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Produktion der Eingebornen im Sinne ihres
Monopols für Gewürze und Kaffee sowie ihres
Handels gewaltsam beschränkt haben. Die Fran-
zosen sind in ihrem Gleichheitsgefühl so weit ge-
gangen, im 19. Jahrh. die Ansiedler und auch
kulturell höher stehende Eingeborne zu vollständig
gleichberechtigten Mitbürgern zu machen, ihnen
ihre Sprache und ihre Kultur zu bringen, kurz sie
sich zu assimilieren, eine Politik, die allerdings
am Ende des 19. Jahrh. verlassen ist, indem man
das Prinzip der sog. Assoziation, des Heranbil-
dens zu einem wirtschaftlichen Mitarbeiter, auf-
stellte. So ist es gekommen, daß Algier zu einem
Staatsteil Frankreichs — es bildet 3 Departe-
ments — geworden ist, daß die Besitzungen in
Hinterindien, Cayenne, das Senegalgebiet und
die Inseln Martinique, Guadeloupe und Réunion
im französischen Parlament vertreten sind.
Mit der Aufhebung der Sklaverei durch Eng-
land wurde dem Sklavenhandel ein Ende gemacht;
es ist zwar an dessen Stelle der Kuli-Import ge-
treten, derselbe gestaltet sich aber so teuer, daß man
in den Kolonien immer mehr zu der Einsicht ge-
langt ist, daß es ohne Eingeborne nicht geht, und
daß der Berichterstatter der französischen Kammer,
Massimy, im Jahre 1907 die Behauptung auf-
stellen konnte: „Wir wissen heute, daß das Ge-
deihen einer Kolonie nur erreicht werden kann durch
die Mithilfe der Eingebornen. Der Europäer
kann in unsern Besitzungen weder Bevölkerungs-
element noch Grundbesitzer sein.“ Dieser Grund-
satz ist, wie des weiteren später auszuführen sein
wird, auch Grundprinzipder deutschen Eingebornen-
politik geworden, indem der Vertreter des Reichs-
kolonialamtes den richtigen Grundsatz festgesetzt
hat: „Der Eingeborne ist der wertvollste Besitz
der Kolonien.“ Die Folge einer solchen Erkennt-
nis wird sein, daß die Eingebornenbehandlung
in Zukunft nicht mehr das Bild einer rücksichts-
losen Ausbeutung, sondern das einer geordneten
kulturellen Entwicklung darbieten wird, bei welcher
natürlich ebensowenig wie früher Aufstände und
Kriege zu vermeiden sind, da die kulturelle Ent-
wicklung erst recht den Eingebornen klar macht,
daß und wie man mit Annektierung ihres Besitzes
sie geschädigt hat. Keinenfalls aber wird es wahr
werden, was Parvus in seinem Werke „Die
Kolonialpolitik und ihr Zusammenbruch“ schreibt:
„Es ist ein wahrer Wettbewerb unter den Kultur-
staaten, wer die größten Scheußlichkeiten in den
Kolonien begangen hat und noch immer begeht.“
Was nun die Landpolitik in den Kolo-
nien anbetrifft, so ist nach den Schlußausführungen
über Eingebornenpolitik die richtige Landpolitik
sicherlich die, dem Eingebornen sein Land zu be-
lassen und ihn in der wirtschaftlichen Produktion
fortzubilden. Zweifellos wird die Landpolitik der
Zukunft sich diese Grundsätze überall dort zu eigen
machen und zu eigen machen müssen, wo eine Besied-
lung durch Europäer infolge der klimatischen Ver-
hältnisse unzulässig erscheint. Inwieweit an die
Kolonien ufw.
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Stelle der Eingebornenkultur die Pflanzung zutre-
ten hat, wird sich einmal aus dem Stande der kultu-
rellen Entwicklung der Eingebornen, weiter nach
der Möglichkeit einer geregelten Arbeiterbeschaffung
zu richten haben. Was die Frage der Landpolitik
in der Vergangenheit angeht, so haben alle alten
Kolonialmächte mit Ausnahme der Niederländer,
also Spanien, Portugal, Frankreich und im An-
fang auch England, die gröbsten Fehler gemacht,
die sich merkwürdigerweise in der Zeit der neuesten
Kolonialpolitik in bedenklicher Weise wiederholt
haben. Das ist die Politik der Landbeleihung,
der Landschenkung in ungeheuren Flächen an
einzelne Personen oder an Landgesellschaften, um
die Kolonien aufzuschließen und dem Mutterlande
Einnahmen zuzuführen. Grundlage dieses Sy-
stems war natürlich die Anschauung, daß alles
Land der Kolonien Eigentum des Mutterlandes
sei. So verteilte Portugal Brasilien als Capita-
nias von der Größe europäischer Staaten mitsamt
der eingebornen Bevölkerung gegen die Verpflich-
tung, ein Zehntel aller Erzeugnisse und von Gold
und Edelsteinen ein Fünftel an das Mutterland
abzuliefern, die Zölle verblieben dem Mutterlande.
Imübrigen war der „Capitano“ unbeschränktererb-
licher Herr des geschenkten Landes. In den Kolonien
Spaniens wurden Privatleuten große Bezirke,
Encomiendas, unter der Bedingung überlassen,
daß sie die Eingebornen zu Christen machten und
das repartimiento, eine Abgabe der Eingebornen
an Geld bzw. Baumwolle für den Mutterstaat,
gewährleisteten. Portugal sowohl wie Spanien
legten zunächst den Belehnten überhaupt keine
Verpflichtung zur Kolonisation oder sonstigen Auf-
schließung ihrer Besitzungen auf. Portugal machte
dann in Brasilien den Versuch, indem es den Be-
schenkten auch bestimmte Verpflichtungen in bezug
auf Kolonisation auferlegte und das volle Eigen-
tum erst nach einer längeren Zeit erteilte. Frank-
reich verlieh in den nordamerikanischen Kolonien
in der Form der Seigneuries große Landkomplexe
an Privatpersonen, welche wiederum weiter ver-
liehen. Die Lehen durften nicht veräußert werden,
ehe nicht ein Drittel des verliehenen Ackers in
Besitz genommen war. England hatte in den
Neuengland-Staaten zunächst auch das System
der Landschenkungen eingeführt. So erhielt Sir
Walter Raleigh (1584) das Recht, ebenso wie
vorher schon Gilbert (1578), alles von ihm ent-
deckte, noch nicht im Besitze christlicher Nationen
befindliche Land in Besitz zu nehmen. Später
erhielt dann die London= and Plymouth-Company,
sodann auch die Neuengland-Company gewaltige
Länderkomplexe. Aber bald schon sah sich Eng-
land genötigt, diese Landgesellschaften wieder auf-
zulösen, ebenso wie man in Kanada und den
spanischen und portugiesischen Kolonien gezwun-
gen wurde, mit dem System der Landschenkungen
zu brechen, da dieses überall Konflikte mit der ein-
gebornen Bevölkerung und besonders auch mit den
Ansiedlern bzw. Unterlehnsherren hervorrief und