Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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betrachtete er als eine Mobilmachung gegen den 
Staat. Wenn er auch früher nicht der Notwen- 
digkeit sich entzogen hatte, die Interessen der 
katholischen Kirche und des Papsttums wegen des 
katholischen Volksteiles in Rücksicht zu nehmen, 
so waren ihm doch die religiösen Gefühle des 
katholischen Volkes wenig verständlich. Der Ge- 
danke einer grundsätzlichen Selbständigkeit der 
Kirche im Staate Preußen auf ihrem Gebiete 
war ihm unfaßbar. Am 18. März 1867, bei 
Beratung des Verfassungsentwurfs im Nord- 
deutschen Reichstag, hatte er, zu den katholischen 
Polen sich wendend, gesagt: „Sollte der Fall 
solcher Angriffe auf die katholische Kirche ein- 
treten, so können Sie glauben, daß die königliche 
Regierung, daß ich persönlich für Sie ein ebenso 
entschiedener und zuverlässiger Bundesgenosse sein 
werde wie etwa mein katholischer Kollege, der 
Geheime Rat v. Savigny.“ Aber er ordnete diese 
Berücksichtigung der katholischen Interessen un- 
bedingt dem „preußischen Staatsgedanken“ und 
seinem Streben nach „Festigung des neugebildeten 
Reichs" unter, als deren größtes Hindernis er das 
Bestehen des Zentrums bezeichnete. Der Wunsch, 
das Zentrum politisch zu vernichten, hat ihn per- 
sönlich wohl am meisten in den Kampf hinein- 
gezogen, wie die spätere Einsicht, daß dieses Be- 
ginnen hoffnungslos sei, und daß ohne Abstellung 
der religiösen Beschwerden des katholischen Volks- 
teiles gedeihliche Zustände in der innern Politik 
nicht zu erreichen seien, ihn hat einen Ausgleich 
suchen lassen. 
Über den psychologischen Hintergrund des 
Kampfes äußert sich der Geheime Oberregierungs- 
rat Ludwig Hahn, der Vertraute Bismarcks und 
langjährige Leiter des offiziösen Preßwesens, in 
der Vorrede zu seiner „Geschichte des Kultur- 
kampfes“: „Der Kaiser und sein Kanzler kamen 
aus Frankreich heim, wo sie beispiellosen Ruhm 
und für das Vaterland nach langer Erniedrigung 
ungeahnte Größe und Machtfülle errungen hatten: 
da traten ihnen nun Priester und deren Anhänger 
entgegen, die sie als ihre Untertanen zu betrachten 
gewohnt waren, die aber jetzt die Rechte derselben 
anzutasten und anzuzweifeln wagten; in dem 
Augenblick, wo sie in der allgemeinen Achtung so 
hoch standen, wo, ihr Selbstbewußtsein so hoch 
gesteigert sein durfte, versagten jene ihnen an- 
scheinend den schuldigen Gehorsam! Wie hätte 
da der staatliche Sinn in ihnen sich nicht hoch 
aufbäumen sollen!“ Fürst Bismarck selbst erklärte 
nachmals in der Sitzung des Abgeordnetenhauses 
vom 21. April 18872: „Ich bin erst in den Kultur- 
kampf hineingezogen worden durch den Angriff 
einer starken, auf achtbaren Fundamenten ge- 
gründeten Fraktion, durch deren Angriff, den das 
Zentrum auf die Reichsregierung machte in dem 
Moment, wo das Reich noch auf neuen und 
schwachen Fundamenten stand, und wo uns von 
seiten der Zentrumspartei sofort in der ersten 
Adreßdebatte damals schwierige Fragen und An- 
  
Kulturkampf usfw. 
  
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träge gestellt wurden, die gerade ein Wohlwollen 
und eine Neigung, das Reich zu unterstützen, gar 
nicht verrieten. Diese Beziehungen wurden auf 
die Kurie dadurch übertragen, daß wir uns in 
Ron über das Verhalten einer Partei beschwerten, 
die nur auf der Basis der päpstlichen Autorität, 
welche sie zu vertreten beabsichtigte, die Wahl- 
stimmen erhalten hatte. Wir hatten zur Zeit 
Antonellis anfangs günstige, später infolge von 
deutschen Einflüssen ablehnende Antworten er- 
halten. Wir sahen auf diese Weise in der Kurie 
damals den Bundesgenossen einer innern Fraktion, 
gegen die wir glaubten uns wehren zu müssen, 
weil sie das Reich in seinen Fundamenten angriff.“ 
Von dem Augenblick an, da diese Meinung in 
ihm Platz gegriffen, hielt er die Vernichtung der 
Zentrumsfraktion und des Geistes, aus dem sie 
erwachsen, für eine Vorbedingung der Sicherung 
der Zukunft seiner Lebensschöpfung, des Deutschen 
Reichs. Mit der ganzen Wucht seiner gewaltigen 
Persönlichkeit trat er in den Kampf ein; einen 
mächtigeren Gegner hatte die Kirche seit langem 
nicht gehabt. Am 23. Mai 1870 hatte er im 
Reichstag des Norddeutschen Bundes von seinem 
Entschlusse gesprochen, „mit eisernem Schritte zu 
zermalmen, was der Herstellung der deutschen 
Nation in ihrer Herrlichkeit und Macht entgegen- 
stand“. Diesen Entschluß glaubte er jetzt auf das 
Zentrum anwenden zu sollen. Aber aus dem 
Kampfe gegen das Zentrum als politische Partei 
wurde sofort ein Kampf gegen die katholische Kirche, 
welche den Staatsgesetzen unbedingt unterworfen 
und mitihrem geistlichen Einfluß der sog. „Staats- 
raison“ dienstbar gemacht werden sollte. Auch die 
Idee einer „freien deutschen Nationalkirche pro- 
testantischer Konfession“, mit der „die Reformation 
vollendet“ werden sollte, wie schon nach dem Feld- 
zug von 1866 verlangt worden war, hat weiten 
Kreisen vorgeschwebt. Die Aussichten schienen 
günstig. In dem Altkatholizismus erblickte man 
Keime zu einer solchen. Hier setzte die Regierung 
zunächst den Hebel an. 
II. Der Kulturkampf und die Maigesetz- 
gebung bis zu dem Lode Pius'’IX. und dem 
Bücktritt des Kultusministers Dr Falk. 
1. Bischof Krementz von Ermland hatte den 
Professor Michelis am Lyzeum und den Religions- 
lehrer Wollmann am Gymnasium zu Braunsberg, 
welche die Anerkennung der Unfehlbarkeitslehre 
verweigerten, mit der Exkommunikation belegt und 
dem letzteren die Erteilung des Religionsunter- 
richtes untersagt. Kultusminister v. Mühler er- 
klärte demgegenüber, den Maßnahmen des Bischofs 
könne eine rechtliche Wirkung nicht zuerkannt wer- 
den, und zwang die katholischen Schüler, dem 
Religionsunterrichte Wollmanns auch ferner bei- 
zuwohnen. Eine Immediatvorstellung der preu- 
Kßischen Bischöfe in dieser Sache wurde vom König 
sehr ungnädig beschieden. Der neue Kultus- 
minister Dr Falk sah sich jedoch nach heftigen 
Debatten mit der Zentrumsfraktion im Abgeord-
	        
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