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und durch die Deklaration der Seekriegsrechts-
konferenz von 1908/09 zum größten Teil kodi-
fiziert worden. Die besondern Rechtssätze
des Seekriegsrechts sind im einzelnen fol-
gende:
1. Den Kriegsschauplatz bilden in erster
Linie die offene See mit Einschluß der mit ihr
zusammenhängenden, an der Meeresfreiheit teil-
nehmenden Meeresteile, also bis an die Grenze
der neutralen Küstengewässer, der neutralisierten
Binnengewässer, Meere, Meerengen und Strom-
mündungen, ferner die Küstengewässer der Kriegs-
parteien und ihre Eigengewässer, soweit sie von
Seekriegsschiffen befahren werden können.
2. Zweck des Seekrieges ist nicht nur die Nie-
derlage des Feindes, sondern zugleich die Schädi-
gung des Handels des Gegners. Infolgedessen
erscheint im Seekrieg anders als im Landkrieg auch
das Privateigentum des feindlichen Untertanen
als Objekt der Angriffshandlungen.
3. Zur Kriegsmacht gehört in erster Linie
die Kriegsflotte, sodann die etwaigen Ka-
perschiffe, d.kh. die von einer der beiden Kriegs-
parteien zur Jagd auf feindliche oder Kontrebande
führende neutrale Handelsschiffe autorisierten Pri-
vatschiffe (s. d. Art. Kaperwesen). Eine Verstär-
kung der Seestreitkräfte kann durch die Umwand-
lung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe er-
folgen. Jedoch müssen nach den Bestimmungen
des VII. Haager Abkommens von 1907 die in
die Kriegsflotte eingereihten Handelsschiffe unter
dem direkten Befehl, der unmittelbaren Aufsicht
und der Verantwortlichkeit ihres Staates stehen,
die Abzeichen der Kriegsschiffe tragen, ihre Be-
fehlshaber Offiziere der Kriegsmarine, die Mann-
schaft der militärischen Disziplin unterworfen sein
(Art. 1/4). Jedes Schiff hat ferner das Kriegs-
recht zu beobachten und muß in die Liste der
Kriegsschiffe aufsgenommen werden (Art. 5/0).
Die Frage, ob die Umwandlung nur in den Häfen
der Kriegspartei oder auch erst auf hoher See er-
folgen dürfe, wurde zwar eingehend erörtert, in
dem Abkommen aber offen gelossen; auch die
Seekriegsrechtskonferenz konnte zu keiner Lösung
der Frage gelangen.
4. Die Mittel des Seekrieges bestehen
heutzutage
a) vornehmlich in dem Gebrauch von Schiffs-
geschützen, Torpedobooten und gegebenen-
fallsim Indengrundbohren des gegnerischen
Schiffes.
b) Das bisher heiß umstrittene Recht der Legung
von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen
hat die Haager Konferenz von 1907 in dem
VIII. Abkommen grundsätzlich anerkannt, jedoch
zur Milderung der Kriegshärten und zur Siche-
rung der friedlichen Schiffahrt zunächst auf sieben
Jahre folgenden Regeln und besonders technischen
Vorschriften unterworfen: Es dürfen in offener
See und Küstengewässern auch unverankerte selbst-
tätige Kontaktminen (Treibminen) gelegt werden,
Krieg usw.
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wenn sie so eingerichtet sind, daß sie spätestens
eine Stunde, nachdem der sie Legende die Auf-
sicht über sie verloren hat, unschädlich werden;
desgleichen verankerte selbsttätige Kontaktminen,
wenn sie unschädlich werden, sobald sie sich von
ihrer Verankerunglosgerissen haben; endlich dürfen
nur solche Torpedos verwendet werden, die bei
Verfehlung ihres Zieles unschädlich werden (Art. 1).
Zum Schutze der Freiheit des Handels ist es ver-
boten, vor den Küsten und den Häfen des Gegners
selbsttätige Minen zu dem alleinigen Zweck zu
legen, die Handelsschiffahrt zu unterbinden (Art. 2).
Ferner sind zwecks Sicherung der friedlichen Schiff-
fahrt bei Legung von verankerten selbsttätigen Kon-
taktminen alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zu
treffen, die Minen nach Ablauf eines begrenzten
Zeitraumes unschädlich zu machen, bei Aufhören
der Überwachung die gefährlichen Gegenden, so-
bald es die militärischen Rücksichten gestatten, den
Schiffahrtskreisen durch eine Bekanntmachung zu
bezeichnen und diese den Regierungen auf diplo-
matischem Wege mitzuteilen (Art. 3). Dieselben
Vorschriften gelten für die neutralen Mächte
(Art. 4). Nach Beendigung des Krieges sind die
gelegten Minen nach Möglichkeit zu beseitigen
bzw. dem Gegner die Lage der an dessen Küsten
gelegten Minen mitzuteilen (Art. 5). Für die Be-
chädigung eines neutralen Schiffes haftet nach
anerkanntem, wenn auch durch das Haager Ab-
kommen nicht ausdrücklich kodifizierten Völkerrecht
die betreffende Kriegspartei bzw. der neutrale
Staat, der von der Minensperre Gebrauch macht,
sofern nicht das Schiff selbst ein Verschulden trägt,
d. h. ohne Beachtung der Warnung wissentlich
oder fahrlässig das mit Minen gesperrte Seegebiet
aufsucht. Die Haftung erstreckt sich nicht allein auf
die Fälle der Verschuldung, d. h. der Nichtbeach-
tung der vorgeschriebenen Kautelen, sondern auch
auf die Fälle ordnungsmäßiger Verwendung der
Kriegsmittel, so daß die Berufung auf höhere Ge-
walt nicht möglich ist.
I) Bezüglich der unterseeischen Kabel fehlt es
noch an allgemein anerkannten Grundsätzen. Das
Haager Kriegsreglement gibt nur eine Bestimmung
bezüglich der Kabel, welche ein besetztes Gebiet
mit einem neutralen verbindet (s. oben X, 2).
Infolgedessen kommen die allgemeinen Grundsätze
des Kriegsrechts in Betracht. Danach haben die
Kriegsparteien, soweit es der Kriegszweck erfor-
dert, das Recht, auf hoher See, in den eignen
und feindlichen Küstengewässern alle Kabel zu be-
nutzen, zu kontrollieren oder für den Nachrichten-
dienst zu sperren, ja auch zu zerstören, vorausgesetzt,
daß sie von dem eignen Gebiete oder dem des
Gegners ausgehen, selbst wenn sie nach einem
neutralen Lande laufen und in neutralem Privat-
eigentum stehen. Nur die Kabel, welche zwei neu-
trale Staaten verbinden, sind unverletzlich.
d) Die bisher sehr bestrittene Frage, ob die
Beschießung offener Küstenplätze von
der Seeseite aus völkerrechtlich gestattet oder ver-
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