Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Nebengesetzen grundlegend. Doch konnte dieses 
Recht jetzt für sie durch kaiserliche Verordnung ab- 
geändert werden, was in mehrfacher Hinsicht, bei- 
spielsweise bezüglich der Disziplinarverhältnisse, 
geschehen ist. 
Mit dem letzten der oben erörterten fünf Ver- 
waltungsbereiche, mit der Justizverwaltung, grenzt 
das koloniale Verwaltungsrecht an die koloniale 
Rechtspflege. Es wurde bereits betont, daß sie 
grundsätzlich verschieden ist für Weiße und Farbige. 
III. Weißenrechtspstege. Als Weißenrechts- 
pflege ist, unter besonderer Berücksichtigung der 
Deutschen, eine mutterländischen Grundsätzen ent- 
sprechende Rechtspflege eingeführt. Sie mußte aber 
doch von vornherein den besondern kolonialen 
Aufgaben einigermaßen angepaßt sein. Auf an- 
derem Boden, auf dem Verhältnisse vorlagen, die 
mit den kolonialen manches gemein hatten, war 
ein ähnliches Problem schon vorher gelöst worden. 
Einmal durch das im Jahre 1879 erlassene Kon- 
sulargerichtsbarkeitsgesetz, welches in entfernten 
Ländern primitiverer Kultur und mangelhafterer 
Rechtseinrichtungen die Rechtspflege der Deutschen 
und ihrer Schutzgenossen zu regeln bestimmt war. 
Außerdem in einer einzelnen Rechtsmaterie durch 
das Gesetz betr. die Eheschließung und die Be- 
urkundung des Personenstandes von Reichsange- 
hörigen im Auslande vom Jahre 1870. Es ist 
daher begreiflich, wenn man für die Weißen die 
mutterländische Rechtspflegeordnung, d. h. das 
deutsch-preußische Privat-Straf= und Prozeßrecht 
nur in der Brechung aufnahm, welche es bereits 
in den genannten Gebieten des Auslandes erfahren 
hatte. Das Konsularrecht nebst dem Personen- 
standsrecht für die Reichsangehörigen im Aus- 
lande wurde also durch das Schutzgebietsgesetz von 
1886 als Grundstock der Rechtspflegeordnung für 
die Deutschen mit möglich gemachter Anwendbar- 
keit für die sonstigen Weißen rezipiert. 
Jenes Auslandsrecht der Deutschen ist nun aber 
für die Weißen der Kolonien nicht unabgewandelt 
eingeführt. Die besondern Verhältnisse der Ko- 
lonien erforderten zum Teil noch weitergehende 
Abweichungen vom mutterländischen Recht, als 
solche bereits im Konsularrecht bzw. im Auslands- 
recht des Personenstandes enthalten waren. Zum 
andern Teile aber ermöglichten sie eine gewisse 
Rückkehr zum reinen mutterländischen Recht. Diese 
macht sich namentlich im Prozeßrecht bemerkbar, 
um deswillen, weil in den Kolonien als Eigen- 
gebieten des Reiches die Gerichtsverfassung voll- 
kommener und dem mutterländischen Vorbild etwas 
ähnlicher gestaltet werden konnte als in den Kon- 
sulargerichtsbezirken. 
Der hiernach sich ergebende wesentliche Bestand 
der kolonialen Weißenrechtspflege wird am ein- 
sachsten in der Weise vor Augen geführt, daß vor- 
zugsweise die Abweichungen dieser Rechtspflege 
vom mutterländischen Privat-Straf= und Prozeß- 
nact. wenn auch nur die wichtigsten, herausgestellt 
werden. 
Kolonialrecht. 
  
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Solche Abweichungen sind teils der gesamten 
kolonialen Weißenrechtspflege gemeinsam, teils 
kommen sie nur auf einem einzelnen Gebiet der- 
selben vor, sei es im Privat-, Straf= oder Pro- 
zeßrecht. 
Die wichtigsten allgemeinen Abänderungen sind 
folgende. Die mutterländischen Rechtspflegevor- 
schriften finden in den Kolonien keine Anwendung, 
soweit sie Einrichtungen und Verhältnisse voraus- 
setzen, an denen es in den Kolonien fehlt. Sie 
können dann aber durch kaiserliche Verordnungen 
ersetzt werden. Wo die mutterländische Rechts- 
pflegeordnung eine landesherrliche Genehmigung 
vorsieht, tritt an deren Stelle eine Genehmigung 
des Kaisers. Und wo im heimischen Recht auf 
Verfügungen einer Landeszentralbehörde oder einer 
höheren Verwaltungsbehörde verwiesen ist, kommen 
statt ihrer in den Kolonien Verfügungen des Reichs- 
kanzlers oder der von ihm bezeichneten Behörde 
zur Geltung. Dem „Deutschen Reichsanzeiger", 
welcher im Mutterlande als das vornehmste Organ 
für notwendige öffentliche Bekanntmachungen fun- 
giert, ist diese rechtliche Bedeutung für die Kolo- 
nien, entsprechend seiner dortigen tatsächlichen Be- 
deutung, zum erheblichen Teile entzogen. Ein 
Ersatzorgan kann der Reichskanzler bestimmen. 
In der mutterländischen Rechtspflegeordnung vor- 
gesehene Fristen können in den Kolonien wegen 
der größeren Schwierigkeit des Verkehrs verlängert 
werden. Diese allgemeinen Abänderungen lassen 
sich mehr oder weniger alle auf das an ihre Spitze 
gestellte Prinzip zurückführen, daß die mutterlän- 
dische Rechtspflegeordnung in den Kolonien inso- 
weit außer Anwendung treten muß, als sie Ein- 
richtungen und Verhältnisse voraussetzt, an denen 
es in den Kolonien fehlt. Dasselbe gilt von den 
auf den einzelnen Rechtspflegegebieten eingreifen- 
den besondern Abänderungen. 
Besondere privatrechtliche Abwandlungen des 
mutterländischen Rechts kommen in den Kolonien 
sowohl im bürgerlichen Recht als auch im Handels- 
recht vor. Alle Teile des kolonialen bürgerlichen 
Rechts weisen solche Besonderheiten auf. Zunächst 
der allgemeine Teil, vor allem das Personenrecht. 
Daßein Verein auf Grund des deutschen bürgerlich- 
rechtlichen Systems der Normativbestimmungen, 
ll h. durch Eintragung ins Vereinsregister, die 
juristische Persönlichkeit erlangen kann, ist in den 
Kolonien ausdrücklich ausgeschlossen. Nicht wirt- 
schaftliche Vereine, für welche dieses System der 
Rechtsfähigkeitserlangung vom B.G.B. vorgesehen 
ist, können in den Kolonien auf andere Weise nur 
insofern rechtsfähig werden, als sie Vereine sind, 
die ihren Sitz nicht in einem Bundesstaate haben. 
Denn als solchen kann ihnen nach § 23 B.G.B. 
die Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundes- 
rats verliehen werden. Während insofern für sie 
ein Konzessionssystem des B.G.B. Platz greift, 
ist für wirtschaftliche Vereine das diesen nach dem 
B. G. B. zur Erlangung der Rechtsfähigkeit die- 
nende Konzessionssystem, nämlich bundesstaat- 
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