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So wurde England gezwungen, mit dem Depor-
tationsprinzip zu brechen. Portugal hat die De-
portation 1884 zum größten Teil beseitigt.
Handelskolonien im eigentlichen Sinne,
wie sie zuzeiten der ostindischen holländischen
und englischen Handelsgesellschaften bestanden,
gibt es heute nicht mehr, jede Ansiedlungs= und
Pflanzungskolonie ist mehr oder weniger auch
Handelskolonie. Es ist daher, wie bereits oben
ausgeführt, die Aufschließung von Verkehrswegen
in der Kolonie und Anlaufen der Häfen zur
Hebung des Handels notwendig.
Der Unterschied zwischen Ansiedlungs-
und Pflanzungskolonien ist eigentlich kein
wirtschaftlicher, sondern ein klimatischer. Es hängt
auch von der Natur der Bewohner des Mutter-
landes ab, ob eine Kolonie Ansiedlungs= und
Pflanzungskolonie ist, und es gibt Kolonien, die
infolge der verschiedenen Höhenlage sowohl Pflan-
zungs= als Ansiedlungskolonien sein können. In
dieser Beziehung darf man sagen: für den Nord-
europäer kommen tropische Gebiete nur als
Pflanzungskolonie in Betracht, wenn größere
Höhenlagen von 1000 m und darüber, die dauernd
Ansiedlungsland werden können, vorhanden sind.
Zurzeit ist es noch nicht erwiesen, ob nicht auch
dort Degeneration und Unfruchtbarkeit zu be-
fürchten ist. Tropische Gebiete können in höheren
Lagen für den Südeuropäer Ansiedlungsland
werden, in niederen Lagen auf die Dauer nicht,
wie die portugiesischen Ansiedlungen in Mossa-
medes, die französischen in Cayenne dargetan
haben. Für Völker der subtropischen und tro-
pischen Zone (Araber, Japaner) eignen sich auch
tropische Gebiete zum Ansiedlungsland. In sub-
tropischen Gebieten kann in der Höhenlage jeder
Europäer Ansiedler werden, in den niederen Lagen
wird es mehr oder minder von den klimatischen
Verhältnissen abhängig sein, ob eine Ansiedlung für
den Nordeuropäer ratsam erscheint. Würde z. B.
die Sandwüste an der Küste von Deutsch-Südwest-
afrika Urwald sein wie in Kamerun oder nur wie
deutscher Wald, dann würde der Aufenthalt für
den Nordeuropäer in Swakopmund und Lüderitz-
buchtgefährlich sein, während beiderjetzigen Trocken-
heit der Luft eine Ansiedlung zulässig erscheint.
Natürlich gehört zur Schaffung von Ansied-
lungskolonien ein Überschuß an Menschen, wie
ihn z. B. Japan und Deutschland haben. Japan
hat ja auch in solch kurzer Zeitspanne nach Korea,
Formosa und Sachalin schon viele Tausende von
Ansiedlern gesandt, während die Ansiedlung der
deutschen Kolonien noch in den Kinderschuhen
steckt und der Abfluß der deutschen Auswande-
rung immer noch vorzugsweise nach Amerika geht.
Japan hat eine Bevölkerungszahl von 123,9,
Deutschland nur von 112,1 auf den km. Deutsch-
land hat hiernach die Ansiedlung von Deutschen
in seinen Kolonien stark vernachlässigt.
Pflanzungskolonien sind ihrer Natur
nach tropische Gebiete. In Gegenden der sub-
Kolonien usw.
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tropischen und gemäßigten Zone werden, da die
Besiedlung der Kolonien mit Ansiedlern natur-
gemäß nur langsam erfolgen kann, auch eine Reihe
von Pflanzungen sich befinden, ohne indes den
Kolonien den Charakter als Pflanzungskolonien
zu geben.
Auch zur Erschließung der Ansiedlungs= und
Pflanzungskolonie ist Offnung der Verkehrswege
nötig, und die Geschichte der afrikanischen Eisen-
bahnbauten namentlich in Deutsch-Ostafrika zeigt,
daß durch den Bau von Eisenbahnen nicht nur
der Handel, sondern auch die Ansiedlungs= und
Pflanzungstätigkeit sehr stark im günstigen Sinne
beeinflußt wird, wie dieses ebenso bis zur Evidenz
durch den Bau der amerikanischen Pazifiklinien
erwiesen ist. Meines Erachtens ist eine richtige,
gesunde Eisenbahnpolitik die Hauptsache einer guten
Kolonialpolitik. Sie übertrifft sogar die Fragen der
Eingebornen= und der Landpolitik, die ja an und für
sich wichtiger sind, eben weil der Aufschluß eines Lan-
des eine richtige Land= und Eingebornenpolitik er-
möglicht und die schlechten Erfolge einer Kolonial-
politik in tropischen Kolonien ohne Schaffung von
Verkehrswegen naturnotwendig sind.
Die Eingebornenpolitik ist in den ver-
schiedenen Zeiten sehr verschieden gehandhabt
worden. Auch von den einzelnen Kolonialvölkern
ist in den verschiedenen Kolonien verschieden ver-
fahren, und sogar in der gleichen Kolonie ist in der
Behandlung der Eingebornen gewechselt worden.
So hat z. B. England, das in seinen tropischen
Kolonien den Eingebornen volle Freiheit, ihre
Sitten und Gebräuche, soweit es eben möglich
ist (Witwenverbrennung in Indien, Kindermord,
Menschenfresserei usw. werden nicht geduldet), be-
läßt, überall dort, wo es mit eigenen Kolonisten
sich angesiedelt hat, eine brutale Vernichtungs-
politik der Eingebornen betrieben. In den Neu-
england-Staaten in Amerika war es den An-
siedlern verboten, mit Indianern zu verkehren.
Hatte man Land nötig, vertrieb und vernichtete
man die Indianer und nahm ihnen ihr Land ab.
In Neuseeland und den australischen Kolonien
führte man gegen die Maoris und die Australneger
die Politik der Ausrottung, und so sind die
Indianer, Maoris und Australneger nur noch
schwache Uberreste der früheren zahlreichen Besitzer
Nordamerikas, Neuseelands und Australiens.
Die Spanier und Portugiesen haben in ihren
Lehnsbildungen, den Encomiendas und Capitanias,
zugleich mit dem Lande die Eingebornen in die
Herrschaft der Lehnsherren als Sklaven gegeben.
Damit wurde zugleich das System der Sklaven-
jagden im Hinterland gestattet. Als später mit
dem Christlichwerden der eingebornen Bevölkerung
die Reaktion gegen die Versklavung der christlichen
Eingebornen immer stärker wurde, mußte ein Ar-
beiterersatz durch Negersklaven geschaffen werden.
Anderseits haben die Holländer den Eingebornen
ihrer Kolonien alle Freiheiten, Rechte und Sitten
belassen, ebenso ihre Fürsten, wenn sie auch die