Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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abweichende Grundsätze, vor allem bezüglich des 
Privateigentums, entwickelt haben. 
IV. Das Kriegsrecht und seine Quellen. 
1. Subjektives und objektives Kriegs- 
recht. Kriegsmanier. Der Ausdruck Kriegs- 
recht (ius belli) wird in subjektivem und objektivem 
Sinne gebraucht. Das Kriegsrecht im sub- 
jektiven Sinne ist die den Staaten der Völker- 
rechtsgemeinschaftkraft der Souveränität zustehende 
Fähigkeit, Krieg im völkerrechtlichen Sinne zu 
führen (facultas bellandi, droit de guerre), 
verbunden mit dem Anspruch, vom Gegner wie 
von den neutralen Staaten als Kriegspartei an- 
erkannt und behandelt zu werden (vgl. oben 1II, 
1). Das Kriegsrecht im objektiven Sinne 
dagegen ist der Inbegriff jener Rechtsnormen des 
Völkerrechts, welche den Krieg und die Kriegfüh- 
rung im Verhältnis der Kriegsparteien zueinander 
wie zu den am Kriege nicht beteiligten Staaten 
regeln (normae bellandi). Denn wenn auch der 
Krieg der Zustand äußerster Gewalttätigkeit ist, 
so ist doch auch im Kriege nicht jedes Mittel un- 
bedingt gestattet, vielmehr haben sich unter den 
zivilisierten Völkern zahlreiche Beschränkungen der 
Freiheit in den kriegerischen Aktionen herausge- 
bildet, Kriegssitte, Kriegsmanier (usus 
in bello) genannt. Grundlegend hierfür ist der 
Krieg ufw. 
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sach in Einzelverträgen, angenommen. Die Ver- 
suche dagegen, welche eine allgemeine Kodi- 
fikation des Kriegsrechts oder selbst auch nur des 
Landkriegsrechts bezweckten, schlugen fehl. Zwar 
blieben die 1863 von Professor Franz Lieber im 
Auftrage des Präsidenten Lincoln verfaßten und 
dann als Instruktion für das Heer verkündigten 
sog. amerikanischen Kriegsartikel (Instructions. 
for the Government of Armies of the United 
States in the Field) nicht ohne Einfluß auf 
Literatur und Praxis, doch fanden sie keine all- 
gemeine Anerkennung. Größeren Erfolg versprach 
die 1874 in Brüssel tagende Staatenkonferenz, die 
zu dem ausgesprochenen Zweck zusammentrat, ein 
umfassendes Kriegsgesetzbuch zu vereinbaren. Das 
Ergebnis der infolge der bald einsetzenden orien- 
talischen Wirren frühzeitig abgebrochenen Ver- 
handlungen war die „Brüsseler Deklara- 
tion“ vom 27. Aug. 1874; sie wurde jedoch 
infolge der widerstrebenden Haltung Englands 
und der kleinen Mächte nicht ratifiziert. Gleich- 
wohl ist dieser Entwurf eines Kriegsgesetzbuches 
nicht ohne Bedeutung geblieben. Denn er hat viel 
zur Klärung der Kodifikationsfrage beigetragen, 
dann aber auch als Vorbild gedient, und zwar 
einmal für das vom Institut de droit inter- 
national ausgearbeitete und in seiner Plenar- 
  
Gedanke, daß man auch im Kriege dem Feinde sitzung zu Oxford vom 9. Sept. 1880 einstimmig 
nicht mehr Übel zufügen soll, als für den Zweck angenommene Handbuch Les lois de la guerre 
des Krieges erforderlich ist. sur terre (Brüssel und Leipzig 1881), welches 
2. Quellen des Kriegsrechts. Aus 1881 den Regierungen überreicht wurde, sodann 
jener Kriegssitte hat sich allmählich in vielen Be= für eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, 
ziehungen ein wirkliches internationales Gewohn= welche einzelne Staaten erließen, vor allem aber 
heitsrecht entwickelt, welches somit die erste und auch für die Beschlüsse der Haager Konferenzen. 
wichtigste, zugleich aber auch bis in die neueste Erst nachdem sich in neuester Zeit, getragen 
Zeit einzige Quelle des Kriegsrechts gewesen von dem Bewußtsein der allen zivilisierten Staaten 
ist. Gleichwohl hat es auch früher in dem Be= gemeinsamen Interessen, in steigendem Maße die 
streben, die Kriege zu humanisieren, nicht an Ver- # Überzeugung durchgerungen hat, daß nur ein kol- 
suchen gefehlt, das bisher gewordene Kriegsrecht lektives Vorgehen der Mächte jener Interessenge- 
zu fixieren und den Anforderungen der Gegen- meinschaft und damit der Förderung auch der In- 
wart entsprechend fortzubilden. Von Erfolg waren dividualinteressen der einzelnen Staaten dienen 
derartige Kodifikationsversuche zunächst könne, ist es gelungen, auf den jüngsten internatio- 
nur, insoweit sie ein zelne Teile des Kriegsrechts nalen Konferenzen den größten Teil des Kriegs- 
ins Auge faßten. Hierher gehören: sechts vorläufig abschließend zu kodifizieren, zu- 
a) Die Pariser Seerechtsdeklaration gleich aber auch die Lösung der noch schwebenden 
vom 16. April 1856, welche die Kaperei ab- 1 oder erst auftauchenden Streitfragen auf weiteren 
schaffte, das Privateigentum im Seekrieg, sofern Konferenzen und somit den weiteren Ausbau des 
es sich nicht um Kriegskonterbande oder feindliches Kriegsrechts wie überhaupt des gesamten Völker- 
Gut auf feindlichem Schiffe handelt, dem Beute= rechts zu sichern. In Betracht kommen: 
recht entzog und die Rechtswirksamkeit der Blok- a) Die Ergebnisse der ersten Haager Kon- 
kade von deren Effektivität abhängig machte; l ferenz, unterzeichnet am 29. Juli 1899. Ab- 
b) die Genfer Konvention vom 22. Aug. gesehen von dem (I.) Friedensabkommen sind es 
1864, welche eine wesentliche Verbesserung des folgende: a) Das (II.) Abkommen betr. die Gesetze 
Loses der verwundeten Krieger erzielte; und Gebräuche im Landkrieg. Dasselbe zerfällt 
J) die Petersburger Konvention vom in die eigentliche Konvention, in der sich die Mächte 
11. Dez. 1868, durch welche die Verwendung verpflichten, für den Kriegsfall ihren Landstreit- 
von Sprenggeschossen unter 400 Gramm Gewicht mächten mit dem Reglement übereinstimmende An- 
verboten wurde. weisungen zu geben, und das beigefügte Reglement, 
Die Beschlüsse dieser drei Abkommen wurden welches sich in folgende vier Abschnitte gliedert: 
dann allmählich auch von den nichtbeteiligten Kriegsparteien (Begriff; Kriegsgefangene; Kranke 
Staaten en bloc oder wenigstens teilweise, viel= und Verwundete), Feindseligkeiten (Mittel zur
	        
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