Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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den empirischen Staatsformen des Altertums oder 
des Mittelalters Vorbilder, die seinen Anforde- 
rungen entsprechen, wenngleich sich hier und da, 
soweit es sich um die Mitausübung eines Teiles 
der Staatsgewalt durch eine Art von Volksvertre- 
tung handelt, Ahnlichkeiten herausstellen. In den 
orientalischen Despotien und Theokratien alter 
und neuer Zeit war und ist von irgend einer 
Teilnahme des Volkes oder eines Volksteiles in 
dieser Beziehung überhaupt nicht die Rede. Die 
hellenischen Staaten hinwiederum haben außer 
Betracht zu bleiben, weil sie Republiken waren, 
in denen in allen selbst durch Jahrhunderte ge- 
trennten und von verschiedenen Verfassungsgesetz- 
gebungen beeinflußten Perioden, soweit nicht zeit- 
weilig eine Ausartung in Oligarchie oder Tyran- 
nis vorkam, die oberste Gewalt bei dem Volke 
selbst lag und von diesem in der Volksversamm- 
lung unmittelbar ausgeübt wurde. Das gilt im 
Grunde genommen auch von Sparta, das nach 
der lykurgischen Gesetzgebung allerdings im Doppel- 
königtum eine monarchische Spitze und in der Ge- 
rusia einen von der Volksversammlung durch Zu- 
ruf gewählten Rat zur Entscheidung in wichtigen 
Staatsangelegenheiten besaß. Ahnliches fand sich 
dann auch im alten königlichen wie im Rom der 
Kaiserzeit, die Republik hier auch außer Betracht 
gelassen; bestand doch in beiden Perioden neben 
dem Monarchen der aus früheren durch Volks- 
wahl ernannten Beamten gebildete Senat, in der 
Königszeit allerdings nur als beratende Körper- 
schaft, in der Kaiserzeit dagegen mit den aus den 
Zeiten der Republik übernommenen, unter Tibe- 
rius sogar noch erweiterten verfassungsrechtlichen 
Besugnissen, insbesondere in bezug auf Bewil- 
ligung und Verwendung von Auflagen. Dem 
theoretischen Vergleiche dieses Zustandes mit den 
konstitutionellen Verhältnissen der Gegenwart tut 
es auch keinen Abbruch, wenn zugegeben werden 
muß, daß schon von den ersten Tagen des Kaiser- 
tums ab die Bedeutung des Senats fast nur eine 
sormelle, jedenfalls nur eine sehr geringe war. 
Seit Diokletian wurden weder der Senat noch 
die ebenso rein formell beibehaltenen Comitien 
überhaupt mehr einberufen, und unter Konstantin 
verschwanden beide auch der Form nach, so daß 
von da ab im ganzen Umfange des damaligen 
römischen Reiches, d. i. im ganzen Bereiche der 
damals bekannten Kulturwelt, der monarchische 
Absolutismus aufgerichtet war, der, immer mehr 
die Formen des altorientalischen Despotismus 
annehmend, im Osten im byzantinischen und nach 
dessen Untergang im islamischen Reiche sich bis in 
die neuesten Zeiten erhielt. 
Der Westen des römischen Reiches fiel ger- 
manischen Völkerschaften anheim. Die Verfas- 
sungen dieser weisen bei ihrem ersten geschicht- 
lichen Auftreten gewisse konstitutionelle Züge auf. 
Die Hundertschaftsfürsten und in aufsteigender 
Linie die Gaugrafen und Stammesherzoge bildeten 
in Vertretung des hinter ihnen stehenden Volks- 
Konstitutionalismus. 
  
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teils, aus dem sie durch Wahl hervorgingen, um 
den König, dessen Machtvollkommenheiten ein- 
schränkend, einen Rat, neben dem allerdings die 
Versammlung der ganzen Landesgemeinde in der 
Form der Heeresversammlung über die wichtigsten 
öffentlichen Angelegenheiten, wie über Krieg und 
Frieden, über den Erlaß von Gesetzen, bestimmte, 
auch über schwere Verbrechen, wie Landesverrat, 
das Richteramt ausübte. Dabei verblieb es auch 
noch nach Gründung der merowingischen Mon- 
archie bis in die karolingische Zeit. Seit dem 
6. Jahrh., nach der Bekehrung der Franken zum 
Christentum, traten zu dem Rate auch noch die 
Bischöfe und Abte. Aber unter den machtvollen 
Karolingern wurden die Versammlungen dieser 
Großen, Reichshoftage, placita, später Reichs- 
tage genannt, immer mehr in ihrer Selbständig- 
keit herabgedrückt, so daß sie den Charakter eines 
erweiterten Staatsrats annahmen, besonders nach- 
dem unter Karl d. Gr. die bereits von seinen Vor- 
gängern angebahnte Degradierung der Stammes- 
herzoge und Grafen zu Beamten beendet wor- 
den war. 
Seit dem Sinken der königlichen Macht unter 
Karls d. Gr. Nachfolgern änderte sich dies im 
ostfränkischen Reiche aber allmählich wieder inso- 
fern, als unter dem Einfluß des sich ausbildenden 
Lehnswesens die Erblichkeit der großen weltlichen 
Staatsämter Fortschritte machte und deren In- 
haber zu Landesherren heranwuchsen, deren Teil- 
nahme an den Reichstagen als ein persönliches 
Recht beansprucht und durchgesetzt und deren Zu- 
stimmung zu allen wichtigeren Angelegenheiten 
erforderlich wurde. Der hierdurch den Reichs- 
tagen des alten deutschen Reiches aufgedrückte 
Charakter ist denselben auch in der Folgezeit ge- 
blieben. Wenn diesen Reichstagen auch in An- 
sehung der ihrer Mitwirkung unterworfenen An- 
gelegenheiten und in der Art der Mitwirkung eine 
Ahnlichkeit mit unsern konstitutionellen parlamen- 
tarischen Körperschaften eigen ist, so fehlt bei 
ihnen, wie sich von selbst ergibt, doch das Mo- 
ment der Repräsentation des Volkes noch lange 
Zeit gänzlich. Erst seit 1255 und insbesondere 
seitdem infolge der Kämpfe im 14. und 15. Jahrh. 
die zünftige Bürgerschaft in den Städten aus- 
schließlich oder neben dem Patriziate zur Herr- 
schaft und zu deren Vertretung auf den Reichs- 
tagen gelangt war, kann in gewissem Sinne von 
einer Vertretung des Volkes, aber doch immer 
nur der städtischen Bevölkerung, gesprochen wer- 
den. — Was hier vom Reichstage gesagt ist, gilt 
auch von den entsprechenden Gebilden, die ehe- 
mals in den Herzogtümern und Grafschaften und 
später in den landesherrlichen Territorien in die 
Erscheinung traten, den Landtagen, bis es hier 
seit der Restauration und besonders nach dem 
Dreißigjährigen Kriege gelang, mit überwindung 
des in der ständisch gegliederten Staatsform lie- 
genden Dualismus der Staatsgewalt zugleich 
deren moderne Einheitlichkeit und die absolute,
	        
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