Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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maßgebend, derartige Konflikte nach Möglichkeit 
auf friedlichem Wege zu beseitigen und erst 
dann, wenn alle Versuche, auf diese Weise den 
Streit beizulegen, vergeblich sind, zum äußersten 
Mittel, dem Kriege, zu greifen. Und dies um 
so mehr, als es an friedlichen Mitteln, einen 
Konflikt zu erledigen, nicht fehlt. Man unter- 
scheidet hierbei solche friedliche Mittel, welche die 
Natur eines rechtlichen Verfahrens haben, und 
solche, welche zwar ein Ausfluß der Selbsthilfe, 
also Gewaltmaßregeln sind, aber noch nicht den 
Kriegszustand mit seinen Rechtsfolgen erzeugen. 
Zu den rechtlichen Mitteln gehören 1) die 
Verhandlung der beteiligten Staaten, 2) die 
freundschaftliche Mitwirkung dritter Staaten und 
3) der Schiedsspruch. Die Mittel der nicht- 
kriegerischen Selbsthilfe sind: 1) die Re- 
torsion, 2) die Repressalien und 3) die Friedens- 
blockadr. Und gerade bei der Auswahl dieser fried- 
lichen Mittel macht sich der Unterschied zwischen 
politischen und rechtlichen Konflikten 
geltend. Weil den letzteren regelmäßig eine Tat- 
sache zugrunde liegt, welche sich als mit den Nor- 
men des Völkerrechts in Widerspruch stehend oder 
die geschützten Rechte des betreffenden Staates ver- 
letzend klar feststellen und so rechtlich beurteilen 
läßt, so können sie auch größtenteils im Wege des 
rechtlichen Verfahrens ihre Erledigung finden. 
Anders die politischen Konflikte. Da ihnen jene 
Eigenschaften fehlen, so entziehen sie sich meistens 
der Erledigung im Wege Rechtens, wenn auch bei 
ihnen die Möglichkeit einer friedlichen Beilegung 
überhaupt immerhin nicht ausgeschlossen ist. 
II. Die friedliche Erkedigung völkerrecht- 
licher Streitigkeiken. 1. Die rechtlichen 
Mittel. a) Die rechtliche Beilegung eines Kon- 
fliktes kann zunächst erfolgen durch Verhand- 
lungen und Vereinbarung der streitenden 
Mächte. Gerade die durch den diplomatischen 
Verkehr gegebene Möglichkeit, bei Differenzen 
alsbald schriftliche wie auch mündliche Verhand- 
lungen über die Streitpunkte einzuleiten, sichert 
in hohem Maße die Beseitigung des Konfliktes, 
ohne die friedlichen Beziehungen der betreffenden 
Staaten zu stören. Das Resultat der Verhand- 
lungen kann nun sein entweder 1) der Verzicht 
auf den behaupteten Anspruch, d. h. das gänzliche 
Aufgeben des in Anspruch genommenen Rechts 
oder Interesses seitens des einen der streitenden 
Teile, oder 2) die Anerkennung des gegne- 
rischen Anspruchs, d. h. das Fallenlassen der gegen 
die Behauptungen des Gegners gemachten Ein- 
wendungen, oder endlich 3) ein Vergleich, d. h. 
das beiderseitige Nachgeben auf einen Teil der 
erhobenen Ansprüche, und zwar vielfach gerade im 
Interesse des bedrohten Friedens. — Im Laufe 
der Verhandlungen wird sich besonders bei manchen 
rechtlichen Konflikten die Notwendigkeit ergeben, 
die zugrunde liegenden Tatsachen objektiv festzu- 
stellen. Zu diesem Zweck werden schon seit langem 
häufig sog. gemischte Kommissionen be- 
Krieg ufw. 
  
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stellt, welche aus den Vertretern der beteiligten 
Staaten, eventuell unter Heranziehung von Sach- 
verständigen, gebildet sind. Ihre Tätigkeit ist keine 
entscheidende, sondern nur eine rein vorbereitende, 
so daß ihre Vereinbarungen erst noch der Ge- 
nehmigung der beiderseitigen Regierungen be- 
dürfen. Im Anschluß an diese bisherige Praxis 
hat dann die erste Haager Konferenz, um derartige 
Verhandlungen zu erleichtern, das Institut der 
Internationalen Untersuchungskom- 
missionen (Commissions internationales 
d’enquéête) eingeführt. Nach dem Friedensab- 
kommen vom 29. Juli 1899 (Art. 9/14), er- 
weitert durch das Friedensabkommen vom 18.fOkt. 
1907 (Art. 9/36), können die Streitteile auf 
Grund einer besondern Vereinbarung (Art. 10 
von 1907) solche Kommissionen mit dem Auftrage 
einsetzen, „durch eine unparteiische und gewissen- 
hafte Prüfung die Tatfragen aufzuklären“ und so 
die Beseitigung des Konfliktes zu erleichtern. Sie 
kommen aber nur in Betracht für solche Streitig- 
keiten, „die weder die Ehre noch wesentliche 
Interessen berühren und einer verschiedenen Wür- 
digung der Tatsachen entspringen“ (Art. 9). Die 
Kommission wird, sofern nichts anderes verabredet 
ist, in der gleichen Weise gebildet wie das Schieds- 
gericht (Art. 12 von 1907, val. Art. Inter- 
nationale Schiedsgerichtsbarkeit). Für das Ver- 
fahren schlägt das Abkommen von 1907 eine 
Reihe von Regeln für den Fall vor, daß die 
Streitteile anderweitige Bestimmungen nicht ge- 
troffen haben (Art. 17/34). Der Bericht der 
Kommission hat sich auf die Feststellung der Tat- 
sachen zu beschränken und läßt, da ihm somit der 
Charakter eines Schiedsspruches fehlt, den Par- 
teien volle Freiheit der weiteren Entschließung 
(Art. 14, jetzt Art. 35). 
b) Die Einleitung, Fortführung bzw. Wieder- 
aufnahme der Verhandlungen kann gefördert wer- 
den durch die Mitwirkung dritter Staa- 
ten (Intervention amicale, die von der autori- 
tativen Intervention wesentlich verschieden ist, val. 
d. Art.). Die früher übliche Unterscheidung zwischen 
den „guten Diensten“ (bons offices), b. h. 
dem Bemühen, die Streitteile zur Einleitung bzw. 
Wiederaufnahme von Verhandlungen zu veran- 
lassen, und der eigentlichen Vermittlung (mée- 
diation), welche zwar denselben Zweck wie jene 
hat, aber die Einigung der Streitteile über die 
Mitwirkung und Person des Vermittlers, dessen 
Bereitwilligkeit und Leitung der Verhandlungen 
voraussetzt, läßt sich, weil nur quantitativ, nicht 
streng durchführen und ist deshalb auch von der 
Haager Konferenz fallen gelassen worden. Der 
Charakter der freundlichen Bemühungen ist stets, 
selbst im Falle der Vermittlung, nur der eines 
bloßen Rates, den Streitteilen steht es frei, den- 
selben zu befolgen oder nicht; sie allein behalten 
die Entscheidung. Die Berechtigung der nichtbe- 
teiligten Staaten, bei einem Konflikt zu inter- 
venieren, ist schon durch die gemeinsamen Interessen
	        
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