Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Hintergrund des Kulturkampfes. — II. Das Mi- 
nisterium Falk und die Maigesetzgebung (1872/78); 
1. Einleitung, des Kampfes in Deutschland, 2. in 
Preußen; die Gesetze von 1873. 3. Die Gesetze von 
1874. 4. Die Gesetze von 1875. 5. Die Jahre 1876 
bis 1878. — III. Stillstand und Wendung (1878 
bis 1885): 1. Gründe des Umschwungs, Papst 
Leo XIII., die wirtschaftlichen Verhältnisse. 2. 3. 
4. Verhandlungen und selbständiges Vorgehen der 
Regierung in den drei kirchenpolitischen Novellen: 
Juli-, Ultimo= und Mainaugesetz (1880, 1882, 
1883). 5. Stillstand in den Jahren 1884, 1885.— 
IV. Herstellung eines modus vivendi im Einver- 
nehmen mit der Kurie (1886, 1887): 1. Die vierte 
kirchenpolitische Novelle (1886). 2. Das Septennat 
und die fünfte kirchenpolitische Novelle (1887). 
3. Weiterer Verlauf. — V. Schluß. Friedliches 
Nebeneinanderleben oder freundschaftliches Hand- 
inhandgehen von Kirche und Staat? Haltung der 
preußischen Bureaukratie. Das Jefuitengesetz. Stel- 
lung der Zentrumsfraktion. Evangelischer Bund 
und Volksverein für das katholische Deutschland. 
Schulgesetzversuche. Ausblick.) 
I. Bis zur Aufhebung der Katholischen 
Abteilung im Kultusministerium und dem 
Amtsantritt des Kultusministers Dr Jalk. 
1. Nach den Stürmen des Jahres 1848 hatte sich 
auf Grund der neugewonnenen verfassungsmäßigen 
Freiheit die Lage der katholischen Kirche in Preu- 
ßen für sie wie für den Staat im allgemeinen be- 
friedigend gestaltet. König Friedrich Wilhelm IV. 
hatte seinen katholischen Untertanen vorurteilsfrei 
und wohlwollend gegenübergestanden. Die staat- 
liche Bureaukratie hatte den Wert der festen 
Organisation der katholischen Kirche und ihres 
Geistes gegenüber dem Geiste der Nevolution und 
der Auflehnung gegen jegliche Autorität schätzen 
gelernt. Die Abspannung des politischen Lebens, 
welche bald nach dem Unterliegen der Revolution 
sich geltend machte, hatte dem versittlichenden Ein- 
fluß des Katholizismus auf seine Anhänger einen 
weiten Spielraum gelassen. Das Vertrauen des 
katholischen Volksteiles zu der fast ausschließlich 
aus Protestanten bestehenden Regierung war sicht- 
lich gewachsen; man hoffte auf eine dauernde und 
ruhige Fortentwicklung, wenn auch nicht unter 
Begünstigung, so doch ohne Hemmung durch die 
Staatsgewalt. Kleinere Reibungen hatten diese 
Entwicklung nicht wesentlich beeinträchtigen können. 
Die „katholische Fraktion“, welche sich im Jahre 
1852 aus 63 katholischen Mitgliedern des Abge- 
ordnetenhauses gebildet hatte, war nichts weniger 
als eine Fraktion grundsätzlicher Opposition ge- 
worden. In diesem Verhältnis trat unter der 
Regierung König Wilhelms I. zunächst keine 
Anderung ein. Zwar war der großen Mehrzahl 
der preußischen Katholiken die damalige 
Politik Preußens, welches eine Einigung Deutsch- 
lands mit „preußischer Spitze“ unter Ausschluß 
von Osterreich anstrebte, nicht sympathisch; viel- 
mehr neigten dieselben dem „großdeutschen“ Ge- 
danken zu, welcher auf einen engeren verfassungs- 
mäßigen Zusammenschluß Deutschlands mit Ein- 
  
Kulturkampf ufw. 
  
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schluß von Osterreich abzielte. Doch blieb diese 
Stellungnahme ohne Einfluß auf das kirchen- 
politische Gebiet, um so mehr, als dieselbe Richtung 
auch unter den deutschen Protestanten einen starken 
Anhang hatte. Auch bei dem bald nach 1860 
zwischen der Regierung, an deren Spitze am 
8. Oktober 1862 Otto v. Bismarck-Schönhausen 
getreten war, und der das Abgeordnetenhaus be- 
herrschenden liberalen Fortschrittspartei entbrann- 
ten „Konflikt“ um die Reorganisation des Heeres 
und das Budgetrecht der Volksvertretung wurden 
katholische Interessen nicht in Mitleidenschaft ge- 
zogen. Die Katholiken, ihre Presse und die katho- 
lischen Abgeordneten beobachteten eine ruhige, un- 
parteiische Haltung und blieben bei dem Kampfe 
abseits. Ein loyaler Vermittlungsantrag des Ab- 
geordneten Reichensperger wurde von der Regie- 
rung dankbar anerkannt. Die „katholische Frak- 
tion“ war im Jahre 1859 nicht wieder zusammen- 
getreten. Von 1860 bis 1867 erneuerte sie sich 
unter dem Namen „Fraktion des Zentrums“ (ka- 
tholische Fraktion), doch ohne im „Konflikt“ eine 
hervorstechende Rolle zu spielen. 
Die Regierung ihrerseits verhielt sich den Inter- 
essen ihrer katholischen Untertanen gegenüber nicht 
teilnahmlos. Als das Königreich Sardinien auf 
Grund des „Nationalitätsprinzips“ die Führung 
der italienischen Bewegung gegen den weltlichen 
Besitz des Papsttums übernahm, fand letzteres 
eine warme moralische Unterstützung seitens des 
Berliner Kabinetts. In einem Schreiben vom 
13. Okt. 1860, welches der Minister des Aus- 
wärtigen v. Schweinitz „auf Befehl Seiner 
Königl. Hoheit des Prinzregenten“ an den preu- 
ßischen Gesandten in Turin Grafen Brassier de 
St-Simon richtete, nannte er das Nationalitäts- 
prinzip, wie es in Italien gegen das Papsttum 
ausgelegt werde, „eine den elementarsten Regeln 
des Völkerrechts diametral entgegengesetzte Ma- 
xime“ ... „Durch ihre Unterstützung verläßt man 
den Weg der Reform, um sich auf den Weg der 
Revolution zu stürzen.“ . „Wir glauben eine 
unabweisbare Pflicht zu erfüllen, wenn wir die 
Prinzipien und die Anwendungen, die man glaubte 
davon machen zu können, in der entschiedensten 
und förmlichsten Weise mißbilligen.“ Eine Note 
des nach dem Kriege von 1866 in den Grafen- 
stand erhobenen preußischen Ministerpräsidenten 
v. Bismarck an den Gesandten in Florenz Grafen 
v. Usedom vom Okt. 1867 enthielt den Satz: 
„Die katholische Bevölkerung Deutschlands hat 
denselben Anspruch wie die evangelische auf Be- 
rücksichtigung ihrer religiösen Uberzeugungen“, und 
stellte dann die Forderung, daß dem Papsttum 
„eine Stellung bleibt, welche auch von den Ka- 
tholiken deutscher Nationalität in ihrer Mehrheit 
als eine würdige anerkannt werden würde“. In 
demselben Sinne äußerte sich die Thronrede bei 
Eröffnung des Landtages am 15. Nov. 1867. 
Von 1867 bis 1870 bildeten die katholischen Ab- 
geordneten weder im preußischen Abgeordneten-
	        
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