Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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zu sichern und anderseits die finanziellen Mittel 
zusammenzubringen. Diese gesellschaftlichen Trieb- 
kräfte wird der Kulturpionier immer dann in An- 
spruch nehmen, wenn ohne organisierte Arbeit und 
öffentliche Geldmittel eine bestimmte Kulturauf- 
gabe, wie z. B. die Erbauung einer Luftflotte, 
sich schlechterdings als unlösbar herausstellt. Daß 
auch die straffe und übergreifende Organisation 
der katholischen Kirche sich als Kulturmacht ersten 
Ranges erwiesen hat, soll weiter unten dargelegt 
werden. Vgl. B. Kidd, Social Evolution (deutsch 
von E. Pfleiderer (1895); J. Kohler, Grund- 
begriffe einer Entwicklungsgeschichte der Mensch- 
heit (1899); Ed. Hahn, Das Alter der wirt- 
schaftlichen K. der Menschheit (1905). 
3. Trotz ihres geistigen und freien Charakters 
ist jede Kulturtätigkeit auch an gewisse materielle 
Vorbedingungen und äußere Voraussetzungen 
gebunden. Da die Grundlage der Kultur immer 
die Natur ist und bleibt, so versteht sich ihre Ab- 
hängigkeit von letzterer eigentlich ganz von selbst. 
Aber als verfehlt muß der Versuch gekennzeichnet 
werden, die materiellen Bedingungen zu eigent- 
lichen Ursachen zu erheben und die ganze Kultur- 
geschichte mit ihren zyklischen Fortschritten, Still- 
ständen und Rückschritten auf einen mechanischen, 
rein naturgesetzlichen Ablauf zurückzuführen. So 
haben Montesquien und Buckle den Einfluß des 
Klimas derart übertrieben, daß dieser die gei- 
stige Befähigung und Gemütsart der Völker, jener 
die Unterschiede in der Regierungsform einzig aus 
der klimatischen Verschiedenheit ableiten zu können 
vermeinte. Wahr ist hieran nur soviel, daß das 
Tropenklima auf den Menschen erschlaffend und 
die arktische Zone übermannend wirkt, weshalb im 
allgemeinen das gemäßigte Klima auf die Kultur- 
entwicklung am günstigsten einwirkt. Wirklich fällt 
der um den Erdball sich schlingende Kulturgürtel 
zumeist in jene Länder, die nach einem längeren 
Sommer den Kampf mit einem Winter in Schnee 
zu bestehen haben. Anderseits sind aber gerade 
die ältesten und blühendsten Kulturen, nämlich die 
babylonische, ägyptische und indische, in der heißen 
Zone emporgesprossen. Auch andere physische Fak- 
toren geben zwar der Kultur eines Volkes ihr 
eigentümliches nationales Gepräge, sind aber nicht 
die wahren Schöpfer dieser Kultur. So wird ge- 
wiß die Bodenbeschaffenheit, wie frucht- 
bares Ackerland oder Kohlenreichtum, in dem 
Sinne mitentscheidend in die Wagschale fallen, 
als ihre Ausnutzung den allgemeinen Wohlstand 
fördert und steigert, ein Umstand, dem England 
seine wirtschaftliche Vorherrschaft jahrhunderte- 
lang verdankte. Mag immerhin etwas Wahres 
an der Behauptung sein, daß die Gebirgsland- 
schaft in die Sinnesart der Bergbewohner einen 
freiheitlichen Geisteszug bringt, so gibt es doch 
auch solche Völker, welche trotz der Ebene, in der 
sie leben, höchst freiheitliche, demokratische Staats- 
verfassungen besitzen. Daß auch die geographische 
Lage auf die Kultur eines Landes ihren Rück- 
Kultur. 
  
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schlag ausübt, soll ebensowenig bestritten werden 
wie die bekannte Tatsache, daß das Meer die 
Völker verbindet und den Kultursegen auf inter- 
nationalen Straßen von Küste zu Küste trägt. 
Ohne seine günstige Zentrallage hätte Altrom 
wohl schwerlich seine Weltherrschaft am Mittel- 
meer durchgesetzt. Wenn aber die geographischen 
Bedingungen allein den Ausschlag gäben, so bliebe 
das Rätsel ungelöst, weshalb Berlin trotz seiner 
ungünstigen Lage hat zur Weltstadt und zu einem 
Kulturzentrum werden können, während das außer- 
ordentlich vorteilhaft gelegene Konstantinopel nach 
beiden Richtungen hin in traurigem Rückstande 
blieb. 
Da die Erklärung der Kulturentwicklung aus 
bloß äußern Bedingungen offen versagt, so hat 
man mit mehr Glück zu innern Merkmalen seine 
Zuflucht genommen und den Gang der Kultur 
aus den geistigen Rassenunterschieden zu 
verstehen gesucht. Obschon die psychischen Ver- 
mögen und Kräfte in allen Menschen gleich sind, 
so ist doch ein Mehr und Minder in der geistigen 
Begabung und Tätigkeit unverkennbar. Als die 
eigentlichen Kulturträger sind geschichtlich nur die 
sog. höheren Rassen, insbesondere die gelbe und 
die weiße, hervorgetreten, während die niederen 
Rassen an der europäischen Kultur eher zugrunde 
gehen, als sich von ihr emportragen lassen. Eines 
der dunkelsten Kapitel der Kulturgeschichte bildet 
das Aussterben der Naturvölker, bei deren Aus- 
rottung gerade die rücksichtslose Grausamkeit der 
Weißen eine sehr traurige Rolle spielte. Unter den 
schwarzen Rassen zeigt sich der Neger zwar der 
höheren Kultur nicht unzugänglich, wie in Nord- 
amerika; aber mehr empfangend als gebend, scheint 
er, um überhaupt als Kulturvolk mitzählen zu 
können, unter dem beständigen Einfluß einer frem- 
den Kultur stehen zu müssen. Denn dort, wo er 
sein Wissen und Können unter eigner Regie sich 
voll ausleben lassen könnte, wie in Liberia und 
auf Hall, hat er bis jetzt nur eine häßliche Kari- 
katur von Bildung und Gesittung zustande ge- 
bracht. Alles, was in Wissenschaft, Literatur und 
Kunst Großes geschaffen worden ist, ist fast aus- 
schließlich das Werk der weißen Rasse, und die 
europäische Kultur, der jüngst noch Japan sich 
rückhaltlos unterwarf, wird ihren Siegeslauf wohl 
noch über den ganzen Erdball nehmen. Wenn ein- 
zelne Vertreter der Rassentheorie, wie Woltmann 
und Chamberlain, nicht ohne Chauvinismus der 
germanischen Rasse allein die europäische Kultur 
als Verdienst zuschreiben, sovergessen sie, daß unsere 
heutige Kultur noch immer auf den Schultern der 
Griechen und Römer ruht, deren bewunderns- 
werte Leistungen in Philosophie, Kunst und Rechts- 
wissenschaft noch für lange Zeit als unerreichte 
Muster dastehen werden. Vgl. Th. Buckle, The 
History of Civilisation in England (Lond. 
1857; deutsch von Ruge [(18810); Fr. Ratzel, 
Anthropo-Geographie oder Grundzüge der An- 
wendung der Erdkunde auf die Geschichte (1882);
	        
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