sei es aus Eigenem oder im Wege des Kredits)
in der Hand hat, kann große Mengen von Arbeits-
stoffen erwerben und zahlreiche Arbeitskräfte enga-
gieren und sodann große Werke oder Anlagen
herstellen lassen, welche eventuell der Gesamtheit
zu großem Vorteile gereichen können, welche
aber anderseits — wenn sie verfehlt oder über-
flüssig waren — für die Gesamtheit ein Schaden
sind, weil sie eine Vergeudung der im Lande vor-
handenen Arbeitsstoffe und Arbeitskräfte repräsen-
tieren“ (Kleinwächter a. a. O. 208).
Vermöge dieser überlegenen Stellung, die das
Kapital im kapitalistischen Wirtschaftssysteme inne-
hat, führt dasselbe nicht bloß das Kommando im
ganzen Produktionsprozeß und bestimmt, welche
Arten von Produkten und in welchen Mengen sie
erzeugt werden sollen, sondern wird auch Eigen-
tümer des Produktes, das es auf eigene Rechnung
verkauft, während die Arbeiter für ihren Anteil
daraus im voraus mit einem Pauschalbetrag, dem
vereinbarten Arbeitslohn, abgefunden werden
(s. d. Art. Lohn). Die besondere Bedeutung des
Kapitals liegt aber darin, daß es seinem Besitzer
ein arbeitsloses Einkommen abzuwerfen
vermag, und es liegt deshalb infolge der wirt-
schaftlichen Uberlegenheit, welche das Kapital der
Arbeit gegenüber besitzt, die Tendenz innerhalb
des kapitalistischen Wirtschaftssystems sehr nahe,
den Anteil des Kapitals am Produktionsertrag
auf Kosten der abhängigen, besitzlosen Arbeit zu
vergrößern.