Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Die von der Kirche beanspruchte immunitas per- 
sonalis der Geistlichen (vgl. c. 69, C. XII, q. 2; 
. 47, C. XXI, gq. 3; dbie bezüglichen Gesetze 
der römischen Kaiser s. Archiv für kath. Kirchenrecht 
XXXVII 256 ff) wird großenteils von den meisten 
Staaten bis jetzt anerkannt. So auch in Deutsch- 
land. Nach dem Reichsgesetz vom 5. Febr. 1890 
(einziger Paragraph) werden militärpflichtige rö- 
misch-katholische Theologiestudierende auf ihren 
Antrag bis zum 1. April des siebten Militärjahres 
in Friedenszeiten vom Militärdienste zurückgestellt 
und nach inzwischen erfolgter Subdiakonatsweihe 
im Falle der Militärtauglichkeit der Ersatzreserve 
überwiesen unter gleichzeitiger Befreiung von den 
Ubungen. In Kriegszeiten können dagegen nach 
§ 65 des deutschen Reichsmilitärgesetzes vom 
2. Mai 1874 diejenigen Militärpflichtigen, welche 
ein geistliches Amt in einer mit Korporations- 
rechten innerhalb des Reichsgebietes ausgestatteten 
Religionsgemeinschaft bekleiden, im Bedarfsfalle 
zur Krankenpflege und Seelsorge einberufen wer- 
den. Nach der deutschen Wehrordnung vom 
22. Nov. 1888 (8§ 125, 2a und 118, 4) können 
einzelstehende sowie solche Geistliche, deren Stellen 
selbst nicht vorübergehend offen gelassen werden 
können und für die eine geeignete Vertretung nicht 
möglich ist, für den Fall einer Mobilmachung 
oder notwendigen Verstärkung des Heeres hinter 
die letzte Jahresklasse der Landwehr zweiten Auf- 
gebotes und selbst des Landsturms zurückgestellt 
werden (vgl. Sägmüller, Kirchenrecht (/21909) 
223). Ferner sind die Geistlichen nach den 88 34 
und 85 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 
27. Jan. 1877 vom Schöffen= und Geschworenen- 
amte frei, und nach Gesetz vom 6. Febr. 1875, § 3 
sollen Geistliche nicht zu Standesbeamten ernannt 
werden. Von der Übernahme der Gemeinde- 
ämter sind sie durchweg landesgesetzlich befreit. 
Auch dürfen sie nach der deutschen Strafprozeßord- 
nung (88§ 52, 1 und 55) und Zivilprozeßordnung 
(68 348, 350, 352) die Zeugenaussage „in An- 
sehung dessen verweigern, was ihnen bei der Aus- 
übung der Seelsorge anvertraut ist“ (Schweige- 
recht). Nach §§ 1784 und 1888 des B. G. B. 
dürfen Religionsdiener nur mit Genehmigung 
ihrer vorgesetzten Behörde Vormundschaften über- 
nehmen, sofern auch landesgesetzlich eine besondere 
Erlaubnis erforderlich ist (ogl. z. B. 8 22 der preuß. 
Vormundschaftsordnung vom 5. Juni 1875). 
Inderösterreichisch-ungarischen Monarchie sind, 
was die Militärpflicht betrifft, nach § 31 
des Gesetzes vom 11. April 1889 und § 31 des 
ungarischen Gesetzartikels VI vom Jahre 1889 
die Kandidaten des geistlichen Standes jeder ge- 
setzlich anerkannten Kirche und Religionsgenossen- 
schaft, wenn sie zur Zeit der Stellung in diesem 
Verhältnisse sich befinden und assentiert werden, 
über ihr Ansuchen in die Ersatzreserve einzuteilen. 
Die gleiche Begünstigung wird außerdem den- 
jenigen zuerkannt, welche zur Zeit ihrer Ein- 
reihung (am 1. Okt.) entweder die theologischen 
Klerus. 
  
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Studien beginnen oder Novizen eines geistlichen 
Ordens sind. Nach Empfang der priesterlichen 
Weihe bzw. nach erfolgter Anstellung in der Seel- 
sorge werden sie aus dem Stande der Ersatzreserve 
in die Evidenz derselben übersetzt. Zur Ubernahme 
der Vormundschaft oder Kuratel können 
in Osterreich nach §8§ 195 und 281 des Allgem. 
B. G. B. Weltgeistliche nicht wider ihren Willen, 
in Ungarn nach 8 49 des Gesetzartikels XX vom 
Jahre 1877 nicht angehalten werden, wenn sie 
mit einem Zeugnisse ihrer kirchlichen Vorgesetzten 
nachweisen, daß ihre Amtsgeschäfte mit der Aus- 
übung der Pflichten eines Vormunds oder Kura- 
tors nicht vereinbar sind. Als Zeugen dürfen 
die Geistlichen in der österreich-ungarischen Mon- 
archie laut 8 151 des Gesetzes vom 23. Mai 1873 
(Reichsgesetzblatt Nr 119) und nach § 320 des 
Gesetzes vom 1. Aug. 1895 (Reichsgesetzblatt 
Nr 113, vgl. § 204 des ungar. Gesetzart. XXXIII 
v. J. 1896 und § 207 des ungar. Gesetzart. LIV. 
v. J. 1868) weder in Straf= noch in Rechtssachen 
vernommen werden in Ansehung dessen, was ihnen 
in der Beicht oder sonst unter dem Siegel geist- 
licher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde. Zu 
dem Geschworenenamte sind nach § 3 des 
Gesetzes vom 23. Mai 1873 (Reichsgesetzblatt 
Nr 121) und nach § 43 des ungar. Gesetzart. LVI 
vom Jahre 1868 die Geistlichen der gesetzlich an- 
erkannten Kirchen und Religionsgenossenschaften 
nicht zu berufen. 
Die Standesrechte der katholischen Geistlichen 
beruhen teilweise auf dem jus dvinum. Pius IX. 
verwarf in zwei Sätzen seines Syllabus gegen- 
teilige Meinungen (Nr 30: „Die Lastenfreiheit 
[Immunitäts der Kirche und der kirchlichen Per- 
sonen hatte ihren Ursprung im bürgerlichen 
Rechte“; Nr 32: „Ohne irgend eine Verletzung 
des natürlichen Rechtes und der natürlichen Billig- 
keit kann die Militärfreiheit der Kleriker abge- 
schafft werden. Diese Abschaffung verlangt der 
bürgerliche Fortschritt, besonders in einer freiheit- 
lich eingerichteten Gesellschaft“). Besonders muß 
das Schweigerecht der Geistlichen in Ansehung 
desjenigen, was ihnen in der sakramentalen Beicht 
anvertraut wurde, auf göttliche Anordnung zurück- 
geführt werden. Eine solche Aussage von einem 
katholischen Geistlichen zu fordern ist kein Mensch 
berechtigt; auch darf kein katholischer Geistlicher 
eine solche Aussage, selbst wenn sie unter An- 
drohung des Todes von ihm gefordert würde, 
leisten (ogl. c. 2, D. VI de poenit.; c. 2, X 1, 
31; c. 12, X 5, 38; c. 13, X 5, 31; ferner 
Knopp, Der kathol. Seelsorger als Zeuge vor 
Gericht [1851); Koch, Lehrbuch der Moral- 
theologie I[21907] 203 ff). Teilweise beruhen 
die klerikalen Standesrechte lediglich auf kirch- 
licher Anordnung, wie namentlich das privilegium 
canonis, welches seine rechtliche Wirkung im Be- 
reiche der Kirche unabhängig von der Staats- 
gewalt hervorbringt. Die rechtliche Wirksamkeit 
der übrigen der gedachten Privilegien hängt aller-
	        
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