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der Produktion stand im Vordergrund. Bei der
Landkolonisation sollten verschiedene Zwecke er-
reicht werden, nämlich: a) die Besetzung der wüst
gewordenen Bauernhufen, b) die Aufteilung eines
Teiles des großen Gutsareals, c) die Urbar-
machung und Besiedlung der großen Brüche.
Wenngleich Friedrich II. auch Prämien an Guts-
besitzer für Ansetzung von Bauern auf Gutsland
in Aussicht stellte, so hatte er damit doch nur ge-
ringen Erfolg. Hauptsächlich wurden die Kolo-
nisten auf den königlichen Domänen angesetzt, mit
ihrer Hilfe wurden zugleich eine Reihe großer
Brüche und entwässerter Seen in Brandenburg,
Pommern und Posen der Kultur gewonnen.
Den Ansiedlern gewährte man Reiseunterstützung
beim Anzug, Geschenke und Vorschüsse zur Aus-
stattung der Wirtschaft mit Saatgut, Vieh und
Feldinventar, mehrere Jahre Erlaß der Renten,
namentlich bei eignem Gehöftsbau, Militärfrei-
heit durch drei Generationen; man leistete Hilfe
beim Bau durch Anfuhr der Baumaterialien oder
man stellte die Gehöfte entweder im Rohbau oder
ganz her. Nach Schmoller kann man die mitt-
leren Aufwendungen für eine Kolonistenfamilie
auf 600 Taler veranschlagen. Meist wurden
die Ansiedlerstellen nach dem Prinzip des Erb-
zinses ausgegeben, da die Zahlung eines Kauf-
preises den meist gering bemittelten Kolonisten
nicht möglich war; doch kann der Zins als gering
angesehen werden, da pro Morgen Ackerland
0,50/1,00 M, pro Morgen Wiese 1,20 M ge-
zahlt wurden. Um die Ansiedler auf der Stelle
zu halten, war keine Verschuldung, Veräußerung
oder Verpachtung vor der dritten Generation ohne
Genehmigung der Kriegs= und Domänenkammern
möglich. Was den Erfolg der Kolonisation be-
trifft, so kann nach den Ergebnissen verschiedener
Forscher (Schmoller, Sering u. a.) angenommen
werden, daß etwa 40 000 größere Bauern,
100 000 Kleinbauern und Häusler auf einer
Fläche von 600 000/750000 ha angesiedelt wur-
den. Die Stellen waren nicht immer lebensfähig,
wenn man sie mit zu wenig oder zu schlechtem
Land oder mit zu wenig Wiesen ausgestattet hatte.
Es habern sich deshalb nicht alle Siedlungen gleich
günstig entwickelt.
Im allgemeinen muß aber festgestellt werden,
daß die zielbewußte staatliche Tätigkeit von großer
Bedeutung für die Vermehrung der Bevölkerung,
die Steigerung ihrer Produktionskraft und die
Hebung der Landeskultur gewesen ist.
Die Zeit der napoleonischen Kriege war der
innern Kolonisation nicht günstig. Die in der
Verwaltung zur Geltung gelangten Grundsätze
der sog. klassischen Nationalökonomie sahen in
möglichster Freiheit des Grundstücksverkehrs, in
der Freiheit zu teilen und zusammenzukaufen, in
der Abweisung jeder staatlichen Tätigkeit die rich-
tigen Mittel zur Förderung der Ziele der innern
Kolonisation. Der Staat zog sich infolgedessen von
Kolonisation, innere.
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ist man dieser Aufgabe wieder näher getreten, ver-
anlaßt durch schädliche Folgen der Güterschläch-
terei, die Landflucht der Arbeiter, das ÜUberhand=
nehmen der Latifundien und beeinflußt durch die
Ergebnisse der neueren nationalökonomischen For-
schungen. Der preußische Staat wurde zu neuer
Tätigkeit wieder veranlaßt durch die in den letzten
Jahrzehnten von ihm befolgte Polenpolitik. Im
folgenden wird diese nicht besprochen (vgl. darüber
Art. Polenfrage) und nur die volkswirtschaftliche
Seite näher erörtert werden.
II. Aeuere Zeit. 1. Preußen. Das erste
Gesetz, durch welches die innere Kolonisation als
Staatsaufgabe wieder aufgenommen wurde, ist
das sog. Ansiedlungsgesetz vom 26. Aug.
1886. Es verfolgt den Zweck, den polnischen
Grundbesitz zugunsten des deutschen zurückzu-
drängen und zugleich an die Stelle des Groß-
grundbesitzes Bauerngemeinden zu setzen. Das
Gesetz von 1886 stellte zu diesem Zweck einen
Fonds von 100 Mill. zur Verfügung, der mehr-
fach, zuletzt durch Gesetz vom 20. März 1908, auf
600 Mill. erhöht wurde. Geltungsbereich der
Gesetze sind die Provinzen Posen und West-
preußen. Zu seiner Durchführung wurde eine
besondere Behörde, die Ansiedlungskommis-
sion, geschaffen. Über ihre Tätigkeit wird jährlich
dem preußischen Landtage in umfangreichen Nach-
weisungen Bericht erstattet. Eine zusammenfas-
sende Darstellung über den Zeitraum von 1886
bis 1906 gibt der 1907 unter dem Titel „Zwanzig
Jahre deutscher Kulturarbeit“ erstattete Bericht, der
die Grundsätze des Verfahrens, seine Ergebnisse
und die gemachten Erfahrungen entwickelt.
Als Form der Entschädigung wurde das sog.
Rentenprinzip eingeführt, d. h. der Kauf-
preis wird nicht in runder Summe bar entrichtet,
sondern in der Form einer jährlichen Zahlung der
Rente, welche einer mäßigen Verzinsung des Kauf-
preises entspricht und zu der eine Tilgungsquote
zugeschlagen wird. Mit Rente und Tilgungssatz
wird die Stelle dinglich belastet. Freijahre, mei-
stens drei, helfen die ersten schweren Zeiten nach
Einrichtung der neuen Wirtschaft besser überstehen
und geben Gelegenheit zur Eingewöhnung in die
Verhältnisse. Die Rentengutsgesetze vom
27. Juni 1890 bzw. 7. Juli 1891 sollten dazu
dienen, die private Kolonisationstätigkeit anzu-
regen und ihr die Vergebung der Stellen gegen
Rente zu ermöglichen. Hier beschränkte sich der
Staat im Gegensatz zur direkten, staatlichen Koloni-
sation der Ansiedlungskommission zunächst auf die
Kreditvermittlung. Die Gewährung des Staats-
kredits für die Rente, und damit die Ermittlungen,
ok der Kredit gesichert sei, die Siedlung lebens-
fehig erscheine, die im allgemeinen volkswirtschaft-
licchen Interesse und bei Gemeindebildungen im
kommunalen Interesse zu stellenden Bedingungen
erfülle, wurden den Generalkommissionen über-
tragen. Die Entwicklung hat dann dahin geführt,
ihr zurück. Erst im letzten Viertel des 19. Jahrh. daß auch die eigentlichen Geschäfte der Aufteilung