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Anstellung und Entlassung der Geistlichen und
Religionsdiener und stellt die Grenzen der kirch-
lichen Disziplinargewalt fest.“ — Während noch
über die Verfassungsänderung debattiert wurde,
fand auch bereits die Beratung der kirchenpoliti-
schen Gesetzentwürfe selbst statt. Um 9. Mai war
diese beendigt. Konservative und Liberale hatten
mit wenigen Ausnahmen gleichmäßig für sie ge-
stimmt.
Das „Gesetz über die Vorbildung und
Anstellung der Geistlichen" vom 11. Mai
1878 bestimmte, daß ein geistliches Amt nur einem
Deutschen übertragen werden dürfe, welcher die
durch das Gesetz vorgeschriebene Bildung erhalten
habe, welcher vorher dem Oberpräsidenten unter
Bezeichnung des Amtes angezeigt, und gegen dessen
Anstellung kein Einspruch erhoben worden sei. Die
vorgeschriebene Bildung verlangte die Entlassungs-
prüfung an einem deutschen Gymnasium, ein drei-
jähriges theologisches Studium auf einer deutschen
Staatsuniversität oder in einem vom Kultus-
minister als gleichwertig anerkannten kirchlichen
Seminar und die Ablegung einer besondern wissen-
schaftlichen Staatsprüfung (später „Kulturexamen“
genannt) über „die für den Beruf eines Geistlichen
erforderliche allgemeine wissenschaftliche Bildung,
insbesondere auf dem Gebiete der Philosophie,
der Geschichte und der deutschen Literatur“. So-
dann unterwarf das Gesetz alle kirchlichen An-
stalten, welche der Vorbildung von Geisliichen
dienen, der staatlichen Aufsicht und bestimmte, daß
bei Nichtbefolgung der staatlichen Aufsichtsanord-
nungen der Kultusminister befugt sei, die der
Anstalt gewidmeten Staatsmittel einzubehalten
und sogar die Anstalt zu schließen. Knabensemi-
nare und -konvikte durften nicht mehr errichtet, in
die bestehenden neue Zöglinge nicht mehr auf-
genommen werden. Der Einspruch gegen die An-
stellung eines Geistlichen sollte unter anderem zu-
lässig sein, „wenn gegen den Anzustellenden Tat-
sachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen,
daß derselbe den Staatsgesetzen oder den inner-
halb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen
Anordnungen der Obrigkeit entgegenwirken oder
den öffentlichen Frieden stören werde“. Außerdem
schrieb das Gesetz die Umwandlung der rheinischen
Sukkursalpfarren“, deren Inhaber nach der fran-
zösischen Gesetzgebung frei versetzbar waren, in
definitive vor und verlangte die Besetzung jedes
Pfarramtes längstens binnen einem Jahre seit der
Erledigung. Zuwiderhandlungen waren mit Geld-
strafen gegen den Bischof bis zu 1000 Talern für
jeden einzelnen Fall bedroht.
Das „Gesetz über die kirchliche Diszi-
plinargewalt und die Errichtung des könig-
lichen Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten“
vom 12. Mai 1873 bestimmte, daß die kirchliche
Disziplinargewalt über alle „Kirchendiener“ nur
von deutschen kirchlichen Behörden (also nicht vom
Papst oder den römischen Kongregationen) aus-
geübt werden dürfe, und verlangte für jede, auch
Kulturkampf ufw.
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vorläufige Amtsentsetzung eines Geistlichen ein
prozessualisches Verfahren (schloß also die kano-
nische Amtsentsetzung ex informata conscientia
aus), verbot die körperliche Züchtigung und Geld-
strafen über 30 Taler bzw. das einmonatliche
Amtseinkommen als Disziplinarstrafen, unter-
stellte die Demeritenanstalten der staatlichen Auf-
sicht und verlangte von allen erheblichen Fällen
kirchlicher Disziplinarentscheidungen Mitteilung
an den Oberpräsidenten. Gegen jede kirchliche
Disziplinarentscheidung sollte der Betroffene, und
wenn ein „öffentliches Interesse“ vorlag, auch der
Oberpräsident Berufung an den aus Staats-
beamten neu gebildeten „Königlichen Gerichtshof
für kirchliche Angelegenheiten“ in Berlin erheben
können, welcher endgültig entschied, auch auf An-
trag des Oberpräsidenten alle „Kirchendiener",
also auch die Bischöfe, durch Urteil „aus ihrem
Amte entlassen“ konnte.
Das „Gesetz über die Grenzen des Rechts zum
Gebrauche kirchlicher Straf= und Zucht-
mittel“ vom 13. Mai 1873 verbot alle kirch-
lichen Straf, oder Zuchtmittel, welche nicht „dem
rein religiösen Gebiet angehören“, sowie jede
kirchliche Bestrafung wegen einer Handlung, „zu
welcher die Staatsgesetze oder die von der Obrig-
keit erlassenen Anordnungen verpflichten“, und
wegen Ausübung öffentlicher Wahl= oder Stimm-
rechte in einer bestimmten Richtung. Die Ver-
hängung der zugelassenen Strafen sollte nicht
öffentlich bekannt gemacht werden dürfen. Zu-
widerhandlungen wurden mit Geldbußen bis zu
1000 Talern oder dem Verlust des kirchlichen
Amtes bedroht. Das Gesetz sollte vornehmlich
die Verhängung der großen Exkommunikation
hindern.
Das Gesetz endlich „betr. den Austritt aus
der Kirche“ vom 14. Mai 1873 erleichterte das
Ausscheiden aus einer kirchlichen Gemeinschaft.
Es wurde in der Folge für die Katholiken von
geringer Bedeutung, von größerer für die Pro-
testanten.
Der Zweck dieses ganzen Systems war nach
den Worten Falks vom 9. Jan., „der Geistlich-
keit die Selbständigkeit auf dem Boden nationaler
Bildung zu gewähren“. In Wahrheit sollte die
niedere Geistlichkeit von den Bischöfen unabhängig,
von der Regierung abhängig gemacht werden.
Doch die niedere Geistlichkeit ließ sich nicht von
ihren Bischöfen trennen, ebensowenig wie das
katholische Volk, das sofort und einmütig sich um
seine Bischöfe scharte. ·
Gleich nach dem Bekanntwerden der Entwürfe
dieser Gesetze hatten am 30. Jan. 1878 die Erz-
bischöfe von Köln und Posen im Namen der sämt-
lichen preußischen Bischöfe dem Staatsmini-
sterium eine Denkschrift überreicht, in welcher sie
erklärten, „von vornherein gegen alle die natür-
lichen und wohlerworbenen Rechte der katholischen
Kirche und die Gewissens= und Religionsfreiheiten
der Katholiken verletzenden Bestimmungen dieser
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