415
Stelle der Vermögensunzulänglichkeit der Kon-
kurseröffnung die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz)
des Schuldners getreten ist. Eine Ausnahme von
dieser Regel zeigt der Nachlaßkonkurs, bei dem
alleiniger Konkursgrund die UÜberschuldung ist,
sowie der Konkurs der Aktiengesellschaften und
Kommanditaktiengesellschaften, der bei Zahlungs-
unfähigkeit oder Überschuldung eintreten kann.
I. Das römische Recht kannte einen eigent-
lichen Konkursprozeß nicht, sondern gewährte den
Gläubigern gegenüber dem insolventen Schuldner
lediglich den Weg der Zwangsvollstreckung.
Nach älterem Recht wurde der Schuldner nach
vorgängiger manus iniectio als Schuldknecht
den Gläubigern zugesprochen. Diese durften den
in Haft genommenen addictus, wenn er sich nicht
innerhalb 60 Tagen durch Zahlung oder Vergleich
auslösen konnte, trans Tiberim als Sklaven ver-
kaufen.
Allmählich bildete sich die sog. missio in pos-
sessionem und bonorum venditio aus. Hiernach
wurden die Gläubiger auf den von einem oder
mehreren von ihnen gestellten Antrag durch Dekret
des Prätors in den Besitz des schuldnerischen Ver-
mögens eingewiesen. Sie wählten aus ihrer Mitte
den Geschäftsführer, um den Verkauf des Ver-
mögens zu leiten (magister, per qduem bona
veneant). Aus dem Erlöse wurden sämtliche auf-
getretenen Gläubiger wegen ihrer persönlichen
Forderungen (sog. Chirographarforderungen)
gleichmäßig pro rata befriedigt, soweit nicht ein-
zelnen ein gesetzliches privilegium exigendi auf
vorzugsweise Befriedigung zustand. Infolge der
bonorum venditio wurde der Schuldner mit der
infamia belegt, ging der actiones ex ante
gesto, d. h. der Klagerechte, welche ihm vorher
zugestanden hatten, verlustig und haftete den
Gläubigern für den Ausfall ihrer Forderungen
mit seinem später erworbenen Vermögen. Wenn
jedoch der durch Unglücksfälle ohne eignes Ver-
schulden zahlungsunfähig gewordene Schuldner
sein ganzes Vermögen den Gläubigern zum Zwecke
ihrer Befriedigung abtrat, so gewährte ihm die
(wahrscheinlich von Augustus erlassene) lex Iulia
die Rechtswohltat der Güterabtretung (cessio
bonorum), kraft deren er nicht nur der Personal-
exekution und Infamie entging, sondern auch das
beneficium competentiae erlangte, d. h. den
Gläubigern nur mit dem Teile seines später er-
worbenen Vermögens haftete, welchen er von seinem
standesgemäßen Lebensunterhalt entbehren konnte.
Daneben entwickelte sich — und zwar nament-
lich durch ein Senatuskonsult für senatorische
Familien — das gelindere Verfahren der sog.
bonorum distractio ohne Universalsukzession,
wonach die Gläubiger durch einen unter obrig-
keitlicher Autorität von ihnen gewählten curator
das Vermögen des Schuldners im einzelnen ver-
kaufen und den Erlös nach Verhältnis der For-
derungen zur Verteilung bringen ließen. Bei
diesem Verfahren wurde der Schuldner weder von
Konkursrecht.
46
der Personalhaft noch von der infamia betroffen
und hatte außerdem noch Anspruch auf den aus
dem Verkauf seines Vermögens nach Berichtigung
der Passiva sich etwa ergebenden Mehrerlös.
Die Bestimmungen über die missio in bona
und cessio bonorum erhielten sich auch im ju-
stinianeischen Rechte. Die durch Justinian
getroffenen Neuerungen bezogen sich vor allem
auf gewisse Ausschlußfristen (Anmeldung der For-
derungen innerhalb 2 bzw. 4 Jahren). Die Ver-
äußerung des schuldnerischen Vermögens, und zwar
der einzelnen Vermögensstücke, war mit gerichtlicher
Genehmigung durch den curator bonorum zu
bewirken. Der etwaige Überschuß wurde versiegelt
und zur Befriedigung später sich meldender Gläu-
biger hinterlegt.
Zur Vermeidung eines Konkursverfahrens
konnte einem Schuldner durch den Regenten oder
die Mehrheit der Gläubiger eine Stundung (mo-
ratorium, dilationes, induciae), gewöhnlich auf
fünf Jahre, gewährt werden. In ähnlicher Weise
konnte dem Schuldner auch durch Beschluß der
Gläubiger ein Nachlaß bewilligt werden.
Nach dem mittelalterlichen italienischen
Gewohnheits= und Statutarrecht (vgl. Fuchs,
Konk. Verf. 8 3), namentlich der großen Handels-
städte Florenz, Genua, Mailand u. a., nahm der
Konkurs die Gestalt eines Arrestverfahrens an,
welches in ein Exekutionsverfahren überging. Im
übrigen behielt es die Eigentümlichkeiten des ju-
stinianeischen Rechts bei, führte aber manche Neue-
rungen ein.
II. Germanisches und deutsches Recht. Eine
interessante, aber mannigfache Entwicklung machte
der Konkurs in den germanischen und den späteren
deutschen Rechten durch. Die germanischen Rechte
haben keinen ausgebildeten Konkurs. Ursprüng-
lich wurde der Schuldner für friedlos erklärt (Ach-
tung) oder die missio in bannum (Verkauf des
schuldnerischen Vermögens und Frondienst) über
ihn verhängt. Sie bestand im wesentlichen in einer
Vollstreckung in das ganze Vermögen zugunsten
aller beteiligten Gläubiger. Daneben kannten die
germanischen Rechte auch eine Pfändung einzelner
Vermögensstücke zugunsten einzelner Gläubiger
nach dem Grundsatz der Priorität. Dieses „Vor-
recht der ersten Besatzung“, d. h. der Begünstigung
des zuerst sich Meldenden, wirkte selbstredend auch
auf die Vollstreckung in das Gesamtvermögen ein.
Je mehr sich aber die Städte und insbesondere
der Handel entwickelten, um so mehr stellte sich die
Unhaltbarkeit dieses Grundsatzes heraus. Stadt-
rechte, Stadtbücher und Satzungen der Kaufleute
(ogl. v. Meibom, Deutsches Pfandrecht 157 ff;
Stobbe, Zur Gesch. des älteren deutschen Konk.=
Proz.) führten deshalb bei Uberschuldung einen
Generalarrest, d. h. eine Beschlagnahme des Ge-
samtvermögens zum Zwecke prozentualer Befriedi-
gung aller Gläubiger ein. Daneben war aus dem
römischen Rechte die cessio bonorum ausgenom-
men, die aber wegen der damit verbundenen In-