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Bodenkräfte und Hilfsquellen, oder es soll die Volks-
zahl und Grundbesitzverteilung geändert werden.
1. Römisches Reich. Durch die Erobe-
rungspolitik des römischen Volkes waren große
Länderstrecken in die Hand des Adels und der
großkapitalistischen Sklavenwirtschaften gelangt.
Bedrohte schon diese Art der Bodennutzung die
kleineren Bauernwirte, so mußte der Kleinbesitz in
schwere Bedrängnis kommen, als billiger Weizen
aus den eroberten Provinzen den römischen Markt
überschwemmte, Kapitalisten auch das italienische
Land aufkauften und der Staat zum Schutz der
durch Schuldforderungen in vollständige Ab-
hängigkeit geratenen Bauernbevölkerung nichts tat.
(Nach Mommsen gab es z. B. in ganz Etrurien
im Jahre 134 v. Chr. keinen freien Bauern mehr.)
Diese Verschiebung der Besitzverhältnisse vermehrte
das Proletariat und ließ die Zahl der waffen-
fähigen Bürger stark zurückgehen. Als erster er-
kannte Tiberius Gracchus, daß nur durch eine
planmäßige Neuverteilung von Land an selbst-
wirtschaftende Bauern dem Notstand gesteuert
werden könne. Dazu stand jedoch nur das früher
durch Großkapitalisten vom Staat gegen eine
mäßige und kaum beigetriebene Abgabe erworbene
Land zur Verfügung. Rechtlich war die Ein-
ziehung dieses Landes ja zulässig, doch konnte dies
beinahe als eine unter juristischen Klauseln ver-
steckte Enteignung erscheinen, da man Jahrhunderte
alte und öfters an andere Rechtsnachfolger über-
gegangene Besitztitel ohne weiteres aufheben mußte.
Unter dem Druck einer revolutionären Bewegung
verfügte das Ackergesetz des Tiberius Gracchus
vom Jahre 133 v. Chr. in schonender Form die
Einziehung des Domaniollandes. Ein Kollegium
mit richterlicher Gewalt sollte die Einziehung und
Verteilung des Landes nach dem System der Erb-
pacht in Losen von 30 Morgen Größe bestimmen.
Tiberius Gracchus erlag zwar dem Ansturm seiner
Feinde, seine sozialpolitische Tat trug jedoch
Früchte, wenn auch nachfolgende Gesetzgeber durch
Zulassung der Teilbarkeit und Veräußerung einen
Teil der günstigen Wirkungen der Siedlungs-
tätigkeit wieder zerstörten. In der Zeit von 131
bis 125 v. Chr. vermehrte sich die Zahl der waffen-
fähigen Bürger um 76000 Mann.
Später nahm Sulla einen Akt der innern
Kolonisation dor, indem er 120,0000 lAckerlose
hauptsächlich im ehemaligen eingezogenen Feindes-
land an seine Veteranen verteilte. Doch wurde
das Verbot der Stellenzerschlagung auch hier später
außer Anwendung gesetzt.
Die großen Ideen der Gracchischen Pläne er-
faßte mit scharfem Blick Julius Cäsar. Er setzte
schon als Konsul durch, daß das Domanialland
im Gebiet von Capua in Anlehnung an die nicht
verwirklichten Absichten des jüngeren Gracchuz
und des Marius mit 20 000 ehemaligen Soldaten
besiedelt wurde. Später, als Imperator, ließ
Cäsar alle italischen Besitztitel revidieren und ver-
Kolonisation, innere.
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Die systematische Besiedlung der transalpinischen
und außeritalischen Provinzen kettete diese enger
an Italien und trug so zur innern Festigung des
römischen Kaiserreiches nicht unwesentlich bei, wie
sie anderseits auf die Entwicklung der neuen Natio-
nalitäten in den genannten Provinzen bedeutsam
einwirkte.
2. Deutschland. Die innere Siedlungs-
tätigkeit geht in die frühesten Zeiten der deutschen
Geschichte zurück. Es sei an die planmäßige An-
setzung von Franken im sächsischen Gebiete, an die
Überführung von Sachsen in fränkische Gebiete
durch Karl d. Gr., an die bedeutsame Tätigkeit
der Benediktiner und Zisterzienser erinnert. Die
starke Zunahme der Bevölkerung im späteren
Mittelalter brachte es naturgemäß mit sich, daß
immer mehr Land unter den Pflug genommen
wurde und neue Wohnstätten entstanden. Eine
besonders glänzende und für die Entwicklung
Deutschlands bedeutsame Kolonisationsperiode ist
das 12. und 13. Jahrh. mit der Kolonisation
von Brandenburg, Pommern, Schlesien, Preußen
und einem Teile der russischen Ostseeprovinzen.
Die bahnbrechende Persönlichkeit war Heinrich der
Löwe; bekannt ist auch die Tätigkeit des Deutschen
Ritterordens in Preußen und des Ordens der
Schwertbrüder in Livland. Ihnen schließt sich in
unermüdlicher Siedlungstätigkeit der Zisterzienser-
orden an. Die Entvölkerung des Landes, die in-
folge des Dreißigjährigen Krieges, der schwedischen
Kriege mit ihrem Gefolge von Seuchen und Krank-
heiten eintrat, ließ das Bedürfnis nach innerer
Siedlung erneut hervortreten. Die Fürsten des
17. und 18. Jahrh. haben sich deshalb vielfach mit
ihr beschäftigt.
Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung
der preußischen Macht und damit für die politischen
Verhältnisse von ganz Deutschland ist die Koloni-
sationstätigkeit der brandenburgischen und preu-
Kischen Herrscher, die in den Arbeiten Friedrichs
d. Gr. ihren Höhepunkt und Abschluß fanden.
Im 17. Jahrh. überwog die städtische Koloni-
sation. Das 18. Jahrh. ließ die ländliche Be-
siedlung immer mehr in den Vordergrund treten,
so daß unter Friedrich d. Gr. sich städtischer und
ländlicher Zuzug etwa die Wage hielten. Beson-
ders wurden deutsch-evangelische Familien ange-
siedelt. Auch 20 000 französische Reformierte
brachte man in der Zeit von 1670/1700 in bran-
denburgischen Städten unter. In Ostpreußen
siedelte man aus größerer Entfernung 20 000
Salzburgerund 6000/7000 Deutsch-Schweizeruan.
Ferner wanderten in Westpreußen zahlreiche Ober-
deutsche ein. Der Kern der Siedler setzte sich jedoch
aus Mecklenburgern, Mitteldeutschen und Oster-
reichern zusammen. (Nach Schmoller kann etwa
½ bis ¼ der Einwohner des brandenburgisch-
preußischen Staates als Kolonistenabkömmlinge
bezeichnet werden.)
Die Ziele, welche man mit der Besiedlung er-
anlaßte die Besiedlung des frei werdenden Landes. 'reichen wollte, waren mannigfaltige. Die Hebung