487
geboren, studierte seit 1797 in Jena Philosophie,
habilitierie sich daselbst 1802, ging 1805 nach
Dresden als Lehrer an der Ingenieurakademie
und habilitierte sich 1814 in Berlin, ohne eine
Anstellung zu finden. 1824 siedelte er nach Göt-
tingen über und von dort 1831 nach München,
wo sein Versuch, eine Professur zu erlangen, an dem
Widerstande Schellings scheiterte. Mit schweren
Nahrungssorgen kämpfend, starb Krause in Mün-
chen am 27. Sept. 1832.
Krauses Philosophie gliedert sich in einen ana-
lytischen (aufsteigenden) und einen synthetischen
(absteigenden) Teil. Die Analyse geht vom un-
mittelbar Gegebenen und Gewissen, dem Selbst-
bewußtsein, aus. Wir finden uns als Vereinswesen
von Geist und Leib; Geist und Leib erweisen sich
als Teile eines umfassenden Ganzen, des Geister-
reiches (der Vernunft) und der Natur, die in Gott
vereint sind, wie Geist und Leib in dem „Ur-Ich“.
Gott ist die ewige Weisheit, Liebe und Gerechtig-
keit; er will in erster Linie sich selbst, dann die
Welt. Sich selbst will er in der Welt „darleben“.
Der synthetische Teil zeigt vorzüglich, wie sich
Natur und Geist in den verschiedenen Wesen ent-
falten und verbinden. Die höchste Verbindung von
Natur und Geist und die lebendigste Urverbindung
mit Gott besteht in der Menschheit, die Gott zu
höherer Lebensordnung emporführt. Gegenüber
den Störungen menschlicher Freiheit muß er die
allgemeinen Lebensgesetze warnend und strafend
aufrecht erhalten.
Die Menschheit organisiert sich nach dem phy-
sischen Zusammenhang in Familien, Gemeinden,
Stämmen, Völkern und Völkervereinen, nach den
ethischen Lebenszwecken, Religion, Wissenschaft,
Kunst, Erziehung, Sittlichkeit, Recht, in besondern
Vereinen. Das Ideal wäre ein Gesamt-
organismus aller dieser Vereine, der das Göttlich-
Menschliche in Einheit und Gemeinsamkeit pflegen
würde. Dem Recht wird in der analhtischen
Entwicklung eine absolute göttliche Begründung
gegeben. Grund (und Zweck) des Rechts ist das
„Selbleben Gottes“, die Entfaltung des gött-
lichen Lebensinhaltes in der Welt oder die Pflege
der gesamten göttlich-menschlichen Lebenszwecke.
Diese Lebenszwecke im individuellen Geiste inner-
lich erstrebt, bedeuten das Gute; ihre gemeinsame
Erreichung dagegen im Verein der Menschen hängt
von zeitlichen Umständen, von dem freien Willen
der Gesellschaftsglieder ab. Das geordnete Ganze,
der „Gliedbau“ dieser Bedingung ist eben das
à5
Kecht.
Das Recht ist der Gliedbau aller zeitlich freien
Lebensbedingnisse des innern Selblebens Gottes
und in und durch selbiges auch des wesengemäßen
Selblebens und Vereinlebens aller Wesen in Gott.
(Die Bedingung ist ein Verhältnisbegriff und von
Ursache und Mittel wohl zu unterscheiden. Das
Recht ist „Bedingtnis“ und „Bedingnis“, bedingt
und bedingend.) Rechte sind nach der einen Seite
Pflichten; sie setzen Leistungen und Pflichten vor-
Krause.
488
aus und ermöglichen den Gebrauch und Genuß
der menschlichen Güter. Dies klarzustellen ist ein
wesentlicher Vorzug des Krauseschen Rechtsbe-
griffes. Nur ist der Begriff der Bedingungen zu
weit, und eine Beschränkung derselben auf die not-
wendigsten (darum „Zwangs"-) Normen der freien
Handlungen des Menschen wäre wünschenswert
gewesen.
Ein mehr materieller Vorzug liegt in dem
weiten Inhalt, den er dem Recht in den Lebens-
zwecken gibt. Kant und Hegel wissen dem Recht
keine höhere Bestimmung als eine inhaltslose
Freiheit zu geben. Krause scheint aber mit seiner
Definition beinahe ins andere Extrem zu ver-
fallen und dem Recht zu viele Rücksichten auf-
zuerlegen. Auch bleibt bei dem pantheistischen
Charakter seines Gottesbegriffes neben der Pflege
des Rechts, welches den göttlichen Lebenszweck der
Menschen ermöglicht, und neben der Rechtsanstalt,
dem Staate, kaum noch Raum für eine eigne
Religionspflege und Religionsanstalt.
Von den weiteren Ausführungen Krauses ver-
dient Beachtung, daß er alle Rechte auf die leben-
dige Wurzel derselben, die Persönlichkeit und ihre
Zwecke, zurückführt, so das Eigentum, den Besitz,
den Gebrauch einer Sache, Rechtsforderungen
und Leistungen. Im Eigentumsrecht, einem „Recht
am Recht“, dem „Recht in der Potenz“, wird eine
äußere und innere Seite unterschieden. Der Rechts-
philosoph Heinrich Ahrens, ein Schüler
Krauses, spezifiziert diese näher in ein äußeres
Erwerbs-, Besitz-, Schutz-, Veräußerungsrecht und
das innere, die Substanz berührende Gebrauchs-
recht, das menschliche Rechtsleben.
„Der Staat ist ein Kunstwerk (und doch ein
Organismus). Er erfordert Einsicht in das Recht,
gerechten Willen und zur Verwirklichung des
Rechts Tatkraft (Macht), Kunstgeschicklichkeit und
Kunstfleiß.“ „Die Form des Staates ist der ge-
meinsame, gesellschaftliche, freie, gerechte Wille der
im Staate vereinten Menschen.“ Der Staats-
vertrag ist die wesentliche Vernunftform jedes
Staates. Die Funktionen des Staates entsprechen
den seelischen Grundtätigkeiten: Erkennen, Emp-
finden, Wollen, Tun. Das erkannte Recht geht
in Gesinnung und Willen über; der allgemeine
Rechtswille ist Gesetz, der individuelle ist Vor-
schrift und Anordnung (vgl. Ihering, Zweck im
Recht 1 342 ff).
Die Krauseschen Ansichten verdanken ihre Be-
deutung in der rechtsphilosophischen Bewegung
der Gegenwart juristisch gebildeten Männern wie
Ahrens, welche die unverständlichen und formell
oft ungenießbaren Ausführungen Krauses in ver-
ständliches Deutsch umsetzten und auf die Einzel-
heiten des Rechts anwendeten. Ahrens findet
eine unverkennbare Verwandtschaft der Krause-
schen Ideen mit dem Geist des germanischen Rechts,
das deshalb bei ihm alle Anerkennung erntet.
Gegenüber dem Freiheits= und Machtprinzip des
römischen Rechts und einer analogen (Kant-