573
betrachtete er als eine Mobilmachung gegen den
Staat. Wenn er auch früher nicht der Notwen-
digkeit sich entzogen hatte, die Interessen der
katholischen Kirche und des Papsttums wegen des
katholischen Volksteiles in Rücksicht zu nehmen,
so waren ihm doch die religiösen Gefühle des
katholischen Volkes wenig verständlich. Der Ge-
danke einer grundsätzlichen Selbständigkeit der
Kirche im Staate Preußen auf ihrem Gebiete
war ihm unfaßbar. Am 18. März 1867, bei
Beratung des Verfassungsentwurfs im Nord-
deutschen Reichstag, hatte er, zu den katholischen
Polen sich wendend, gesagt: „Sollte der Fall
solcher Angriffe auf die katholische Kirche ein-
treten, so können Sie glauben, daß die königliche
Regierung, daß ich persönlich für Sie ein ebenso
entschiedener und zuverlässiger Bundesgenosse sein
werde wie etwa mein katholischer Kollege, der
Geheime Rat v. Savigny.“ Aber er ordnete diese
Berücksichtigung der katholischen Interessen un-
bedingt dem „preußischen Staatsgedanken“ und
seinem Streben nach „Festigung des neugebildeten
Reichs" unter, als deren größtes Hindernis er das
Bestehen des Zentrums bezeichnete. Der Wunsch,
das Zentrum politisch zu vernichten, hat ihn per-
sönlich wohl am meisten in den Kampf hinein-
gezogen, wie die spätere Einsicht, daß dieses Be-
ginnen hoffnungslos sei, und daß ohne Abstellung
der religiösen Beschwerden des katholischen Volks-
teiles gedeihliche Zustände in der innern Politik
nicht zu erreichen seien, ihn hat einen Ausgleich
suchen lassen.
Über den psychologischen Hintergrund des
Kampfes äußert sich der Geheime Oberregierungs-
rat Ludwig Hahn, der Vertraute Bismarcks und
langjährige Leiter des offiziösen Preßwesens, in
der Vorrede zu seiner „Geschichte des Kultur-
kampfes“: „Der Kaiser und sein Kanzler kamen
aus Frankreich heim, wo sie beispiellosen Ruhm
und für das Vaterland nach langer Erniedrigung
ungeahnte Größe und Machtfülle errungen hatten:
da traten ihnen nun Priester und deren Anhänger
entgegen, die sie als ihre Untertanen zu betrachten
gewohnt waren, die aber jetzt die Rechte derselben
anzutasten und anzuzweifeln wagten; in dem
Augenblick, wo sie in der allgemeinen Achtung so
hoch standen, wo, ihr Selbstbewußtsein so hoch
gesteigert sein durfte, versagten jene ihnen an-
scheinend den schuldigen Gehorsam! Wie hätte
da der staatliche Sinn in ihnen sich nicht hoch
aufbäumen sollen!“ Fürst Bismarck selbst erklärte
nachmals in der Sitzung des Abgeordnetenhauses
vom 21. April 18872: „Ich bin erst in den Kultur-
kampf hineingezogen worden durch den Angriff
einer starken, auf achtbaren Fundamenten ge-
gründeten Fraktion, durch deren Angriff, den das
Zentrum auf die Reichsregierung machte in dem
Moment, wo das Reich noch auf neuen und
schwachen Fundamenten stand, und wo uns von
seiten der Zentrumspartei sofort in der ersten
Adreßdebatte damals schwierige Fragen und An-
Kulturkampf usfw.
574
träge gestellt wurden, die gerade ein Wohlwollen
und eine Neigung, das Reich zu unterstützen, gar
nicht verrieten. Diese Beziehungen wurden auf
die Kurie dadurch übertragen, daß wir uns in
Ron über das Verhalten einer Partei beschwerten,
die nur auf der Basis der päpstlichen Autorität,
welche sie zu vertreten beabsichtigte, die Wahl-
stimmen erhalten hatte. Wir hatten zur Zeit
Antonellis anfangs günstige, später infolge von
deutschen Einflüssen ablehnende Antworten er-
halten. Wir sahen auf diese Weise in der Kurie
damals den Bundesgenossen einer innern Fraktion,
gegen die wir glaubten uns wehren zu müssen,
weil sie das Reich in seinen Fundamenten angriff.“
Von dem Augenblick an, da diese Meinung in
ihm Platz gegriffen, hielt er die Vernichtung der
Zentrumsfraktion und des Geistes, aus dem sie
erwachsen, für eine Vorbedingung der Sicherung
der Zukunft seiner Lebensschöpfung, des Deutschen
Reichs. Mit der ganzen Wucht seiner gewaltigen
Persönlichkeit trat er in den Kampf ein; einen
mächtigeren Gegner hatte die Kirche seit langem
nicht gehabt. Am 23. Mai 1870 hatte er im
Reichstag des Norddeutschen Bundes von seinem
Entschlusse gesprochen, „mit eisernem Schritte zu
zermalmen, was der Herstellung der deutschen
Nation in ihrer Herrlichkeit und Macht entgegen-
stand“. Diesen Entschluß glaubte er jetzt auf das
Zentrum anwenden zu sollen. Aber aus dem
Kampfe gegen das Zentrum als politische Partei
wurde sofort ein Kampf gegen die katholische Kirche,
welche den Staatsgesetzen unbedingt unterworfen
und mitihrem geistlichen Einfluß der sog. „Staats-
raison“ dienstbar gemacht werden sollte. Auch die
Idee einer „freien deutschen Nationalkirche pro-
testantischer Konfession“, mit der „die Reformation
vollendet“ werden sollte, wie schon nach dem Feld-
zug von 1866 verlangt worden war, hat weiten
Kreisen vorgeschwebt. Die Aussichten schienen
günstig. In dem Altkatholizismus erblickte man
Keime zu einer solchen. Hier setzte die Regierung
zunächst den Hebel an.
II. Der Kulturkampf und die Maigesetz-
gebung bis zu dem Lode Pius'’IX. und dem
Bücktritt des Kultusministers Dr Falk.
1. Bischof Krementz von Ermland hatte den
Professor Michelis am Lyzeum und den Religions-
lehrer Wollmann am Gymnasium zu Braunsberg,
welche die Anerkennung der Unfehlbarkeitslehre
verweigerten, mit der Exkommunikation belegt und
dem letzteren die Erteilung des Religionsunter-
richtes untersagt. Kultusminister v. Mühler er-
klärte demgegenüber, den Maßnahmen des Bischofs
könne eine rechtliche Wirkung nicht zuerkannt wer-
den, und zwang die katholischen Schüler, dem
Religionsunterrichte Wollmanns auch ferner bei-
zuwohnen. Eine Immediatvorstellung der preu-
Kßischen Bischöfe in dieser Sache wurde vom König
sehr ungnädig beschieden. Der neue Kultus-
minister Dr Falk sah sich jedoch nach heftigen
Debatten mit der Zentrumsfraktion im Abgeord-