Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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gebornengemeinschaften vorzugsweise mohamme- 
danischen Ursprungs mit starken Machthabern 
bestehen, sind nach englischem und holländischem 
Vorbild Residenturen eingerichtet. Die Residenten 
haben die Aufgabe, auf die eingeborne Bevölke- 
rung vermittels Beratung und Beeinflussung ihrer 
Fürsten einzuwirken und das Fußfassen einer un- 
mittelbaren deutschen Verwaltung den Eingebornen 
gegenüber vorzubereiten. Gegenüber den Weißen 
sind sie aber schon jetzt die unmittelbaren Lokal- 
verwaltungsbehörden. 
Neben der allgemeinen Landesverwaltung stehen 
als besonders organisierte Verwaltungen in Ost- 
afrika die Medizinalverwaltung und in Kiautschou 
die Unterrichtsverwaltung. 
Verwaltungsrechtliche Normen bestimmen, wie 
gesagt, die Gebiete näher, auf denen der gesamte 
Verwaltungsapparat tätig wird. Danach erstreckt 
sich die Verwaltungstätigkeit als fürsorgende ein- 
mal auf die gesamte Bevölkerung und ihr geistiges 
und leibliches Wohl, ferner auf das ganze Wirt- 
schaftsleben der Kolonie. Grundlage jener Be- 
völkerungsfürsorge ist außer der auch privatrechtlich 
in Betracht kommenden, gegenüber den Eingebor- 
nen bisher freilich nur beschränkt durchgeführten 
Beurkundung des Personenstandes der durchweg 
platzgreifende Grundsatz der Einwanderungs= und 
Niederlassungsfreiheit für Deutsche und Fremde, 
der Freizügigkeit und schließlich auch der Aus- 
wanderungsfreiheit, soweit von letzterer nicht Aus- 
nahmen gemacht sind im Hirnblick auf die Aus- 
wanderung eingeborner Arbeiter. Für das geistige 
und leibliche Wohl der Bevölkerung hat die kolo- 
niale Verwaltung zu sorgen auf den Gebieten des 
Kultus, des Unterrichts und des Gesundheitswesens. 
Die dem Wirtschaftsleben zuzuwendende Fürsorge 
erstreckt sich auf die verschiedenen Zweige der Ur- 
produktion: Landwirtschaft, Viehzucht, Forstwirt- 
schaft, Jagd, Fischerei und Bergbau, ferner auf 
Handel und Gewerbe, Münz-, Maß-, Gewichts- 
und Bankwesen, auf das Verkehrswesen und 
schließlich auf das Arbeiterwesen. 
Auf allen diesen genannten Gebieten hat aber 
die Verwaltung nicht bloß eine fürsorgende, son- 
dern auch eine gefahrabwendende, also polizeiliche 
Tätigkeit zu entwickeln. Eine solche, jedem Gebiete 
der innern Verwaltung „immanente“ Polizei 
nennt man Verwaltungspolizei. Ihr gegenüber 
steht die Sicherheitspolizei, die einen nicht Für- 
sorge, sondern ausschließlich Gefahrabwendung 
bezweckenden speziellen Verwaltungszweig darstellt. 
Die koloniale Polizeigewalt jeglicher Art wird, 
wie die mutterländische, ausgeübt durch abstrakte, 
gesetzesähnliche Polizeiverordnungen und durch 
konkrete, für den Einzelfall getroffene, gerichtlichen 
Entscheidungen entsprechende Polizeiverfügungen. 
Gegen Polizeiverfügungen hat man in Kiau- 
tschou schon im Jahre 1900 für jedermann das 
Recht der Beschwerde an den Gouverneur gegeben. 
Gegen Polizeiverfügungen und andere Verwal- 
tungsanordnungen ist für die afrikanischen und 
Kolonialrecht. 
  
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Südseekolonien im Jahre 1905 den Weißen ein 
Beschwerderecht eingeräumt. Vom Gouverneur 
kann es eventuell auf die Farbigen erstreckt werden. 
Die Beschwerde geht an den Gouverneur und als 
weitere Beschwerde an den Reichskanzler. Eine 
Beschwerde gegen den Gouverneur ist unmittelbar 
an den Reichskanzler zu richten. 
Wo das in den Kolonien rezipierte mutterlän- 
dische Recht gegen Polizeiverfügungen den Weg 
des Verwaltungsstreitverfahrens vorsieht, entschei- 
det für die Kolonien der Bundesrat in erster und 
letzter Instanz. Ein eigentliches Verwaltungsstreit- 
verfahren fehlt hier also noch. 
Zur Durchführung von Polizeiverfügungen ist 
in Verbindung mit dem Beschwerdeverfahren im 
Jahre 1900 für Kiautschou und im Jahre 1905 
für Afrika und die Südsee ein Verwaltungs- 
zwangsverfahren nach dem Vorbilde des preußi- 
chen Verwaltungszwangsverfahrens in Geltung 
gesetzt. Wie das entsprechende Beschwerdeverfahren, 
kommt es in Kiautschou auf die gesamte Bevölke- 
rung zur Anwendung; in Afrika und der Südsee 
grundsätzlich nur auf Weiße, kann hier aber auf 
Farbige durch den Gouverneur erstreckt werden. 
In diesem Falle ist gerade wie in Kiautschou den 
Farbigen gegenüber als Zwangsmittel auch körper- 
liche Züchtigung statthaft. 
Als Vollzugsorgane sind der deutschen Ver- 
waltung regelmäßig Polizeitruppen an die Hand 
gegeben, die aus Weißen und Farbigen gebildet 
sind. Sie leiten über zur kolonialen Militärver- 
waltung. 
Das Recht der kolonialen Militärverwaltung 
hat zum Gegenstande die Organisation der kolo- 
nialen Wehrmacht und die Erfüllung der Wehr- 
pflicht in den Kolonien. 
Die koloniale Finanzverwaltung erfolgt seit 
Schaffung der kolonialen Landesfisci (Gesetz 
betr. die Einnahmen und Ausgaben der Schutz- 
gebiete vom 30. März 1892) für Rechnung 
der einzelnen Kolonien als vermögensrechtlicher 
Subjekte, aber namens des Reiches als staats- 
rechtlichen Subjektes. Ihre Reglung gehört somit 
zur Ausübung der Schutzgewalt, welch letztere, 
soweit sie sich auf die Finanzverwaltung bezieht, 
als Finanzhoheit zu bezeichnen ist. Demgemäß 
steht das Finanzverordnungsrecht dem Kaiser zu, 
weil ihm die Ausübung der Schutzgewalt über- 
tragen ist (§ 1 Sch.G.G.). Wenn vielfach und 
namentlich in der Praxis angenommen wird, daß 
§ 15 Sch.G.G. dem Reichskanzler eine gleiche 
Finanzverordnungskompetenz erteile, so ist dieses 
irrig. Zahlreiche Finanzverordnungen des Reichs- 
kanzlers oder der von ihm ermächtigten Beamten 
sind daher ungültig. 
Die Ausübung der Finanzhoheit durch den 
Kaiser oder, was dasselbe ist, das Finanzverord- 
nungsrecht des Kaisers findet, wie seine gesamte 
Verordnungsbefugnis, eine Grenze am Gesetz, 
insbesondere am Reichsgesetz betr. die Einnahmen 
und Ausgaben der Schutzgebiete vom 30. März 
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