Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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geboren, studierte seit 1797 in Jena Philosophie, 
habilitierie sich daselbst 1802, ging 1805 nach 
Dresden als Lehrer an der Ingenieurakademie 
und habilitierte sich 1814 in Berlin, ohne eine 
Anstellung zu finden. 1824 siedelte er nach Göt- 
tingen über und von dort 1831 nach München, 
wo sein Versuch, eine Professur zu erlangen, an dem 
Widerstande Schellings scheiterte. Mit schweren 
Nahrungssorgen kämpfend, starb Krause in Mün- 
chen am 27. Sept. 1832. 
Krauses Philosophie gliedert sich in einen ana- 
lytischen (aufsteigenden) und einen synthetischen 
(absteigenden) Teil. Die Analyse geht vom un- 
mittelbar Gegebenen und Gewissen, dem Selbst- 
bewußtsein, aus. Wir finden uns als Vereinswesen 
von Geist und Leib; Geist und Leib erweisen sich 
als Teile eines umfassenden Ganzen, des Geister- 
reiches (der Vernunft) und der Natur, die in Gott 
vereint sind, wie Geist und Leib in dem „Ur-Ich“. 
Gott ist die ewige Weisheit, Liebe und Gerechtig- 
keit; er will in erster Linie sich selbst, dann die 
Welt. Sich selbst will er in der Welt „darleben“. 
Der synthetische Teil zeigt vorzüglich, wie sich 
Natur und Geist in den verschiedenen Wesen ent- 
falten und verbinden. Die höchste Verbindung von 
Natur und Geist und die lebendigste Urverbindung 
mit Gott besteht in der Menschheit, die Gott zu 
höherer Lebensordnung emporführt. Gegenüber 
den Störungen menschlicher Freiheit muß er die 
allgemeinen Lebensgesetze warnend und strafend 
aufrecht erhalten. 
Die Menschheit organisiert sich nach dem phy- 
sischen Zusammenhang in Familien, Gemeinden, 
Stämmen, Völkern und Völkervereinen, nach den 
ethischen Lebenszwecken, Religion, Wissenschaft, 
Kunst, Erziehung, Sittlichkeit, Recht, in besondern 
Vereinen. Das Ideal wäre ein Gesamt- 
organismus aller dieser Vereine, der das Göttlich- 
Menschliche in Einheit und Gemeinsamkeit pflegen 
würde. Dem Recht wird in der analhtischen 
Entwicklung eine absolute göttliche Begründung 
gegeben. Grund (und Zweck) des Rechts ist das 
„Selbleben Gottes“, die Entfaltung des gött- 
lichen Lebensinhaltes in der Welt oder die Pflege 
der gesamten göttlich-menschlichen Lebenszwecke. 
Diese Lebenszwecke im individuellen Geiste inner- 
lich erstrebt, bedeuten das Gute; ihre gemeinsame 
Erreichung dagegen im Verein der Menschen hängt 
von zeitlichen Umständen, von dem freien Willen 
der Gesellschaftsglieder ab. Das geordnete Ganze, 
der „Gliedbau“ dieser Bedingung ist eben das 
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Kecht. 
Das Recht ist der Gliedbau aller zeitlich freien 
Lebensbedingnisse des innern Selblebens Gottes 
und in und durch selbiges auch des wesengemäßen 
Selblebens und Vereinlebens aller Wesen in Gott. 
(Die Bedingung ist ein Verhältnisbegriff und von 
Ursache und Mittel wohl zu unterscheiden. Das 
Recht ist „Bedingtnis“ und „Bedingnis“, bedingt 
und bedingend.) Rechte sind nach der einen Seite 
Pflichten; sie setzen Leistungen und Pflichten vor- 
Krause. 
  
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aus und ermöglichen den Gebrauch und Genuß 
der menschlichen Güter. Dies klarzustellen ist ein 
wesentlicher Vorzug des Krauseschen Rechtsbe- 
griffes. Nur ist der Begriff der Bedingungen zu 
weit, und eine Beschränkung derselben auf die not- 
wendigsten (darum „Zwangs"-) Normen der freien 
Handlungen des Menschen wäre wünschenswert 
gewesen. 
Ein mehr materieller Vorzug liegt in dem 
weiten Inhalt, den er dem Recht in den Lebens- 
zwecken gibt. Kant und Hegel wissen dem Recht 
keine höhere Bestimmung als eine inhaltslose 
Freiheit zu geben. Krause scheint aber mit seiner 
Definition beinahe ins andere Extrem zu ver- 
fallen und dem Recht zu viele Rücksichten auf- 
zuerlegen. Auch bleibt bei dem pantheistischen 
Charakter seines Gottesbegriffes neben der Pflege 
des Rechts, welches den göttlichen Lebenszweck der 
Menschen ermöglicht, und neben der Rechtsanstalt, 
dem Staate, kaum noch Raum für eine eigne 
Religionspflege und Religionsanstalt. 
Von den weiteren Ausführungen Krauses ver- 
dient Beachtung, daß er alle Rechte auf die leben- 
dige Wurzel derselben, die Persönlichkeit und ihre 
Zwecke, zurückführt, so das Eigentum, den Besitz, 
den Gebrauch einer Sache, Rechtsforderungen 
und Leistungen. Im Eigentumsrecht, einem „Recht 
am Recht“, dem „Recht in der Potenz“, wird eine 
äußere und innere Seite unterschieden. Der Rechts- 
philosoph Heinrich Ahrens, ein Schüler 
Krauses, spezifiziert diese näher in ein äußeres 
Erwerbs-, Besitz-, Schutz-, Veräußerungsrecht und 
das innere, die Substanz berührende Gebrauchs- 
recht, das menschliche Rechtsleben. 
„Der Staat ist ein Kunstwerk (und doch ein 
Organismus). Er erfordert Einsicht in das Recht, 
gerechten Willen und zur Verwirklichung des 
Rechts Tatkraft (Macht), Kunstgeschicklichkeit und 
Kunstfleiß.“ „Die Form des Staates ist der ge- 
meinsame, gesellschaftliche, freie, gerechte Wille der 
im Staate vereinten Menschen.“ Der Staats- 
vertrag ist die wesentliche Vernunftform jedes 
Staates. Die Funktionen des Staates entsprechen 
den seelischen Grundtätigkeiten: Erkennen, Emp- 
finden, Wollen, Tun. Das erkannte Recht geht 
in Gesinnung und Willen über; der allgemeine 
Rechtswille ist Gesetz, der individuelle ist Vor- 
schrift und Anordnung (vgl. Ihering, Zweck im 
Recht 1 342 ff). 
Die Krauseschen Ansichten verdanken ihre Be- 
deutung in der rechtsphilosophischen Bewegung 
der Gegenwart juristisch gebildeten Männern wie 
Ahrens, welche die unverständlichen und formell 
oft ungenießbaren Ausführungen Krauses in ver- 
ständliches Deutsch umsetzten und auf die Einzel- 
heiten des Rechts anwendeten. Ahrens findet 
eine unverkennbare Verwandtschaft der Krause- 
schen Ideen mit dem Geist des germanischen Rechts, 
das deshalb bei ihm alle Anerkennung erntet. 
Gegenüber dem Freiheits= und Machtprinzip des 
römischen Rechts und einer analogen (Kant-
	        
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