Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Stelle der Vermögensunzulänglichkeit der Kon- 
kurseröffnung die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) 
des Schuldners getreten ist. Eine Ausnahme von 
dieser Regel zeigt der Nachlaßkonkurs, bei dem 
alleiniger Konkursgrund die UÜberschuldung ist, 
sowie der Konkurs der Aktiengesellschaften und 
Kommanditaktiengesellschaften, der bei Zahlungs- 
unfähigkeit oder Überschuldung eintreten kann. 
I. Das römische Recht kannte einen eigent- 
lichen Konkursprozeß nicht, sondern gewährte den 
Gläubigern gegenüber dem insolventen Schuldner 
lediglich den Weg der Zwangsvollstreckung. 
Nach älterem Recht wurde der Schuldner nach 
vorgängiger manus iniectio als Schuldknecht 
den Gläubigern zugesprochen. Diese durften den 
in Haft genommenen addictus, wenn er sich nicht 
innerhalb 60 Tagen durch Zahlung oder Vergleich 
auslösen konnte, trans Tiberim als Sklaven ver- 
kaufen. 
Allmählich bildete sich die sog. missio in pos- 
sessionem und bonorum venditio aus. Hiernach 
wurden die Gläubiger auf den von einem oder 
mehreren von ihnen gestellten Antrag durch Dekret 
des Prätors in den Besitz des schuldnerischen Ver- 
mögens eingewiesen. Sie wählten aus ihrer Mitte 
den Geschäftsführer, um den Verkauf des Ver- 
mögens zu leiten (magister, per qduem bona 
veneant). Aus dem Erlöse wurden sämtliche auf- 
getretenen Gläubiger wegen ihrer persönlichen 
Forderungen (sog. Chirographarforderungen) 
gleichmäßig pro rata befriedigt, soweit nicht ein- 
zelnen ein gesetzliches privilegium exigendi auf 
vorzugsweise Befriedigung zustand. Infolge der 
bonorum venditio wurde der Schuldner mit der 
infamia belegt, ging der actiones ex ante 
gesto, d. h. der Klagerechte, welche ihm vorher 
zugestanden hatten, verlustig und haftete den 
Gläubigern für den Ausfall ihrer Forderungen 
mit seinem später erworbenen Vermögen. Wenn 
jedoch der durch Unglücksfälle ohne eignes Ver- 
schulden zahlungsunfähig gewordene Schuldner 
sein ganzes Vermögen den Gläubigern zum Zwecke 
ihrer Befriedigung abtrat, so gewährte ihm die 
(wahrscheinlich von Augustus erlassene) lex Iulia 
die Rechtswohltat der Güterabtretung (cessio 
bonorum), kraft deren er nicht nur der Personal- 
exekution und Infamie entging, sondern auch das 
beneficium competentiae erlangte, d. h. den 
Gläubigern nur mit dem Teile seines später er- 
worbenen Vermögens haftete, welchen er von seinem 
standesgemäßen Lebensunterhalt entbehren konnte. 
Daneben entwickelte sich — und zwar nament- 
lich durch ein Senatuskonsult für senatorische 
Familien — das gelindere Verfahren der sog. 
bonorum distractio ohne Universalsukzession, 
wonach die Gläubiger durch einen unter obrig- 
keitlicher Autorität von ihnen gewählten curator 
das Vermögen des Schuldners im einzelnen ver- 
kaufen und den Erlös nach Verhältnis der For- 
derungen zur Verteilung bringen ließen. Bei 
diesem Verfahren wurde der Schuldner weder von 
Konkursrecht. 
  
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der Personalhaft noch von der infamia betroffen 
und hatte außerdem noch Anspruch auf den aus 
dem Verkauf seines Vermögens nach Berichtigung 
der Passiva sich etwa ergebenden Mehrerlös. 
Die Bestimmungen über die missio in bona 
und cessio bonorum erhielten sich auch im ju- 
stinianeischen Rechte. Die durch Justinian 
getroffenen Neuerungen bezogen sich vor allem 
auf gewisse Ausschlußfristen (Anmeldung der For- 
derungen innerhalb 2 bzw. 4 Jahren). Die Ver- 
äußerung des schuldnerischen Vermögens, und zwar 
der einzelnen Vermögensstücke, war mit gerichtlicher 
Genehmigung durch den curator bonorum zu 
bewirken. Der etwaige Überschuß wurde versiegelt 
und zur Befriedigung später sich meldender Gläu- 
biger hinterlegt. 
Zur Vermeidung eines Konkursverfahrens 
konnte einem Schuldner durch den Regenten oder 
die Mehrheit der Gläubiger eine Stundung (mo- 
ratorium, dilationes, induciae), gewöhnlich auf 
fünf Jahre, gewährt werden. In ähnlicher Weise 
konnte dem Schuldner auch durch Beschluß der 
Gläubiger ein Nachlaß bewilligt werden. 
Nach dem mittelalterlichen italienischen 
Gewohnheits= und Statutarrecht (vgl. Fuchs, 
Konk. Verf. 8 3), namentlich der großen Handels- 
städte Florenz, Genua, Mailand u. a., nahm der 
Konkurs die Gestalt eines Arrestverfahrens an, 
welches in ein Exekutionsverfahren überging. Im 
übrigen behielt es die Eigentümlichkeiten des ju- 
stinianeischen Rechts bei, führte aber manche Neue- 
rungen ein. 
II. Germanisches und deutsches Recht. Eine 
interessante, aber mannigfache Entwicklung machte 
der Konkurs in den germanischen und den späteren 
deutschen Rechten durch. Die germanischen Rechte 
haben keinen ausgebildeten Konkurs. Ursprüng- 
lich wurde der Schuldner für friedlos erklärt (Ach- 
tung) oder die missio in bannum (Verkauf des 
schuldnerischen Vermögens und Frondienst) über 
ihn verhängt. Sie bestand im wesentlichen in einer 
Vollstreckung in das ganze Vermögen zugunsten 
aller beteiligten Gläubiger. Daneben kannten die 
germanischen Rechte auch eine Pfändung einzelner 
Vermögensstücke zugunsten einzelner Gläubiger 
nach dem Grundsatz der Priorität. Dieses „Vor- 
recht der ersten Besatzung“, d. h. der Begünstigung 
des zuerst sich Meldenden, wirkte selbstredend auch 
auf die Vollstreckung in das Gesamtvermögen ein. 
Je mehr sich aber die Städte und insbesondere 
der Handel entwickelten, um so mehr stellte sich die 
Unhaltbarkeit dieses Grundsatzes heraus. Stadt- 
rechte, Stadtbücher und Satzungen der Kaufleute 
(ogl. v. Meibom, Deutsches Pfandrecht 157 ff; 
Stobbe, Zur Gesch. des älteren deutschen Konk.= 
Proz.) führten deshalb bei Uberschuldung einen 
Generalarrest, d. h. eine Beschlagnahme des Ge- 
samtvermögens zum Zwecke prozentualer Befriedi- 
gung aller Gläubiger ein. Daneben war aus dem 
römischen Rechte die cessio bonorum ausgenom- 
men, die aber wegen der damit verbundenen In-
	        
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