Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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drängt wurden, selbst der freien Konkurrenz 
Schranken zu ziehen, wie sie fester und von so 
weittragender Bedeutung niemals zuvor bestanden 
hatten. Ist doch die gemeinsame Konkurrenzregu- 
lierung keine ganz neue Erscheinung im wirtschaft- 
lichen Leben. Auch die Zünfte erstrebten auf 
ihrem engeren Gebiete eine derartige Regulierung, 
und schon vor ihnen, bis in die ältesten Perioden 
der Wirtschaftsgeschichte lassen sich, vorwiegend 
allerdings auf dem Gebiete des Handels, kartell- 
artige Bildungen verfolgen. Als mit der end- 
gültigen Beseitigung der alten Zunftschranken die 
Gewerbefreiheit Platz griff, erfüllte sie zunächst 
wohl den gewollten Zweck: die gewerbliche Ent- 
wicklung nahm unter dem Antrieb der Konkurrenz 
einen ungeahnten Aufschwung, die Großindustrie, 
das Kind der Gewerbefreiheit, wuchs empor. 
Aber bald genug erwies sich die zügellose Kon- 
kurrenz als ein zweischneidiges Schwert, bald 
genug sah man ein, daß man zu radikal vor- 
gegangen war. Und nicht nur mußte der Staat 
nach und nach wieder zahlreichere Einschränkungen 
der Gewerbefreiheit aufstellen, nicht nur begann, 
vom Staat mehr und mehr begünstigt, im Klein- 
gewerbe eine neue Innungsbildung — freilich 
ohne die monopolistischen Tendenzen der älteren —, 
sondern auch in der Großindustrie regte sich dem 
liberalen Individualprinzip zum Trotz das Or- 
ganisationsbedürfnis. So entstanden zuerst losere 
Interessenverbände, wirtschaftliche Vereinigungen, 
Vereine zur Wahrung gemeinsamer wirtschaft- 
licher Interessen u. dgl. In Deutschland kamen 
diese großindustriellen Organisationsbestrebungen 
in den 1860er und Anfang der 1870er Jahre 
zum Durchbruch, als mit dem Anwachsen der 
nationalen und internationalen Industrie die 
Schwierigkeiten der Konkurrenz bereits ernstlich 
fühlbar zu werden begannen. Dann folgte auf 
den Ausschwung der 1850er und 1860er Jahre 
eine Zeit der Uberproduktion, der Absatzstockungen 
und Krisen, die infolge der ungeregelten Kon- 
kurrenz jahrelang anhielten. Und nun wagten sich 
auch kartellartige Organisationen wieder hervor; 
erst schüchtern, dann immer kühner erhoben sie ihr 
Haupt, wenn sie auch bis heute den Schleier des 
Geheimnisses nie ganz abgelegt haben. Seit der 
Mitte der 1870er Jahre datiert in Deutschland 
diese neue Kartellbewegung, bei welcher es sich also 
in der Regel nicht um Kleingewerbetreibende oder 
Kaufleute, sondern vorwiegend um großindustrielle 
Betriebe, meist sogar Aktiengesellschaften, nicht um 
kleine Märkte, sondern um große nationale, teil- 
weise auch internationale Absatzgebiete handelt. 
Allerdings existieren auch heute im kleinen und 
mittleren Gewerbe kartellartige Organisationen; 
man braucht nur an die häufig vorkommenden 
lokalen Preisvereinbarungen von Bäckern und 
Fleischern zu erinnern. Ein anderes Beispiel bietet 
eine 1897 abgeschlossene Konvention zwischen den 
Dachdeckermeistervereinen von 24 heinischen 
Städten einerseits und den rheinischen Schiefer- 
Kartelle. 
  
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grubenbesitzern und Schieferhändlern anderseits, 
worin hauptsächlich letztere sich verpflichten, nur 
an Mitglieder der Dachdeckermeistervereine zu ver- 
kaufen, erstere, nur von letzteren zu beziehen 
(A. Voigt in „Soziale Praxis“ VI 1194). Aber- 
solche Kleingewerbekartelle sind seltener, mehr lo- 
kaler Natur und in der Regel weniger ausgebildet 
wie die großindustriellen. Kartellartige Gebilde 
gibt es ferner auch heute noch im Handel und 
Bankwesen. Es sind unter andern die sog. Spe- 
kulantenringe, welche zeitweilig für kürzere Dauer 
entstehen, um durch Aufkauf und Zurückhaltung 
einer Ware den Preis in wucherischer Weise in 
die Höhe zu treiben; es sind z. B. die Syndikate 
von Banken, welche zum Zwecke von Gründungen 
und der Unterbringung von Anleihen ebenfalls für 
kürzere Dauer geschlossen werden. Aber derartige 
Vereinigungen unterscheiden sich von dem, was 
man in der heutigen Volkswirtschaft gewöhnlich 
unter einem Kartell versteht, in wesentlichen 
Punkten, wie die nähere Begriffsbestimmung des 
letzteren noch ergeben wird. Weiterhin fehlt es 
selbst in der Landwirtschaft heute nicht an Kar- 
tellierungsbestrebungen (Kartelle von Zuckerrüben- 
produzenten); ein größerer Erfolg derselben ist 
jedoch nicht zu verzeichnen und aus später zu er- 
wähnenden Gründen auch wohl kaum zu er- 
warten. Endlich haben die gewerkschaftlichen Or- 
ganisationen der Industriearbeiterschaft zwar eine 
gewisse Ahnlichkeit mit den Unternehmerkartellen 
sowohl hinsichtlich ihrer Grundsätze wie Bestre- 
bungen, gleichwohl ist es nicht üblich, dieselben 
als Kartelle zu betrachten. 
Unter der Bezeichnung „Kartelle“ hat man 
vielmehr fast ausschließlich die vorerwähnten, 
heute besonders zahl= und einflußreichen groß- 
industriellen Kartelle im Auge; mit diesen be- 
schäftigen sich vorwiegend die nationalökonomi- 
schen Untersuchungen über das Kartellwesen, wenn 
auch die streng wissenschaftliche Definition des Be- 
griffs Kartell weniger enge Schranken ziehen muß. 
II. Was sind Kartelle? — Ebenso wie in 
der Beurteilung der volkswirtschaftlichen Bedeu- 
tung der Kartelle gehen auch in der Charakteri= 
sierung ihres Wesens die Ansichten auseinander. 
F. Kleinwächter (Die Kartelle (1883)), der oft 
der wissenschaftliche Entdecker der Kartelle genannt 
wird, bezeichnet in seiner ersten, sehr weitgehenden 
Definition die Kartelle als „Ubereinkommen von 
Unternehmern derselben Branche, deren Zweck da- 
hin geht, die schrankenlose Konkurrenz der Unter- 
nehmer untereinander einigermaßen zu beseitigen 
und die Produktion mehr oder weniger derart zu 
regeln, daß dieselbe wenigstens annähernd dem 
Bedarf angepaßt werde“. Von den Erklärungen 
neuerer wissenschaftlicher Bearbeiter des Kartell- 
wesens nennen wir nur diejenigen Liefmanns und 
Pohles (s. Lit. am Schluß). Ersterer betrachtet als 
Kartell eine solche Vereinigung von Unternehmern, 
„welche die wirtschaftliche (Verkaufs-) Tätigkeit 
ihrer Mitglieder in einem bestimmten Punkte
	        
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