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durch Note des Kardinal-Staatssekretärs Antonelli
vom 2. Mai 1872 auf Weisung des Papstes als
solcher zurückgewiesen wurde. Die Zurückweisung
erfolgte mit dem Bedauern, „einen Kardinal der
heiligen römischen Kirche, auch wegen der augen-
blicklichen Verhältnisse des Heiligen Stuhles, zur
Annahme eines so delikaten und wichtigen Amtes
nicht autorisieren zu können“. Als am 14. Mai
1872 die Angelegenheit im Reichstag zur Sprache
kam, beklagte sich Fürst Bismarck bitter über dieses
Verfahren und tat dabei seinen seitdem zur Losung
gewordenen Ausspruch: „Seien Sie außer Sorge,
nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich
noch geistig.“ Die deutsche Botschaft beim Vatikan
blieb zunächst unbesetzt; am 4. Dez. 1874 wurde
sie dann ausgehoben.
Gegen das Papsttum selbst richtete sich die
Papstwahldepesche Bismarcks vom 14. Mai
1872, in welcher die europäischen Regierungen
aufgefordert wurden, „über die Bedingungen, von
welchen sie eventuell die Anerkennung einer Wahl
(bes zukünftigen Papstes) abhängig machen wür-
den“, untereinander sich zu verständigen. Bei der
ablehnenden Haltung der übrigen Mächte blieb
jedoch diese Anregung ohne Ergebnis. — Umso
einschneidender gestaltete sich das gleichzeitige Vor-
gehen auf dem Gebiete der Gesetzgebung. Am 15.
und 16. Mai 1872 wurde im Reichstag- über
neue Petitionen gegen den Jesuitenorden
verhandelt, deren Besprechung nunmehr nichts
mehr im Wege stand. Von katholischer Seite war
wiederum die zwanzigfache Anzahl von Gegen-
petitionen eingelaufen. Trotzdem überwies auf
Antrag des konservativen Abgeordneten Wagener
der Reichstag die Petitionen dem Reichskanzler
mit der Aufforderung, „einen Gesetzentwurf vor-
zulegen, welcher die staatsgefährliche Tätigkeit
der religiösen Orden, Kongregationen und
Genossenschaften, namentlich der Gesellschaft Jesu,
unter Strafe stellt". Die Reichsregierung ent-
sprach dieser Aufforderung mit der größten Be-
schleunigung und ging noch weit über sie hinaus.
Bereits am 4. Juli 1872 konnte das „Reichs-
gesetz betreffend den Orden der Ge-
sellschaft Jesu“ sanktioniert werden. Am
5. Juli wurde es durch Verordnung des Bundes-
rats in Vollzug gesetzt. Für dieses reine Polizei-
gesetz, welches ohne jede richterliche Untersuchung
über eine ganze Kategorie von Deutschen die bis
dahin unerhörte Strafe der jederzeitigen Möglich-
keit der Ausweisung verhängt, hatten sämtliche
Parteien mit Ausnahme des Zentrums, der Polen,
der Deutsch-Hannoveraner, der Demokraten, eines
Teiles der Fortschrittspartei und weniger Natio-
nalliberalen gestimmt. Es traf etwa 200 Jesuiten,
welche sämtlich auswanderten, nachdem die Be-
kanntmachung vom 5. Juli 1872 ihnen jede
„Ausübung einer Ordenstätigkeit, insbesondere
in Kirche und Schule, sowie die Abhaltung von
Missionen“ verboten hatte. Am 20. Mai 1873
unterwarf eine weitere Bekanntmachung des Bun-
Staatslexikon. III. 3. Aufl.
Kulturkampf ufw.
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desrats die Redemptoristen, Lazaristen, Priester
vom Heiligen Geist und die Gesellschaft vom
heiligen Herzen Jesu (Oames du Sacré-Ceeur)
als „verwandte“ Orden den Bestimmungen des
Jesuitengesetzes. Auch diese wanderten aus. Am
15. Juni 1872 schon hatte der preußische Kultus-
minister durch einfache Verfügung den Mitgliedern
aller Orden und Kongregationen die Ausübung
einer Lehrtätigkeit an öffentlichen Volksschulen
untersagt.
Das Jesuitengesetz bezweckte „die Selbständig-
machung der Bischöfe vom Jesuitenorden“. Aber
schon vor Beratung des Gesetzes hatten alle Bi-
schöfe, in deren Diözesen Jesuiten tätig waren,
eine öffentliche Erklärung zu ihren Gunsten er-
lassen. Nach Verkündigung des Gesetzes erließen
am 20. Sept. 1872 die sämtlichen zu Fulda ver-
sammelten deutschen Bischöfe eine ausführliche
und freimütige Denkschrift an die deutschen Re-
gierungen. Nachdem sie nachgewiesen hatten, daß
„die katholische Kirche in Deutschland völker-- und
staatsrechtlich anerkannt ist und in ihrer ganzen
Integrität zu Recht besteht“, erklärten sie, es
könne „keinem Zweifel unterliegen, daß sie durch
eine Reihe von Maßregeln sowohl im Reich als
in einzelnen Reichslanden in diesen ihren Rechten
schwer verletzt worden ist“. Als solche Maßregeln
wurden insbesondere genannt: die Begünstigungen
der Altkatholiken, das Reichsgesetz gegen die Je-
suiten und die preußische Verfügung gegen die
Schulorden. Ferner fand die Zentrumsfraktion
in der Denkschrift eine kräftige Verteidigung. —
Auch seitens des Papstes erfolgten nachdrückliche
Kundgebungen. Bei einer Audienz des deutschen
Lesevereins in Rom am 24. Juni 1872 erklärte
er: „Wir haben es mit einer Verfolgung zu tun,
die, von langer Hand vorbereitet, jetzt ausgebrochen
ist; es ist der erste Minister einer mächtigen Re-
gierung, der nach seinen siegreichen Erfolgen im
Felde sich an die Spitze der Verfolgung gestellt
hat.“ Sodann ermahnte der Papfst die deutschen
Katholiken zur Ausdauer: „Stehen wir fest im
Vertrauen, halten wir in Eintracht zusammen!
Wer weiß, ob nicht bald das Steinchen aus der
Höhe sich loslöst, das den Fuß des Kolosses zer-
chmettert.“
Diese Vorgänge und die bei Beratung der
neuen Gesetze in den Parlamenten gehaltenen, tiefe
Feindschaft gegen den Katholizismus atmenden
Reden verursachten eine allgemeine und tiefgehende
Aufregung unter dem kirchlich gesinnten Volke.
Auf Grund eines Aufrufs vom 8. Juli 1872 bil-
dete sich zur Verteidigung der Rechte der Kirche
unter dem Vorsitz des Freiherrn Felix v. Los der
„Verein der deutschen Katholiken“, gewöhnlich
„Mainzer Verein“ genannt, der bald 200 000
Mitglieder zählte. Dieser gelangte zwar unter
dem Druck unausgesetzter behördlicher Maßreg-
lungen nicht zu einer dauernden Wirksamkeit, gab
aber kräftige und nachhaltige Anregungen. Der
Minister des Innern, Graf Eulenburg, bezeichnete
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