Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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daß man Einfluß auf die Besiedlungstätigkeit 
und das wirtschaftliche Gedeihen der Ansiedler zu 
erlangen suchte. Diese Reform vollzog sich 1895 
und hat eine gesunde Kolonisation in die Wege 
geleitet. In England versuchte man im Wege der 
innern Kolonisation der drohenden Entvölkerung 
und den ungünstigen Wirtschaftsverhältnissen auf 
dem Lande ein Gegengewicht zu bieten, doch ist 
der Erfolg nicht bedeutend (1892/1902 wurden 
248 ha besiedelt). Wesentlich größeren Erfolg 
haben die verschiedenen Allotments Acts zu ver- 
zeichnen, die den Behörden das Recht geben, auf 
Antrag einer Anzahl von Wählern Land zu pachten 
oder, eventuell zwangsweise, zu kaufen, um es in 
Parzellen von höchstens 4 acres (1,6 ha) weiter 
zu verpachten. Die durchschnittliche Größe beträgt 
½ ha. Die Pachtrente muß alle Kosten decken. 
Auf Grund dieser Gesetzgebung sind in der Zeit 
1887/1902 rund 50 000 Arbeiterstellen besonders 
in Industrie= und namentlich Bergwerksgegenden 
begründet worden. Auch in Dänemark, Schweden 
und Norwegen wird in der allerneuesten Zeit auf 
gesetzlichem Wege die nachhaltige Förderung der 
innern Kolonisation erstrebt. 
Literatur. Schriften des Vereins für Sozial- 
politik, Bd 56: Sering, I. K. im östl. Deutsch- 
land (1893); Art. „K., i.“ im Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften u. dem Wörterbuch für 
Volkswirtschaft; Th. Mommsen, Röm. Geschichte 
(3 Bde, 101907 ff); E. Neuhaus, Die Friederiziani- 
sche Kolonisation im Warthe= u. Netzebruch (Schrif- 
ten des Vereins für die Kurmark, Hft 18, 1906); 
. Metz, J. K. in den Prov. Brandenburg u. 
Pommern 1891/1901 (1902); H. Borchert, J. K., 
in Deutsche Monatsschrift IV 6 (Berl. 1905); O. 
Gerlach, Ansiedlungen von Landarbeitern in Nord- 
deutschland (1909); Die jährlichen Denkschriften 
über die Tätigkeit der Ansiedlungskommission, dar- 
unter: Zwanzig Jahre Kulturarbeit, Tätigkeit 
u. Aufgabe neupreuß. Kolonisation in Westpreußen 
u. Posen, 1886/1906 (1907); Belgard, Parzellie= 
rung und i. K. in den sechs östl. Prov. Preußens 
1875/1906 (1907); Archiv für i. K., hrsg. von 
Sohnrey (seit 1908). 
Die Protokolle der preuß. Zentralmoorkommis- 
sion (seit 1876); Denkschrift des Ministeriums für 
Landwirtschaft von 1899 über den Stand der 
Moorkultur u. Moorbesiedlung in Preußen; 
Stumpfe, Die Besiedlung der deutschen Moore mit 
bes. Berücksichtigung der Hochmoor= u. Fehnkoloni- 
sation (1903); Wismüller, Die bayr. Moorkolonie 
(1906); Salfeld, Die Kultur der Moore, in Meitzen, 
Der Boden u. die landwirtschaftl. Verhältnisse des 
preuß. Staates VII (1906) 407 ff. 
LChristoph; Klocke.) 
Kommunismus. 1. Unterscheidung 
vom Sozialismus. Vielfach werden heute 
auch in wissenschaftlichen Werken Kommunismus 
und Sozialismus als gleichbedeutend verstanden 
und gleichmäßig definiert als ein „Gesellschafts- 
zustand, bei dem in weitem Umfange mit den 
Mitteln der Gesamtheit auf der Basis des Kol- 
lektiveigentums gewirtschaftet wird“ (Adler). Al- 
tere Nationalökonomen und Historiker beachteten 
Kommunismus. 
  
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jedoch einen Unterschied, freilich nicht in einheit- 
lichem Sinne, und auch heute noch dürfte es einem 
weithin herrschenden Sprachgebrauch wie dem 
Interesse der Wissenschaft entsprechen, die beiden 
Begriffe auseinanderzuhalten, zumal auf diese 
Weise gerade der Sozialismus besser erklärt und 
verstanden wird. Die meisten Autoren, die über- 
haupt einen Unterschied zulassen, fassen den Kom- 
munismus als ein System, das alles Privateigen- 
tumsrecht leugnet und die Gesamtheit der Güter, 
der Produktionsmittel wie der Genußgüter, einer 
größeren oder kleineren Gesellschaft von Menschen 
überweist. Der Kommunismus ist demnach ein 
Gattungsbegriff, dem sich der Sozialismus als 
engerer Begriff unterordnet. Unter Sozialismus 
ist nämlich das System zu verstehen, das bloß die 
Produktionsmittel in Kollektiveigentum übergehen 
lassen will. Indes diese Begriffsabgrenzung dürfte 
doch nicht genau auf alle Systeme zutreffen, die 
man als kommunistisch bzw. sozialistisch bezeichnet. 
Zunächst schließt der Sozialismus, der sich aller- 
dings vorwiegend mit der Vergesellschaftung aller 
Produktionsmittel und aller Produktion beschäf- 
tigt, die Gemeinsamkeit der Genußgüter nicht 
ganz aus; sonst würde er das Verteilungsproblem 
hinsichtlich der produzierten Genußgüter nicht als 
wichtigen Punkt in sein Programm ausgenommen 
haben. Anderseits gibt es zahlreiche allgemein als 
kommunistisch bezeichnete Systeme, die zwar viel 
von gemeinsamem Besitz reden, aber von der Ge- 
meinsamkeit der Produktionsgüter und der Pro- 
duktion ganz absehen, so daß ihr Programm tat- 
sächlich auf eine Gemeinsamkeit des Konsums 
hinausläuft. Der Kommunismus legt zum Zweck 
einer allgemeinen Beglückung der Menschheit den 
Hauptwert auf einen gemeinsamen Besitz, ohne die 
gemeinsame Produktion auszuschließen, aber auch 
ohne sich um sie sonderlich zu kümmern. Der 
Sozialismus betont zu demselben Zwecke in erster 
Linie die Gemeinsamkeit der Produktion; hierzu 
ist der Gemeinbesitz der Produktionsgüter not- 
wendige Voraussetzung, der Gemeinbesitz der Ge- 
nußgüter bis zu einem gewissen Grade wenigstens 
unmittelbare Folge. Der Kernpunkt aller kom- 
munistischen Theorien, der gemeinsame Besitz, wird 
durch den Namen „Kommunismus“ gut hervor- 
gehoben. Indem der Sozialismus gemeinsame 
Produktion fordert, muß er eine viel straffere, ein- 
heitliche Organisation der Gesellschaft, eine bis 
ins Extrem getriebene „Sozialisierung“ des Ein- 
zelmenschen anstreben; das bringt der Name „So- 
zialismus“ zum Ausdruck. 
2. Geschichtliches. Gewisse kommunistische 
Einrichtungen, wie gemeinsame Mahlzeiten, ge- 
meinsame Erziehungsstätten, bestanden im Alter- 
tum bereits in Kreta und Sparta. Als abgerun- 
detes System erscheint der Kommunismus zum 
erstenmal bei Plato, freilich nur in der Welt 
der Gedanken. In seinem Idealstaat, den er in 
der Politeia entwarf, sollen die Edelsten und 
Besten der Nation als Regenten und Krieger
	        
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