Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Raumer, Die Einwirkung des Christentums auf 
die althochdeutsche Sprache (1845); Wiseman, 
Der Einfluß des Katholizismus auf die Wissen- 
schaft (deutsch 1853); Maitre, Les S6coles de 
VOecident (Paris 1866); Wedewer, Das Chri- 
stentum und die Sprachwissenschaft (1867); Au- 
relius Adeodatus, Die Philosophie und Kultur 
der Neuzeit und die Philosophie des hl. Thomas 
(1887); Fr. Paulsen, Geschichte des gelehrten 
Unterrichts seit Ausgang des Mittelalters (2 Bde, 
71896); Kneller S. J., Das Christentum und die 
Vertreter der neueren Naturwissenschaft (21904); 
J. Pohle, P. Angelo Secchi. Ein Lebens= und 
Kulturbild (21904). 
b) Die Förderung der sittlichen Kultur läßt sich 
die Kirche schon dadurch angelegen sein, daß sie 
alle Sittlichkeit fest in Gott als dem unendlichen 
Gut verankert und die Sünde als eine Belei- 
digung des Allheiligen und folglich als das ab- 
solute Ubel verpönt. Durch diesen theozentrischen 
Gesichtspunkt, der von selbst in die übernatürliche 
Gottes= und Nächstenliebe als die höchste sittliche 
Betätigung einmündet, ist eine feste Brücke zwi- 
schen Moral und Religion geschlagen und dem 
sittlichen Handeln eine Kraft der Motivierung ver- 
liehen, wie sie stärker nicht gedacht werden kann. 
An die Hoheit und Reinheit der katholischen Moral 
reicht deswegen keine wie immer geartete weltliche 
Ethik heran, die sich entweder als Autonomie der 
Vernunft ausgibt oder sich auf das bloße Huma- 
nitäts= und Kulturideal aufbaut. Wenn die sog. 
Diesseitsmoral der Modernen auf das sittliche 
Leben der Volksmassen einen bestimmenden Ein- 
fluß zu erlangen und eine rein weltliche Kultur 
der Sittlichkeit zu schaffen berufen wäre, so könnte 
die Welt noch lange auf einen Erfolg warten; 
denn diese buntscheckigen Moralsysteme ringen noch 
selbst voll Verzweiflung nach einem sittlichen Lebens- 
inhalt und gehen in ihrer letzten Begründung in 
kontradiktorischen Richtungen auseinander. Ja 
noch mehr. Bei ihrer Feindseligkeit gegen die 
theistisch-christliche Weltanschauung treten sie viel- 
fach als die unbewußten Totengräber der sittlichen 
Kultur auf. Nicht ganz mit Unrecht klagt der fein- 
sinnige Kulturhistoriker v. Kralik: „Wenn wir die 
Vertreter der sog. modernen Wissenschaft noch 
einige Jahre so weiter ihre falschen, unwissen- 
schaftlichen Lehren von der Unfreiheit des Willens, 
von der Unverantwortlichkeit des Individuums, 
von der Zwecklosigkeit des Daseins, von dem toten 
Mechanismus der Natur, von der Nebensächlich- 
keit oder von der Leugnung alles Geistigen, aller 
Ideale, von der Leugnung der Seele, einer ob- 
jektiven Moral, eines objektiven Rechts, von der 
unbedingten Berechtigung der individuellen Triebe, 
vom rücksichtslosen Ubermenschentum usw. vor- 
tragen lassen, dann sind wir innerhalb einiger 
Jahrzehnte am Ende unserer Kultur; dann erleben 
wir die Auflösung der Gesellschaft, der Familie, 
des Staates, aber auch die Auflösung der Wissen- 
schaft selber“ (Die Kultur X 11908l, 2. Hft). 
Kultur. 
  
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Was immer im Namen der bloßen Humanität 
durch die Liebestätigkeit der Freimaurerei, der 
Gesellschaft für ethische Kultur und des links- 
liberalen Protestantenvereins Anerkennenswertes 
geleistet wird, ist im Grunde besehen nur die 
bewußte oder unbewußte Nachahmung der christ- 
lichen Charitas, deren starkem Einfluß selbst 
die ungläubigen Kreise sich nicht zu entziehen ver- 
mögen. Hatte doch schon der Kaiser Julian der 
Apostat, als er dem absterbenden Heidentum neues 
Leben einzuhauchen sich anschickte, gerade die christ- 
liche Armenpflege der jungen Kirche abgeguckt 
und als belebendes Ferment in das alte Heiden- 
tum hinüberzupflanzen gesucht (vgl. Sozomenus, 
Hist. eccl. 5, 3). Dagegen wird der Katholik 
rückhaltlos die hohen Verdienste anerkennen, die 
der gläubige Protestantismus durch seine innere 
Mission und andere Wohlfahrtseinrichtungen sich 
um die Armen, Kranken, Verlassenen und sozial 
Schwachen erwirbt. Vollends mit Stolz aber 
wird er auf die charitative und soziale Rührigkeit 
blicken, mit welcher der katholische Weltklerus und 
die straffe Organisation der zahllosen geistlichen 
Ordensgenossenschaften sich im Interesse der arbei- 
tenden und leidenden Menschheit abmüht. Wer 
hat nicht schon aus Feindes Mund das Lob unserer 
Barmherzigen Schwestern singen gehört? In der 
christlichen Charitas, diesem alten Erbstück des 
Katholizismus, offenbart sich zugleich die höchste 
und edelste Humanität, von ihr innerlich auf- 
genommen und zu einem höheren Dritten verklärt. 
Eine so ausgebreitete und tiefgrabende sittliche 
Kulturtätigkeit muß auf jeden den tiefsten Ein- 
druck machen, welcher den innern Menschen nicht 
mit Gewalt in sich erstickt hat. 
Eines der höchsten Kulturgüter, das die moderne 
Welt ganz besonders hoch einschätzt, ist die per- 
sönliche Freiheit, die auf der Würde und 
Unverletzlichkeit der menschlichen Person beruht. 
Den schroffsten Gegensatz dazu bildet die fluch- 
würdige Sklaverei, aber auch andere Arten der 
Unfreiheit, wie z. B. das Hörigkeitsverhältnis. 
Nachdem schon der Apostel Paulus (1 Kor. 7, 21. 
Gal. 3, 26 ff. Philem. 16) durch die Verkün- 
digung der geistigen Freiheit, Gleichheit und Ein- 
heit aller Sklaven und Herren in Christo die Skla- 
verei im Prinzip gebrochen hatte, war es dem 
christlichen Gedanken vorbehalten, allmählich die 
völlige Abschaffung der Sklaverei und die Eman= 
zipation der Hörigen zu bewerkstelligen. Wenn 
dieser große Befreiungskampf jahrhundertelang 
dauerte und eigentlich erst durch den letzten Kreuz- 
zug des französischen Kardinals Lavigerie (gest. 
1892) gegen die afrikanischen Sklavenjäger zu 
einem gewissen Abschluß gelangte, so lag diese 
Langsamkeit in dem Umstande begründet, daß 
weder den Wirtschafts= und Rechtsverhältnissen 
der Herren noch dem persönlichen Los der Sklaven 
selbst gedient gewesen wäre, wenn die Kirche etwa 
durch eine kecke „Proklamation der Menschenrechte"“ 
Millionen von Freigelassenen brotlos auf die
	        
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