Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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seine Riesenkapitalien durch Sparen erworben habe 
(Bastiat-Schulze, Der ökonomische Julian, Berlin 
In den Kreisen des Sozialismus ist freilich eine 
andere Theorie über die Entstehung des Kapitals 
im Umlauf. Hiernach wäre dasselbe lediglich auf- 
gehäufte fremde Arbeit, d. h. der Überschuß, den 
der Besitzer der Produktionsmittel durch Aus- 
beutung der fremden Arbeitskräfte erzielt. Aber 
es springt sofort in die Augen, daß damit doch 
die Entstehung des Kapitals nicht „erklärt“ ist; 
denn das Kapital muß eben schon vorhanden sein, 
wenn der Ausbeutungsprozeß der fremden Arbeit 
beginnt. 
Nichtsdestoweniger — man denke über die Ent- 
stehung des Kapitals, wie man wolle — wird die 
Notwendigkeit des Kapitals selbst von 
keiner Seite in Frage gestellt. Insofern könnte 
man sogar den Sozialismus „kapitalistisch“ nennen. 
Aber freilich muß man dann unterscheiden zwischen 
den Gütern, aus denen sich das Kapital zusammen- 
setzt, und dem privaten Besitz= und Eigentums- 
rechte daran. Häufig nämlich bezeichnet man mit 
dem Ausdrucke „Kapital“ die soziale Partei der 
Kapitalisten und spricht insofern von einem Inter- 
essengegensatze zwischen Kapital und Arbeit. Wenn 
man von der allgemein, auch von den Sozialisten 
zugegebenen Notwendigkeit des Kapitals für die 
Produktion spricht, so ist darunter nur die Not- 
wendigkeit des sachlichen Produktionsmittels Ka- 
pital, nicht aber die Notwendigkeit des Privat- 
kapitalistentums verstanden. Sozialistische und 
kathedersozialistische Schriftsteller haben nicht ver- 
säumt, diesen Unterschied zu betonen und nur 
ersteres für eine wirtschaftliche Notwendigkeit, eine 
„rein ökonomische Kategorie"“, letzteres dagegen eine 
bloß „historisch-rechtliche Kategorie“ zu bezeichnen 
(Böhm-Bawerk a. a. O. 21). 
Wenn gesagt wird, daß auf allen einigermaßen 
fortgeschrittenen Stufen menschlichen Wirtschaftens 
das Kapital nicht entbehrt werden könne, so bleibt 
doch anderseits ebenso wahr, daß das Verhältnis 
des Kapitals zur Arbeit und ihre beider- 
seitige Wichtigkeit für die Produktion kein ein für 
allemal festgesetztes ist. Es kann wirtschaftlich die 
Bedeutung des einen oder des andern Faktors 
vorherrschen; aber auch sozial kann ihre beiderseitige 
Stellung verschieden geregelt werden und das Ka- 
pital über die Arbeit das Ubergewicht erlangen oder 
umgekehrt. Und wo nicht, wie im Mittelalter, 
sittliche und rechtliche Schranken aufgerichtet sind, 
wird bei höher entwickelter Wirtschaft das Kapital 
regelmäßig das Übergewicht über die Arbeit be- 
kommen und werden die Ansprüche des Kapitals 
über die Rechte der Arbeit prävalieren. Dieses 
Verhältnis, die soziale Stellung des Kapitals zur 
Arbeit, führt uns auf den Begriff des Kapitalismus. 
II. Der Kapitalismus. 1. Begriff und 
Wesen. Es ist bereits oben erwähnt worden, daß 
die Begriffe „kapitalistisch“, „Kapitalismus" mehr- 
deutig sind. In dem einen Sinne bezeichnen sie 
Kapital usw. 
  
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überhaupt eine Produktion, in der Kapitalgüter 
verwendet werden. In einem andern Sinne be- 
zeichnen jene Ausdrücke eine Produktionsweise, 
welche unter der Herrschaft und Leitung der 
Eigentümer des Kapitals, der Kapitalisten vor sich 
geht (Böhm-Bawerk a. a. O. 25). In dieser 
Bedeutung pflegt die heutige Wirtschaftsordnung, 
die Organisation unserer volkswirtschaftlichen 
Produktion, als eine vorwiegend kapitalistische be- 
zeichnet zu werden. In dieser auf der Grundlage des 
Privateigentums organisierten Volkswirtschaft ver- 
leiht nämlich das Kapital eine gewisse soziale Macht- 
stellung und wirtschaftliche Uberlegenheit über die 
Arbeit. Da die Verfügung über ein ausreichendes 
Kapital eine unentbehrliche Bedingung für jede 
einigermaßen ergiebige Produktion bildet, und da 
anderseits die nicht mit Kapital versehene Arbeits- 
kraft schon im Interesse ihrer eigenen Erhaltung 
auf den Besitzer des Kapitals angewiesen ist, ist 
das Kapital der besitzlosen Arbeit erheblich über- 
legen und kann derselben die Bedingungen des Zu- 
sammenwirkens einseitig vorschreiben. In die 
Hand eines jeden Kapitalisten ist eine (an sich un- 
beschränkte) Verfügungsgewalt über die im Lande 
vorhandenen Güter und Arbeitskräftegelegt. „Jedes 
für Erwerbszwecke verfügbare Zwei- und Drei- 
markstück verleiht nämlich seinem Besitzer die Macht, 
(ungefähr) einen Tag lang über die Arbeitskraft 
eines Arbeiters zu verfügen. Wer also große ver- 
fügbare Wertbeträge — ein großes Kapital — 
(sei es aus Eigenem oder im Wege des Kredits) 
in der Hand hat, kann große Mengen von Arbeits- 
stoffen erwerben und zahlreiche Arbeitskräfte enga- 
gieren und sodann große Werke oder Anlagen 
herstellen lassen, welche eventuell der Gesamtheit 
zu großem Vorteile gereichen können, welche 
aber anderseits — wenn sie verfehlt oder über- 
flüssig waren — für die Gesamtheit ein Schaden 
sind, weil sie eine Vergeudung der im Lande vor- 
handenen Arbeitsstoffe und Arbeitskräfte repräsen- 
tieren“ (Kleinwächter a. a. O. 208). 
Vermöge dieser überlegenen Stellung, die das 
Kapital im kapitalistischen Wirtschaftssysteme inne- 
hat, führt dasselbe nicht bloß das Kommando im 
ganzen Produktionsprozeß und bestimmt, welche 
Arten von Produkten und in welchen Mengen sie 
erzeugt werden sollen, sondern wird auch Eigen- 
tümer des Produktes, das es auf eigene Rechnung 
verkauft, während die Arbeiter für ihren Anteil 
daraus im voraus mit einem Pauschalbetrag, dem 
vereinbarten Arbeitslohn, abgefunden werden 
(s. d. Art. Lohn). Die besondere Bedeutung des 
Kapitals liegt aber darin, daß es seinem Besitzer 
ein arbeitsloses Einkommen abzuwerfen 
vermag, und es liegt deshalb infolge der wirt- 
schaftlichen Uberlegenheit, welche das Kapital der 
Arbeit gegenüber besitzt, die Tendenz innerhalb 
des kapitalistischen Wirtschaftssystems sehr nahe, 
den Anteil des Kapitals am Produktionsertrag 
auf Kosten der abhängigen, besitzlosen Arbeit zu 
vergrößern.
	        
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