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III. Die Standespflichten des Klerus.
Kraft seines Berufes hat der Klerus die Laien zur
Ubung christlicher Tugenden anzuleiten und sie
dadurch zur ewigen Seligkeit zu führen. Um
dieses mit Erfolg tun zu können, muß er selbst
bezüglich jener Tugenden den Laien als Muster
vorleuchten. Aus diesem Grunde hat die Kirche
dem Klerus besondere Verpflichtungen auferlegt,
welche den Zweck haben, ihm bei den Laien Ach-
tung und Vertrauen zu sichern und dadurch seine
kirchliche Wirksamkeit zu fördern. Diese schon in
apostolischer Zeit betonten Verpflichtungen (1 Tim.
3, 2. Tit. 1, 7; 2, 7. 1 Petr. 5, 3) sind in den
kirchlichen Gesetzbüchern Papst Gregors IX., Bo-
nifatius' VIII. und Klemens' V., je in dem ersten
Titel des dritten Buches unter der Rubrik: de
vita et honestate clericorum, ferner in den
Disziplinardekreten des Konzils von Trient (bef.
Sess. XXII de ref. c. 1) sowie in den späteren
kirchlichen, besonders päpstlichen Verordnungen,
die vielfach in partikularrechtlichen Bestimmungen
noch genauer umschrieben worden sind, enthalten.
Sie sind teils positiver teils negativer Natur.
Die negativen Standespflichten des Klerus
verbieten diesem, was mit der Würde seines
Standes und mit der Reinheit und Milde seines
Berufes unverträglich oder ihn überhaupt seiner
kirchlichen Wirksamkeit zu entfremden geeignet ist.
Demgemäß ist den Klerikern insbesondere ver-
boten das Zusammenwohnen und der Verkehr
mit verdächtigen Frauenspersonen; der Besuch
von Wirtshäusern, außer auf Reisen oder aus
andern wichtigen Gründen; der Besuch von
Theatern (ob es erlaubt ist, nicht an sich schlechte
Aufführungen zu besuchen, muß im einzelnen
Falle entschieden werden); das Tanzen; das
Tragen von Waffen; die Jagd, besonders die
Treibjagd (venatio clamorosa); das Hazard-
spiel; die Ubernahme bestimmter Beschäftigungen
(Handel und Gewerbe, innere und äußere Heil-
kunde, profanrechtliche Advokatur und Prokuratur,
Pachtung von Laiengütern u. ä.). Die Ausübung
staatsbürgerlicher politischer Rechte darf mit den
kirchlichen Amtspflichten nicht kollidieren; die An-
nahme von Staats= oder Gemeindeämtern, von
Redaktionen an Zeitungen und Zeitschriften und
die literarischen Publikationen (Const. Leos' XIII.
füciorum ac munerum vom 25. Jan. 1897)
bedürfen des bischöflichen Konsenses.
Die positiven Standespflichten der Kleriker
gebieten diesen, was ihre geistige Sammlung und
ihre religiöse, sittliche und wissenschaftliche Ver-
vollkommnung zu befördern geeignet ist. Allen
Klerikern ist überhaupt geboten: a) das Tragen
der Tonsur (tonsura clericalis) und der durch
Verordnung des Dihzesanbischofs näher vorge-
schriebenen geistlichen Kleidung (habitus cleri-
calis), ut, wie das Konzil von Trient (Sess. XIV.
de ref. c. 6) bemerkt, per decentiam habitus
extrinseci morum honestatem intrinsecam
ostendant. Beharrliche Außerachtlassung dieser
Staatslexikon. III. 3. Aufl.
Klerus.
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Vorschrift hat der Bischof mit Suspension, unter
Umständen selbst mit Absetzung vom Amt und
Benefizium zu bestrafen (ogl. Konzil von Trient
a. a. O.). b) Sorgfältiges Studium der
Theologie und auch, insoweit sie diesem förder-
lich sind, der Profanwissenschaften (ugl. c. 11,
D. XXXVII;jc. 1—4, D. XXXVII. Auf die
Durchführung dieser Anordnung zielen verschie-
dene kirchliche Maßregeln ab: so insbesondere die
Bestimmung, daß zur Erlangung gewisser kirch-
licher Amter und Würden, z. B. eines Bistums,
des Amtes eines canonichs poenitentiarius,
einer Kapiteldignität an Kathedral- und ansehn-
lichen Kollegiatkirchen u. dgl. m. das Doktorat
oder Lizentiat der Theologie oder des kanonischen
Rechts erforderlich ist (ogl. Konzil von Trient:
Sess. XXII de ref. c. 2; Sess. XXIV de ref.
c. 8, 12); ferner die Verordnung, daß die Priester,
welche vom Bischof die Ermächtigung zur Aus-
spendung des Bußsakramentes (approbatio) er-
langen wollen, sich einer Prüfung (pro cura ani-
marum) zu unterziehen haben (vgl. Konzil von
Trient: Sess. XXIIII de ref. c. 15); desgleichen
die Bestimmung, daß niemand ein selbständiges
Pfarrbenefizium erlangen kann, wenn er nicht von
den Synodal= oder Prosynodalexaminatoren unter
Vorsitz des Bischofs oder des Generalvikars mit
entsprechendem Erfolge die Prüfung (Pfarrkon-
kurs) bestanden hat (Konzil von Trient: Sess.
XXIVde ref.c. 18; Benedikt XIV., Desynod.
dioec. lib. 4, c. S, n. 7/10).
Für die Kleriker der höheren Weihen,
Benefiziaten und Ordensprofessen, besteht noch die
Verpflichtung, a) täglich das liturgische Stunden-
oder Breviergebet (officium divinum, opus Dei)
zu verrichten. Das Breviergebet, seit den im
12. Jahrh. zu Rom vorgenommenen Kürzungen
des älteren ausführlichen Stundengebetes so ge-
nannt, hat den Zweck, bei den genannten Klerikern
den Geist des Gebetes und der Frömmigkeit stets
rege zu erhalten. Vgl. Propst, Brevier u. Brevier-
gebet(!1868); Bäumer, Gesch. d. Breviers (1895).
b) Ehelos (caelibes) zu bleiben, soweit es sich
wenigstens um Kleriker der abendländischen Kirche
handelt, und eine etwa vor Empfang der höheren
Weihen eingegangene Ehe nicht mehr fortzusetzen
(s. d. Art. Zölibat).
IV. Die Standesrechte des Klerus. Mit
Rücksicht auf seinen erhabenen, heiligen Beruf und
auf seine ersprießliche Wirksamkeit genießt der
Klerus den Laien gegenüber auch besondere Vor-
rechte oder Privilegien (im weiteren Sinneh. Diese
Bevorzugungen sind, rechtlich genommen, rein
kirchlicher Art, werden aber unter gewissen Modi-
fikationen vielfach auch seitens des Staates beachtet.
1. Die Ehrenrechte beschränken sich auf den
Vortritt (praecedentia) des Klerus vor den Laien
bei kirchlichen Funktionen, auf den bevorzugten
Platz im Presbyterium der Kirche, das die Laien
nur behufs Empfanges der heiligen Kommunion
betreten dürfen (bgl. c. 30, D. II de cons.; c. 1,
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