Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Bodenkräfte und Hilfsquellen, oder es soll die Volks- 
zahl und Grundbesitzverteilung geändert werden. 
1. Römisches Reich. Durch die Erobe- 
rungspolitik des römischen Volkes waren große 
Länderstrecken in die Hand des Adels und der 
großkapitalistischen Sklavenwirtschaften gelangt. 
Bedrohte schon diese Art der Bodennutzung die 
kleineren Bauernwirte, so mußte der Kleinbesitz in 
schwere Bedrängnis kommen, als billiger Weizen 
aus den eroberten Provinzen den römischen Markt 
überschwemmte, Kapitalisten auch das italienische 
Land aufkauften und der Staat zum Schutz der 
durch Schuldforderungen in vollständige Ab- 
hängigkeit geratenen Bauernbevölkerung nichts tat. 
(Nach Mommsen gab es z. B. in ganz Etrurien 
im Jahre 134 v. Chr. keinen freien Bauern mehr.) 
Diese Verschiebung der Besitzverhältnisse vermehrte 
das Proletariat und ließ die Zahl der waffen- 
fähigen Bürger stark zurückgehen. Als erster er- 
kannte Tiberius Gracchus, daß nur durch eine 
planmäßige Neuverteilung von Land an selbst- 
wirtschaftende Bauern dem Notstand gesteuert 
werden könne. Dazu stand jedoch nur das früher 
durch Großkapitalisten vom Staat gegen eine 
mäßige und kaum beigetriebene Abgabe erworbene 
Land zur Verfügung. Rechtlich war die Ein- 
ziehung dieses Landes ja zulässig, doch konnte dies 
beinahe als eine unter juristischen Klauseln ver- 
steckte Enteignung erscheinen, da man Jahrhunderte 
alte und öfters an andere Rechtsnachfolger über- 
gegangene Besitztitel ohne weiteres aufheben mußte. 
Unter dem Druck einer revolutionären Bewegung 
verfügte das Ackergesetz des Tiberius Gracchus 
vom Jahre 133 v. Chr. in schonender Form die 
Einziehung des Domaniollandes. Ein Kollegium 
mit richterlicher Gewalt sollte die Einziehung und 
Verteilung des Landes nach dem System der Erb- 
pacht in Losen von 30 Morgen Größe bestimmen. 
Tiberius Gracchus erlag zwar dem Ansturm seiner 
Feinde, seine sozialpolitische Tat trug jedoch 
Früchte, wenn auch nachfolgende Gesetzgeber durch 
Zulassung der Teilbarkeit und Veräußerung einen 
Teil der günstigen Wirkungen der Siedlungs- 
tätigkeit wieder zerstörten. In der Zeit von 131 
bis 125 v. Chr. vermehrte sich die Zahl der waffen- 
fähigen Bürger um 76000 Mann. 
Später nahm Sulla einen Akt der innern 
Kolonisation dor, indem er 120,0000 lAckerlose 
hauptsächlich im ehemaligen eingezogenen Feindes- 
land an seine Veteranen verteilte. Doch wurde 
das Verbot der Stellenzerschlagung auch hier später 
außer Anwendung gesetzt. 
Die großen Ideen der Gracchischen Pläne er- 
faßte mit scharfem Blick Julius Cäsar. Er setzte 
schon als Konsul durch, daß das Domanialland 
im Gebiet von Capua in Anlehnung an die nicht 
verwirklichten Absichten des jüngeren Gracchuz 
und des Marius mit 20 000 ehemaligen Soldaten 
besiedelt wurde. Später, als Imperator, ließ 
Cäsar alle italischen Besitztitel revidieren und ver- 
Kolonisation, innere. 
  
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Die systematische Besiedlung der transalpinischen 
und außeritalischen Provinzen kettete diese enger 
an Italien und trug so zur innern Festigung des 
römischen Kaiserreiches nicht unwesentlich bei, wie 
sie anderseits auf die Entwicklung der neuen Natio- 
nalitäten in den genannten Provinzen bedeutsam 
einwirkte. 
2. Deutschland. Die innere Siedlungs- 
tätigkeit geht in die frühesten Zeiten der deutschen 
Geschichte zurück. Es sei an die planmäßige An- 
setzung von Franken im sächsischen Gebiete, an die 
Überführung von Sachsen in fränkische Gebiete 
durch Karl d. Gr., an die bedeutsame Tätigkeit 
der Benediktiner und Zisterzienser erinnert. Die 
starke Zunahme der Bevölkerung im späteren 
Mittelalter brachte es naturgemäß mit sich, daß 
immer mehr Land unter den Pflug genommen 
wurde und neue Wohnstätten entstanden. Eine 
besonders glänzende und für die Entwicklung 
Deutschlands bedeutsame Kolonisationsperiode ist 
das 12. und 13. Jahrh. mit der Kolonisation 
von Brandenburg, Pommern, Schlesien, Preußen 
und einem Teile der russischen Ostseeprovinzen. 
Die bahnbrechende Persönlichkeit war Heinrich der 
Löwe; bekannt ist auch die Tätigkeit des Deutschen 
Ritterordens in Preußen und des Ordens der 
Schwertbrüder in Livland. Ihnen schließt sich in 
unermüdlicher Siedlungstätigkeit der Zisterzienser- 
orden an. Die Entvölkerung des Landes, die in- 
folge des Dreißigjährigen Krieges, der schwedischen 
Kriege mit ihrem Gefolge von Seuchen und Krank- 
heiten eintrat, ließ das Bedürfnis nach innerer 
Siedlung erneut hervortreten. Die Fürsten des 
17. und 18. Jahrh. haben sich deshalb vielfach mit 
ihr beschäftigt. 
Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung 
der preußischen Macht und damit für die politischen 
Verhältnisse von ganz Deutschland ist die Koloni- 
sationstätigkeit der brandenburgischen und preu- 
Kischen Herrscher, die in den Arbeiten Friedrichs 
d. Gr. ihren Höhepunkt und Abschluß fanden. 
Im 17. Jahrh. überwog die städtische Koloni- 
sation. Das 18. Jahrh. ließ die ländliche Be- 
siedlung immer mehr in den Vordergrund treten, 
so daß unter Friedrich d. Gr. sich städtischer und 
ländlicher Zuzug etwa die Wage hielten. Beson- 
ders wurden deutsch-evangelische Familien ange- 
siedelt. Auch 20 000 französische Reformierte 
brachte man in der Zeit von 1670/1700 in bran- 
denburgischen Städten unter. In Ostpreußen 
siedelte man aus größerer Entfernung 20 000 
Salzburgerund 6000/7000 Deutsch-Schweizeruan. 
Ferner wanderten in Westpreußen zahlreiche Ober- 
deutsche ein. Der Kern der Siedler setzte sich jedoch 
aus Mecklenburgern, Mitteldeutschen und Oster- 
reichern zusammen. (Nach Schmoller kann etwa 
½ bis ¼ der Einwohner des brandenburgisch- 
preußischen Staates als Kolonistenabkömmlinge 
bezeichnet werden.) 
Die Ziele, welche man mit der Besiedlung er- 
anlaßte die Besiedlung des frei werdenden Landes. 'reichen wollte, waren mannigfaltige. Die Hebung
	        
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